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OVG des Saarlandes: DocMorris Niederlassung darf wieder öffnen!

OBERVERWALTUNGSGERICHT DES SAARLANDES

BESCHLUSS

Az.: 3 W 15/06.

In dem Verwaltungsrechtsstreit

der Frau A, A Straße, A Stadt,

- Antragstellerin und Beschwerdegegnerin -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B, B Straße, B Stadt,


gegen


das Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales, Franz-Josef-Röder-Straße 23, 66119 Saarbrücken,

- Antragsgegner und Beschwerdeführer -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C, C Straße, C Stadt,


weiter beteiligt:

DocMorris N.V., Voskulienweg 131 b, 6416 AJ-Heerlen,

- Beigeladene und Beschwerdeführerin –

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Diekmann, Ballindamm 35, 20095 Hamburg,


wegen: einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke
hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes in Saarlouis auf Grund der Beratung vom 22. Januar 2007, an der mitgewirkt haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Philippi
Richter am Oberverwaltungsgericht John
Richterin am Oberverwaltungsgericht Nalbach

beschlossen:

Unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 18. September 2006 – 3 F 39/06 – werden die Anträge der Antragstellerin zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 20.000,-- Euro und unter entsprechender Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts vom 18. September 2006 von Amts wegen auch für das erstinstanzliche Verfahren auf 20.000,-- Euro festgesetzt.


G r ü n d e

Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18.9.2006 – 3 F 39/06 -, durch den unter Zurückweisung des Hauptantrags auf Schließung der Apotheke der Beigeladenen die aufschiebende Wirkung der Drittanfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Erlaubnisbescheid des Antragsgegners vom 29.7.2006 wiederhergestellt wurde.

Durch den angefochtenen Bescheid hatte der Antragsgegner der niederländischen Beigeladenen als Kapitalgesellschaft gemäß § 1 Abs. 2 ApoG die Erlaubnis erteilt, eine Apotheke als Filialapotheke der Beigeladenen im Saarland zu betreiben und ferner verfügt, dass die Verpflichtung zur persönlichen Leitung dieser Apotheke in eigener Verantwortung der verantwortlichen Apothekerin als Privatperson obliege. Mit weiterem, im Einzelnen begründeten Bescheid vom 7.8.2006 wurde der Sofortvollzug des Erlaubnisbescheides angeordnet.

Gegen den vorgenannten Beschluss wenden sich sowohl der Antragsgegner als auch die Beigeladene.

In prozessualer Hinsicht ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Senat sich betreffend der hier einschlägigen Verfahrensart den erstinstanzlichen Ausführungen anschließt und eine Überprüfung im Rahmen der §§ 80 a Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 5 VwGO vornimmt.

Eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (im folgenden EuGH) – wie mit Blick auf die komplexen europarechtlichen Fragen angeregt – kommt aus Sicht des Senats nicht in Betracht.

Im Eilverfahren der vorliegenden Art besteht keine Verpflichtung der nationalen Gerichte, im Falle der Überprüfung europarechtlicher Fragestellungen in ggf. Kollision mit nationalem Recht eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.

Dies hat der EuGH bereits

in seiner Entscheidung vom 24.5.1977 – C-107/76
Hoffmann – La Roche -

für den damaligen Art. 177 EWG-Vertrag (heute: Art. 234 EGV) festgestellt und unter RN 5 ausgeführt:

„Artikel 177 hat zum Ziel, die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherzustellen; in diesem Rahmen soll Absatz 3 insbesondere verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Gemeinschaftsrechts nicht im Einklang steht. In summarischen und eilbedürftigen Verfahren der hier in Rede stehenden Art, welche die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zum Gegenstand haben, ist den aus dieser Zielsetzung fließenden Anforderungen Genüge getan, wenn in einem ordentlichen Verfahren zur Hauptsache eine erneute Prüfung jeder im summarischen Verfahren nur vorläufig entschiedenen Rechtsfrage möglich ist, gleichgültig, ob dieses Verfahren unter allen Umständen oder nur auf Betreiben der unterlegenen Partei eingeleitet werden muss. Unter diesen Voraussetzungen ist die spezifische Zielsetzung des Artikels 177 Absatz 3 gewahrt, da die Verpflichtung, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, im Hauptverfahren zum Zuge kommt.“

Hieran hat sich ersichtlich bis heute in der Rechtsprechung des EuGH nichts geändert. Aus den von den Beteiligten angeführten Entscheidungen ergibt sich nichts Gegenteiliges, das Recht eines Gerichts, unter den in Art. 234 EGV genannten Voraussetzungen den EuGH evtl. auch in Eilverfahren anzurufen, ist daneben unbestritten.

Auch das Bundesverfassungsgericht ist

in seinen Beschlüssen vom 19.10.2006 – 2 BvR 2023/06 - und vom 27.4.2005 – 1 BvR 223/05 –, jeweils zitiert nach Juris sowie etwa auch im Beschluss vom 29.11.1991 – 2 BvR 1642/91 -, NVwZ 1992, 360

davon ausgegangen, dass eine Vorlagepflicht nach Art. 234 EGV jedenfalls im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich nicht besteht und zwar selbst dann nicht, wenn die (vorläufige) gerichtliche Entscheidung mit keinen weiteren Rechtsmitteln angegriffen werden kann. In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH hält es für entscheidend die Möglichkeit einer erneuten Überprüfung in einem Haupt(sache)verfahren, ohne dass die Gerichte an ihre im Eilverfahren vertretene Rechtsauffassung gebunden wären.

Der Senat folgt der Einschätzung des EuGH und des BVerfG, denn das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist prinzipiell nicht dazu da, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung endgültig zu klären. Dies gilt auch, wenn Hauptsacheverfahren und Eilrechtsschutzverfahren in unterschiedlichen Instanzen anhängig sind. So ist – worauf später noch einzugehen sein wird – das Beschwerdegericht unter Umständen gehalten, darauf hinzuweisen, dass im Hauptsacheverfahren eine Vorlage an den EuGH geboten sein wird. Europarecht könnte nämlich nur dann verletzt werden, wenn im Ergebnis überhaupt keine Vorlage erfolgte,

hierzu Jannasch, Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf den vorläufigen Rechtsschutz, NVwZ 1999, 495 ff (497);

zur Vorlagepflicht beziehungsweise zum Vorlageermessen siehe auch Geiger EUV/EGV, 4. Auflage Art. 234 EGV Rn. 9 ff.; Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2. Auflage Art. 234 EGV, Rn. 17 ff.

Angesichts der hier in Frage stehenden komplexen Fragen und aus Gründen eines effektiven möglichst raschen Eilrechtsschutzes, dem die nach der Erfahrung in der Regel nicht unter einem Jahr währende Bearbeitungsfrist durch den EuGH entgegenstünde, sieht der Senat daher von der Anrufung des EuGH im vorliegenden Verfahren ab.

Auch die vom Antragsgegner angeregte Beiladung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft kann hier nicht erfolgen. Es versteht sich von selbst, dass die Entscheidung eines nationalen Gerichts eines einzelnen Mitgliedstaats keine Bindungswirkung gegenüber der (beigeladenen) Kommission entfalten würde und somit die Beiladung von vornherein ins Leere liefe.

Was die zwischen den Beteiligen weiter umstrittene Antragsbefugnis der Antragstellerin als Apothekeninhaberin und damit schon die Zulässigkeit ihres Rechtsschutzbegehrens angeht, folgt der Senat bei der hier allein gebotenen summarischen Betrachtungsweise vorläufig den hierzu angestellten Erwägungen des Verwaltungsgerichts.

Die in Anspruch genommene Drittanfechtungsbefugnis ist problematisch.

Den Vorschriften des ApoG kommt – wie erstinstanzlich überzeugend ausgeführt – kein drittschützender Charakter zu. Es gibt – gerade auch auf dem Gebiet der Berufszulassung – zahlreiche begünstigende Verwaltungsakte, die zwar im Einzelfall – objektiv – rechtswidrig und für Dritte tatsächlich nachteilig sein mögen, jedoch keine rechtlich geschützten Interessen berühren und daher entsprechend Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen sind

hierzu etwa BVerwG, Beschluss vom 6.12.1988 – 1 B 157/88 -, NJW 1989, 1175 im Falle einer rechtswidrig erteilten Rechtsberatungs-erlaubnis.

Eine Betroffenheit der Antragstellerin, die maßgeblich eine Wettbewerbsbeeinträchtigung geltend macht, kommt, da Art. 14 Abs. 1 GG nur Rechtspositionen erfasst, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber in der Zukunft liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten

hierzu BVerfG, Beschluss vom 31.10.1984, a.a.O.

allerdings unter dem Blickwinkel der Art. 12, 3 GG in Betracht.

Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit am Markt – wie auch hier im Falle des freien Apothekenmarktes - nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 Abs. 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen. Die grundrechtliche Gewährleistung umfasst dementsprechend nicht einen Schutz vor Einflüssen auf die wettbewerbsbestimmenden Faktoren. Insbesondere umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb in Form eines Marktanteils und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten, vielmehr unterliegt die Wettbewerbssituation und damit auch der Umsatz und die Erträge – grundsätzlich - dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen

hierzu etwa BVerfG, Urteil vom 17.12.2002 – 1 BvL 28, 29, 39/95 -, E 106, 275 ff., Beschluss vom 26.6.2002, 1 BvR 558, 1428/91 -, E 105, 252 ff.; Beschluss vom 1.2.1973 – 1 BvR 426/72 – u.a. – E 34, 252 ff.

Grundsätzlich umfasst das Grundrecht mithin keinen Konkurrenzschutz.

Hierzu hat die Rechtsprechung jedoch Einschränkungen herausgebildet.

So wird etwa ein „Konkurrentenschutz“ nach dem Art. 12, 3 GG aus Gründen eines durch die staatliche Maßnahme ausgelösten Verdrängungs- oder Auszehrungswettbewerbs

hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 13.5.2004 – 3 C 45/03 -, NJW 2004, 3134 ff; Beschluss vom 21.3.1995 – 1 B 211/94 -, DVBl 1996, 152 ff., BVerfG, Beschluss vom 26.6.2002 – 1 BvR 558, 428/91 – E 105, 252 ff.

anerkannt. Hierfür finden sich derzeit keine durchgreifenden Belege, sondern – lediglich – Befürchtungen der Antragsteller zu 2) bis 4).

Das Bundesverfassungsgericht hat ferner

in seinem Beschluss vom 17.8.2004 – 1 BvR 378/00 -, NJW 2005, 273 ff.

festgestellt, dass eine Wettbewerbsveränderung durch staatlichen Einzelakt, die erhebliche Konkurrenznachteile zur Folge hat, das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG beeinträchtigen kann, wenn sie – wie im für Vertrags- und Krankenhausärzte entschiedenen Fall – im Zusammenhang mit staatlicher Planung und der Verteilung staatlicher Mittel in einem gleichfalls staatlich regulierten Markt stehen. Angesichts dieser klar umrissenen Voraussetzungen hält es auch der Senat für nicht überzeugend, eine Antragsbefugnis der Antragssteller zu 2) bis 4) – allein - aus der Entscheidung des BVerfG vom 17.8.2004, a.a.O. herzuleiten. Vorliegend ist jedenfalls nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass - worauf der Antragsgegner unter Anführung zahlreicher Nachweise aus Rechtsprechung und Literatur hinweist - durch die Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis an die Beigeladene eine Grundrechtsbeeinträchtigung nach Art. 12 GG im Zusammenhang mit staatlicher Planung und Verteilung staatlicher Mittel in einem staatlich regulierten Markt hätte erfolgen können, da der Apothekenmarkt prinzipiell frei, nicht bedarfsabhängig konzessioniert und unbeeinflusst von staatlichen Mitteln ist. Apotheken erhalten keine Subventionen.

Zu sehen ist jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht in der letztgenannten Entscheidung vom 17.8.2004, a.a.O., der Tragweite des Grundrechtsschutzes aus Art. 12 GG eine hohe Bedeutung beigemessen und in weiter verfahrensbezogener Grundrechtsauslegung festgestellt hat, dass die Verwirklichung der Grundrechte des Art. 12 GG eine angemessene Verfahrensgestaltung erfordere, wozu auch gehöre, dass der Zugang zu staatlichen Gerichten nicht in unzumutbarer Weise erschwert werde.

Vergleichbares hat es im Interesse des Bürgers an einem effektiven Rechtsschutz im Lichte der Bedeutung der Grundrechte mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG bereits zuvor in einem ähnlich weit gefassten Verständnis ausgedrückt, der einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt gewährleisten solle

hierzu BVerfG, Beschluss vom 18.1.2000 – 1 BvR 321/96 -, E 101, 397 ff. (407); Beschluss vom 25.7.1996 – 1 BvR 638/96 -, DVBl. 1996, 1367 f..

In weiteren Entscheidungen

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03 -, NJW 2006, 3701 und vom 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 -, NJW 2003, 3618 f.

hat es gerade bei der Anordnung des Sofortvollzugs betont, dass effektiver Rechtsschutz auch die Aufgabe habe, irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten könnten, so weit wie möglich auszuschließen.

Hieraus ist aus Sicht des Senats zu folgern, dass jedenfalls bei der Frage der Zulässigkeit eines Rechtsbegehrens, was die Antragsbefugnis angeht, im Falle einer komplexen und schwierig zu beurteilenden Sachverhaltsgestaltung, wie sie hier vorliegt, die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen, eine Rechtsverletzung jedenfalls möglich sein kann und die Frage einer (tatsächlichen) Rechtsverletzung vertieft bei der Beurteilung der Begründetheit zu überprüfen ist. Mit Blick auf die weite verfahrensbezogene Grundrechtsauslegung des Bundesverfassungsgerichts kann in komplexen Fällen die Antragsbefugnis nicht verneint werden.

Auch nach dem Verständnis des Bundesverwaltungsgerichts

hierzu etwa Urteil vom 6.4.2000 – 3 C 6.99 -, DVBl. 2000, 1614 f.

reicht es aus, wenn nach dem substantiierten Vorbringen des Klägers eine Verletzung seiner Rechte möglich ist. Eine Klage ist – nur – dann unzulässig, wenn unter Zugrundelegung dieses Vorbringens offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können, was in komplexen Fällen nicht auf der Hand liegt.

Im Zusammenhang mit einer möglichen Rechtsverletzung unter dem Blickwinkel des Art. 12 GG hat es ausgeführt, es genüge, dass durch die staatliche Maßnahme der Wettbewerb beeinflusst und die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dadurch behindert werde

so Urteil vom 13.5.2004 – 3 C 45/03 -, NJW 2004, 3134 ff. im Falle der Investitionsförderung für ambulante Pflegedienste.

Zwar betraf letztere Entscheidung eine Fallgestaltung, bei der die Möglichkeit einer berufsregelnden Tendenz der staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit staatlicher Planung und Subventionierung bestand. Auszugehen ist vorliegend jedoch zumindest von einer Möglichkeit der „de facto“ – Beeinflussung des Wettbewerbs im Sinne einer nachhaltigen Verschiebung von Marktanteilen.

Eine – nachhaltige beziehungsweise schwerwiegende – Beeinflussung des Wettbewerbs durch eine angefochtene staatliche Maßnahme kann nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1995 – 3 C 23/94 -, NJW 1996, 3161 ff.

aber grundrechtsrelevant sein.

Angesichts der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts geht auch der Senat im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes – jedenfalls im Rahmen des hier vorliegenden summarischen Verfahrens – davon aus, dass für die Antragstellerin in diesem komplexen Fall eine Rechtsverletzung nicht bereits offensichtlich ausgeschlossen werden kann, was für die Antragsbefugnis hier ausreicht.

Klarzustellen ist, dass die vorläufige positive Beurteilung der problematischen Drittanfechtungsbefugnis gegen eine Berufszulassung nicht verallgemeinerungsfähig ist. Zu einer abschließenden Beurteilung der Drittanfechtungsbefugnis hat der Senat schon deshalb keinen durchgreifenden Grund, da das Begehren der Antragsstellerin – wie nachstehend ausgeführt – in der Sache keinen Erfolg haben wird.

Bedenken gegen die Vollzugsanordnung hat der Senat nicht; dies bedarf keiner weiteren Vertiefung.

Der Senat geht zunächst auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache und dann die Interessenabwägung ein.

Bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zunächst gebotenen prognostischen Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache haben sich die Gerichte jedenfalls dann, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führen könnte, mit (berechtigten) Zweifeln an der Gültigkeit von entscheidungserheblichen Normen sowie mit dem Möglichkeiten ihrer Auslegung und Anwendung auseinander zu setzen

so etwa BVerfG, Beschluss vom 25.7.1996 – 1 BvR 638/96 -, DVBl. 1996, 1367 f..

Danach ist vorliegend die materielle Rechtslage unter dem Blickwinkel des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts und gegebenenfalls deren Kollision vorläufig zu beurteilen.

Unstreitig liegt in der Erteilung der für sofort vollziehbar erklärten Apothekenbetriebserlaubnis an die Beigeladene ein Verstoß gegen Vorschriften nationalen Rechts, nämlich der §§ 2, 7 und 8 ApoG vor (Regelungen der Filialapotheke, Mehr- und Fremdbesitzverbot, Beschränken von EU-Ausländern auf den Erwerb von seit mindestens 3 Jahren betriebenen Apotheken).

Der Antragsgegner beruft sich in seiner Beschwerdebegründung ebenso wie zuvor zur Begründung seines Verwaltungsentscheids und der Anordnung des Sofortvollzugs maßgeblich darauf, dass die genannten Normen des deutschen Apothekenrechts eine nicht erforderliche und damit unverhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV darstellten, die gemäß Art. 48 EGV auch für die Beigeladene gewährleistet sei.

Der EuGH habe

in seiner Entscheidung vom 21.4.2005 Rs. C-140/03 -, Kommission/ Griechenland, Sg. 2005, I – 3177 (Optikerentscheidung)

die auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar sei, ausgeführt, dass den berechtigten Gesundheitsinteressen im Falle von Optikergeschäften auch durch die Pflicht, einen qualifizierten Optiker in jedem Geschäft anzustellen, genüge getan werden könne. Angesichts der hier einschlägigen Grundfreiheiten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten komme dem unmittelbar wirkenden Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang zu, weshalb mitgliedschaftliche Behörden und Gerichte dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Vorschriften des nationalen Rechts von sich aus außer Anwendung zu lassen hätten.

Damit werden zwei im Streitstoff der Beteiligten zentrale Punkte der hier zu treffenden Entscheidung angesprochen, die Frage einer Nichtanwendung(spflicht) nationalen Rechts beziehungsweise wie von der Antragstellerin n auch benannt „Verwerfungskompetenz“ (bereits) durch eine mitgliedstaatliche Behörde im Falle der Kollision mit Gemeinschaftsrecht und die inhaltliche Frage, ob tatsächlich eine Kollision zwischen deutschem Recht und Gemeinschaftsrecht vorliegt, was bei einer Übertragbarkeit der zwischen den Beteiligten unterschiedlich ausgelegten so genannten Optikerentscheidung des EuGH auf Apotheken in Betracht kommt.

Zunächst geht der Senat auf die Kompetenzfrage und dann die Inhaltsfrage ein.

Vorrangig ist mithin die – von der Antragstellerin mit umfassender Begründung verneinte – Frage zu prüfen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen einer nationalen Behörde prinzipiell die Befugnis zusteht, Vorschriften nationalen Rechts im Falle der von ihr so beurteilten Gemeinschaftswidrigkeit mit Grundfreiheiten nach dem EGV - im konkreten Fall - außer Anwendung zu lassen.

Diese Frage wurde – da für das gewonnene Ergebnis nicht wesentlich – in der erstinstanzlichen Entscheidung unter Hinweis auf den Meinungsstreit in der Literatur offen gelassen,

hierzu Calliess/Ruffert, Kommentar zu EUV und EGV, 2. Auflage, Art. 10 EGV, Rn. 43 m.w.N.; Jarass/ Beljin, NVwZ 2004, 1 ff., 4; siehe auch Geiger, Kommentar EUV/EGV a.a.O., Art. 10, EGV Rn. 31, Grabitz/Hilf, Kommentar EUV und EGV, Stand August 2002 Rn. 24; Semmroth, NVwZ 2006, 1378 ff.; Martini, DVBL 2007, 10 ff.

Der Senat folgt in dieser Frage der überzeugenden ständigen Rechtsprechung des EuGH.

Der EuGH hat sich in übereinstimmenden Entscheidungen aus den Jahren 1989 bis jetzt zu der genannten Problematik geäußert.

So ist er bereits

in seiner Entscheidung vom 22.6.1989 – C-103/88 – Rn. 28 ff – Fratelli Costanzo –

auf die ausdrückliche Vorlagefrage, ob die Verwaltung – auch auf kommunaler Ebene (Stadt Mailand) – ebenso wie ein nationales Gericht verpflichtet ist, eine Richtlinie des Rates anzuwenden und diejenigen Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die damit nicht in Einklang stehen, davon ausgegangen, dass eine Nichtanwendungspflicht jedenfalls dann besteht, wenn sich der Einzelne auf die gemeinschaftsrechtliche Bestimmung berufen kann. Hierzu hat er auf

seine Urteile vom 19.1.1982 – Rs. 8/81 – und vom 26.2.1986 – Rs. 152/84

hingewiesen, wonach sich der Einzelne in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen könne, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat.

Eine Berufung auf die Richtlinie unter den genannten Voraussetzungen sei deshalb möglich, weil die Verpflichtungen, die sich aus diesen Bestimmungen ergeben könnten, für alle Behörden der Mitgliedstaaten gelten. Wörtlich hat er weiter in – Rn. 31 – ausgeführt:

„Es wäre im Übrigen widersprüchlich, zwar zu entscheiden, dass die einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richtlinie, die die oben herausgestellten Voraussetzungen erfüllen, berufen können, um das Verhalten der Verwaltung beanstanden zu lassen, trotzdem aber die Auffassung zu vertreten, dass die Verwaltung nicht verpflichtet ist, die Bestimmungen der Richtlinie dadurch einzuhalten, dass sie die Vorschriften des nationalen Rechts, die damit nicht in Einklang stehen, unangewendet lässt. Wenn die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes einzuhaltenden Voraussetzungen dafür erfüllt sind, dass die Einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen können, sind folglich alle Träger der Verwaltung einschließlich der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften verpflichtet, diese Bestimmungen anzuwenden.“

Der Grundgedanke des EuGH leuchtet ein, dass die Verwaltung nicht erst durch die Gerichte zu einem europarechtskonformen Verhalten gezwungen werden soll, wenn sie bei eigenem Handeln nicht europarechtskonform vorgehen darf. Vielmehr ist sie von vornherein zu einem europarechtskonformen Vorgehen verpflichtet.

Dies hat aber zur Folge, dass entgegenstehende nationale Vorschriften – jeweils im konkreten grenzüberschreitenden Fall – von dem zuständigen staatlichen Träger außer Anwendung gelassen werden müssen. Das Gemeinschaftsrecht beansprucht in diesen Fällen einen Anwendungsvorrang.

Der EuGH hat diese Rechtsprechung weiter - bis heute - fortgeschrieben und betont, es sei Sache aller mitgliedstaatlichen Behörden, seien es solche der staatlichen Zentralgewalt, eines Gliedstaates oder sonstiger Gebietskörperschaften, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zu gewährleisten

hierzu etwa Urteil vom 12.6.1990 – C-8/88 – Rn. 13 (BRD ./. EAGFL).

Diese Rechtsprechung hat er

in seiner Entscheidung vom 29.4.1999 – C-224/97 – Ciola – Rn. 26 ff.

bekräftigt. Danach erzeugen die Bestimmungen des EG-Vertrags, da sie in der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats unmittelbar gelten und da das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht vorgeht, Rechte zugunsten der Betroffenen, die die nationalen Behörden zu achten und zu wahren haben, so dass ihnen entgegenstehende Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts aus diesem Grunde unanwendbar werden. In der Folge verweist er auf die vorstehend zitierte Entscheidung vom 22.6.1989, a.a.O. und unterstreicht, dass sich alle Träger der Verwaltung einschließlich der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts zu „beugen“ haben (Rn. 30 f.).

Auch nach

der Entscheidung vom 26.9.2000 – C-262/97 – Rn. 38 – Engelbrecht –

obliegt die Pflicht der Mitgliedstaaten, alle zur Erfüllung der sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Verpflichtungen geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten.

Gleiches spricht er

in der Entscheidung vom 22.5.2003 – C-462/99 – Rn. 38 ff.

aus.

Ausdrücklich stellt er

in seiner Entscheidung vom 13.1.2004 – C-453/00 – Rn. 22, DVBL 2004, 373 ff.

fest, dass eine (vom EuGH ausgelegte) Bestimmung des Gemeinschaftsrechts von einer Verwaltungsbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit auch auf Rechtsbeziehungen anzuwenden ist, die vor dem Erlass der Vorabentscheidung des EuGH entstanden sind.

Besondere Aussagekraft für den hier zu entscheidenden Fall kommen den vom EuGH

in seinem Urteil vom 9.9.2003 – C-198/01 – „Fiammiferi“

aufgestellten Grundsätzen zu.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die italienische Wettbewerbsbehörde (Autorità Garante della Concurrenza e del Mercato) hatte im Rahmen einer Überprüfung aufgrund der Beschwerde eines deutschen Zündholzherstellers, beim Absatz seiner Erzeugnisse Schwierigkeiten auf dem italienischen Markt zu haben, festgestellt, dass das System aus nationalen Rechtsvorschriften, die das Konsortium der italienischen Zündholzhersteller (Consorzio Industrie Fiammiferi – CIF) begründen und seine Tätigkeit regeln, gegen die Art. 10 und 81 EGV verstoße und das CIF und seine Mitglieder Art. 81 EGV durch die Zuteilung von Erzeugnisquoten verletzt hätten, weshalb die Wettbewerbsbehörde anordnete, die festgestellten Verstöße abzustellen. Die Wettbewerbsbehörde untersuchte dabei für ihre Feststellung des Gemeinschaftsrechtsverstoßes komplexe italienische Rechtsvorschriften (verschiedener Geltungszeiträume) zur Regelung des Systems des Zündholzmonopols.

Das gesetzliche Zündholzsystem Italiens stand also auf dem Prüfstand einer Behörde, die es vor jeder gerichtlichen Feststellung als gemeinschaftswidrig einstufte.

Hiergegen wandte das CIF im Klageverfahren ein, zwar räumten italienische Rechtsvorschriften der Wettbewerbsbehörde die Befugnisse ein, Art. 81 EGV anzuwenden, um wettbewerbswidrige Absprachen festzustellen und zu sanktionieren, doch verleihe es ihr nicht die Befugnis, die Gültigkeit nationaler Gesetzgebungsakte im Hinblick auf Art. 3 EGV in Verbindung mit den Art. 10 EGV und 82 EGV zu prüfen.

Eine der beiden Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Lazio lautete daher:

„Wenn eine Absprache zwischen Unternehmen ungünstige Auswirkungen auf den Handel in der Gemeinschaft hat und wenn diese Absprache durch nationale Rechtsvorschriften, die diese Wirkungen rechtfertigen oder verstärken, vorgeschrieben und erleichtert wird, besonders im Hinblick auf die Festlegung von Preisen oder auf Marktaufteilungsvereinbarungen, schreibt Artikel 81 EG dann der nationalen Wettbewerbsbehörde vor oder erlaubt er ihr, diese Vorschriften nicht anzuwenden und das wettbewerbswidrige Verhalten der Unternehmen zu bestrafen oder es jedenfalls für die Zukunft zu verbieten, und wenn ja, mit welchen Folgen?“

- Rn. 39 –

Diese Frage beantwortete der EuGH eindeutig dahingehend, dass die Pflicht, eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen, nicht nur den nationalen Gerichten obliege, sondern allen staatlichen Organen einschließlich der Verwaltungsbehörden. Er hebt hervor, es würde die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft geschmälert, wenn die nationale Behörde im Rahmen einer Untersuchung über das Verhalten von Unternehmen im Rahmen von Art. 81 EGV nicht feststellen könnte, dass eine nationale Maßnahme gegen Art. 10 EGV in Verbindung mit Art. 81 EGV verstößt und sie daher nicht unangewendet lassen könnte (Rn. 49, 50). Aus der Formulierung „alle Verwaltungsbehörden“ folgt zugleich, dass die genannte Nichtanwendungspflicht - wie schon in früheren Entscheidungen betont - sich nicht allein an Zentralbehörden richtet, sondern eben an alle zuständigen staatlichen Träger, wobei hier – wie noch später auszuführen sein wird – bedeutsam ist, dass im vom EuGH entschiedenen Fall die nationale Behörde von der Nichtanwendung nationaler Vorschriften wegen von ihr – ohne entsprechende Entscheidung des EuGH – so erachteter Gemeinschaftswidrigkeit gerade nicht in einem evidenten Fall, sondern in einem rechtlich komplexen Fall ausging.

Die bis in jüngere Zeit kontinuierliche EuGH-Rechtsprechung zu einer grundsätzlichen Nichtanwendungspflicht auch nationaler Verwaltungsbehörden im Falle einer Kollision mit dem Anwendungsvorrang beanspruchenden Gemeinschaftsrecht ist mithin eindeutig.

Auch das Bundesverwaltungsgericht geht

in seiner Entscheidung vom 29.11.1990 – 3 C 77/87 -, NVwZ 1992, 783 ff.

vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber widerstreitenden nationalem Recht aus. Dieser führt nach den Feststellungen des BVerwG zwar nicht zur Nichtigkeit der nationalen Bestimmungen, verbietet es aber für die Zeit des „Widerspruchs“ die entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen.

Als Zwischenergebnis ist demnach festzustellen, dass sowohl EuGH als auch BVerwG von einer prinzipiellen Nichtanwendungspflicht mitgliedstaatlicher Behörden im Falle der Kollision nationalen Rechts mit vorrangigem Gemeinschaftsrecht ausgehen. Die Behörden müssen sich europarechtskonform verhalten.

Demgegenüber vermögen die von der Antragstellerin umfangreich vorgebrachten Argumente – jedenfalls bei der hier allein möglichen und gebotenen summarischen Betrachtungsweise – nicht zu überzeugen. Sie laufen auf den Standpunkt hinaus, Behörden müssten sich zunächst einmal europarechtswidrig verhalten.

Soweit dieser Standpunkt durch zitierte Rechtsprechung und Literaturhinweise gestützt werden soll, sind diese nach dem Gesamtergebnis der Überprüfung nicht geeignet, der ständigen Rechtsprechung des EuGH etwas Durchgreifendes entgegenzusetzen.

Der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Saarlouis,

so Urteile vom 20.2.1989 – 1 R 102/87 -, NVwZ 1990, 172 ff., vom 9.12.1991 – 1 R 25/91 -, NVwZ 1993, S. 396 ff. und vom 28.5.2001 – 1 N 1/98 –, AS Rheinland-Pfalz-Saarland 29, 175 ff.

ist keinerlei Gemeinschaftsrechtsbezug beziehungsweise Kollision von nationalem Recht mit Gemeinschaftsrecht zu entnehmen; sie ist daher nicht einschlägig.

Es handelt sich dort vielmehr um den Konflikt verschiedenrangiger nationaler Vorschriften. Die Frage, ob die Verwaltung diesen durch „autonome Inzidentverwerfung“ von Normen lösen darf, ist hier nicht zu beantworten.

Soweit von der Antragstellerin das bei Normkollisionen bestehende Verwerfungsmonopol der Verfassungsgerichte nach Art. 100 GG angesprochen wird, ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht über Normkollisionen nationalen Rechts nach dem Maßstab der Verfassung entscheidet und sich nach eigener Rechtsprechung

vgl. Entscheidungen vom 16.3.2004 – 1 BvR 1778/01 – E 110, 141, 155; vom 31.5.1990 – 2 BvR 12, 13/88 u.a.; E 82, 159 (191), vom 9.6.1971 – 2 BvR 225/69 -, E 31, 145 (174 f.)

nicht dazu aufgerufen erachtet, über Fragen der Gültigkeit und Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht im Falle eventueller Kollisionen mit nationalem Recht zu befinden, was wegen der Bindungswirkung des Art. 31 BVerfGG auch problematisch wäre. Das Verwerfungsmonopol ist also für Gemeinschaftsrecht nicht einschlägig. Sofern in diesem Zusammenhang geltend gemacht wird, wenn schon nicht die nationalen Gerichte in eigener Entscheidungszuständigkeit – ohne Anrufung des Verfassungsgerichts – Normen selbst verwerfen könnten, beziehungsweise selbst dieses keine – verfassungsbezogenen - Feststellungen zur Gemeinschaftswidrigkeit treffen könne, könnte dies erst recht nicht eine nationale Verwaltungsbehörde, wird der Unterschied beider Kollisionsfälle und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen verkannt. Bei Gültigkeitsfragen hinsichtlich mit dem GG kollidierender nationaler Vorschriften steht das mit Gesetzeskraft ausgestattete Verwerfungsmonopol allein dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG zu. Nach dem ausschließlich grundgesetzbezogenen Prüfungsmaßstab der Verfassungsbeschwerde ist das BVerfG in diesem Verfahren für eine Rüge der Verletzung von Gemeinschaftsrecht indes nicht zuständig.

Dagegen haben die Fachgerichte nach der übereinstimmenden Rechtsprechung von EuGH und BVerfG hinsichtlich Fragen des Gemeinschaftsrechts eine umfassende Prüfungs- und Verwerfungskompetenz,

hierzu etwa EuGH, Urteile vom 18.4.2002 – C-290/00 – Rn. 31, BVerfG, Entscheidung vom 31.5.1990 a.a.O..

Dies gilt – als „doppeltes“ Prüfungsrecht - in Eil- wie in Hauptsacheverfahren,

hierzu BVerfG, Beschluss vom 19.10.2006, - 2 BvR 2023/06 -, zitiert nach Juris,

wobei in letzteren nach Maßgabe des Art. 234 EGV eine Pflicht zur Vorlage an den EuGH bestehen und bei willkürlichem Verstoß hiergegen eine Verletzung des Art. 101 GG gegeben sein kann

vgl. BVerfG, Entscheidung vom 31.5.1990, a.a.O.; Calliess/Ruffert, a.a.O., Art. 234 Rn. 27 ff.

Die – letztverbindliche - Auslegung von Gemeinschaftsrecht und Feststellung der Vereinbarkeit von nationalem Recht mit diesem fällt in die Entscheidungszuständigkeit des EuGH,

siehe etwa Jarass/Pieroth, GG, 8. Auflage, Art. 23 Rn. 36

nachdem durch das Zustimmungsgesetz zum EWG-Vertrag innerhalb der Grenzen der Ermächtigung Hoheitsrechte an die Europäische Gemeinschaft übertragen wurden. Diesem steht demnach die Kompetenz zu, über Fragen der Auslegung und Gültigkeit von EG-Recht und Reichweite des Vertrags mit innerstaatlicher Verbindlichkeit zu befinden,

hierzu BVerfG, Beschluss vom 8.4.1987 – 2 BvR 687/85 -, E 75, 223 ff = DVBL 1988, 38 ff; siehe bereits Entscheidung vom 9.6.1971 – 2 BvR 225/69 -, E 31, 145 ff. = DVBL 1972, 271.

Allenfalls im Falle – hier nicht in Rede stehender - offenkundiger und schwerwiegender Überschreitung des übertragenen Hoheitsrechts und Abweichens von nach dem GG unabdingbar gewährleistetem Grundrechtsstandard ist eine Kontrolle möglich, wobei das BVerfG nach eigenem Bekunden seine Befugnisse in „Kooperation“ mit dem EuGH auszuüben hat

hierzu BVerfG, Urteil vom 12.10.1993 – BvR 2134, 2159/92 -, E 89, 155, 175.

Die von der Antragstellerin eingehend angeführten Entscheidungen zur Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts und von nationalen Gerichten besagen mithin nichts darüber, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen mithin eine nationale Verwaltungsbehörde – auch vor einer Auslegung von Gemeinschaftsrecht durch den EuGH im konkreten Fall - eine nationale Rechtsvorschrift wegen von ihr festgestellter Gemeinschaftswidrigkeit nicht anwenden darf. Sie sind nicht einschlägig.

Auch aus Art. 20 Abs. 3 GG lässt sich nicht herleiten, dass eine Verwaltungsbehörde unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht – wie hier die Niederlassungsfreiheit nach den Art. 43, 48 EGV –,

zur unmittelbaren Wirksamkeit der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit unabhängig von sekundärrechtlicher Harmonisierung – Grabitz/Hilf, a.a.O. Stand Mai 2001, Art. 43, Rn. 67, 83

unangewendet lassen muss, um entgegenstehendem nationalem Recht – wenn auch eventuell nur temporär – den Vorrang zu verschaffen. Bindung an Recht und Gesetz bedeutet im Falle des Anwendungsvorrangs von unmittelbar geltendem Gemeinschaftsrecht eine Bindung (auch) an dieses (Art. 23 Abs. 1 GG). Normadressat des Gemeinschaftsrechts sind alle nationalen staatlichen Träger ebenso wie umgekehrt der Einzelne sich – anspruchsbegründend – auf dieses Recht berufen kann,

siehe etwa Schulze/Zuleeg, Europarecht 2006, § 13 Rn. 8 ff., 29 ff., 48 ff.

Hieraus folgt, dass auch das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 GG nicht verletzt sein kann.

Eine „Sperrwirkung“ ergibt sich nicht aus dem so genannten Apothekerurteil des BVerfG vom 13.2.1964 – 1 BvL 17/61 u.a. - BVerfGE 17, 232 ff.

Es liegt auf der Hand, dass gerade auf Grund der in der Zwischenzeit erfolgten Gesetzesänderungen und Aufweichungen des Fremd- und Mehrbesitzesverbots und der daraus zu ziehenden Neubewertungen eine Bindung an die damaligen - ohne jeden Gemeinschaftsrechtsbezug getroffenen - Feststellungen der Verfassungsorgane und damit hier der Verwaltung nicht gegeben ist.

Eine abweichende Beurteilung folgt – jedenfalls im Rahmen summarischer Betrachtung – auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.3.2006 -, - 1 BvR 1054/01 - DVBL 2006, 625 ff.

Dort hatte das Bundesverfassungsgericht das (bayerische) Sportwettenmonopol in seiner bisherigen Ausgestaltung wegen Verstoßes gegen Art. 12 GG für verfassungswidrig erachtet (Rn. 119 f.) und dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zum 31.12.2007 eingeräumt, diesen Verstoß auf gesetzlichen Wege auszuräumen (Rn. 156 b). Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht weiter in Rn. 144 betont, dass die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts denen des Grundgesetzes entsprechen und damit implizit auch eine Gemeinschaftswidrigkeit der entsprechenden Regelungen angesprochen.

Da das Bundesverfassungsgericht – wie bereits dargelegt - nach seinem eigenen Verständnis, a.a.O.

siehe in diesem Zusammenhang auch Beschluss vom 7.6.2000 – 2 BvL 1/97 – BVerfGE 102, 147 ff; und Urteil vom 12.10.1993 – 2 BvR 2134, 2159/92 , E 89, 155 ff.

mit Blick auf den Grundrechtsschutzstandard der Gemeinschaftsordnung und dessen Gewährleistung durch den EuGH keine verfassungsbezogenen Feststellungen zur Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts trifft, lässt sich aus genannter Entscheidung nichts unmittelbar über die Frage von Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und Pflicht zur Nichtanwendung nationaler Vorschriften durch Behörden im Kollisionsfalle beziehungsweise (zeitweiser) Anwendung trotz gemeinschaftswidriger Unvereinbarkeit entnehmen.

Auch soweit in diesem Zusammenhang einzelne Obergerichte,

hierzu etwa OVG Münster, Beschlüsse vom 28.6.2006 – 4 B 961/06 – DVBL 2006, 1462 ff; und vom 9.10.2006 – 4 B 898/06 –; Hess. VGH Beschluss vom 25.7.2006 – TG 1465/06 – jeweils zitiert nach Juris

unter strengen Voraussetzungen (inakzeptable Gesetzeslücke und Schutz wichtiger Allgemeininteressen) von einer zeitlich begrenzten Fortgeltung nationaler Vorschriften trotz Unvereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht ausgehen und damit die auf nationales Recht gestützten behördlichen Untersagungsbescheide bestätigt haben, ist aus Sicht des Senats keine zwingende beziehungsweise überzeugende Aussage zur Frage des Anwendungsvorranges von Gemeinschaftsrecht und der Nichtanwendungspflicht gemeinschaftswidrigen nationalen Rechts erkennbar.

Vielmehr entspricht es der Rechtsprechung des EuGH, dass dieser prinzipiell von der aktuellen Anwendbarkeit unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts durch alle staatlichen Träger ausgeht und selbst – nur in Ausnahmefällen, etwa aus Gründen des Vertrauensschutzes bei in die Vergangenheit fallenden Tatbeständen und Gründen der Rechtssicherheit – eine zeitliche Begrenzung der Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht allein mit Blick auf die zeitliche Begrenzung der Wirkung seiner Urteile vornehmen will,

so u.a. etwa EuGH, Urteil vom 16.7.1992 – C-163/90 – Rn. 30 sowie Urteil vom 27.2.1985 – C-112/83 – Rn. 17 für die zeitliche Begrenzung der Ungültigerklärung von Sekundärrechtsakten; eingehend zu zeitlichen Differenzierungen auch Urteil vom 9.9.2003 – C-198/01 – Rn. 55 ff.

Insoweit betraf die vom OVG Münster zur Begründung seiner Auffassung über die temporäre Durchbrechung oder Suspendierung des Anwendungsvorrangs herangezogene Entscheidung des EuGH vom 30.4.1996 – C 194/94 – Rn. 52 f. eine Frage des Auslegungsinhalts einer Richtlinie und gerade nicht des Anwendungsvorrangs.

Eine „Suspendierung“ von primärem Gemeinschaftsrecht durch nationale Gerichte oder andere staatliche Träger wie de facto in den oben genannten Entscheidungen des OVG Münster und des Hess. VGH, a.a.O. erfolgt, würde dazu führen, dass nicht mehr Gemeinschaftsrecht nationales Recht im Sinne eines Anwendungsvorranges „überlagert“, sondern dass nationales Recht oder die Gefahr nationaler Gesetzeslücken Gemeinschaftsrecht - hier Grundfreiheiten aus dem EGV – vorübergehend außer Kraft setzen würde.

Der Senat, der in ständiger Rechtsprechung von dem von Gerichten zu beachtenden grundsätzlichen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts ausgegangen ist

etwa Urteil vom 3.2.2006 – 3 R 7/05 – m.w.N.,

hat – im Rahmen des vorliegenden summarischen Verfahrens – Bedenken, dass einem nationalen Gericht eine derartige Kompetenz zustünde, wenn es nicht mehr um die Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht gegen nationales Recht, sondern de facto um die zeitweise Unwirksamkeitserklärung von primärem Gemeinschaftsrecht geht. In diesen Fällen, in denen Gültigkeit und Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht, vornehmlich von Grundfreiheiten, in Frage stehen, haben – wie nachfolgend im einzelnen ausgeführt - vielmehr die nationalen Gerichte das Verfahren auszusetzen und ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH einzuleiten,

zur Vorlagepflicht im Hauptsacheverfahren, etwa BVerfG, Entscheidung vom 27.4.2005, a.a.O., siehe in diesem Zusammenhang auch Anmerkung Karpenstein zur oben genannten Entscheidung des OVG Münster in DVBl. 2006, S. 1466 f.

Soweit die Antragstellerin aus der

Entscheidung des EuGH vom 6.10.2005 – C-453/03 – Rn. 103 ff. (108)

eine Durchbrechung des Anwendungsvorranges für Entscheidungen und Maßnahmen nationaler Behörden herleiten will, betrifft die zitierte Entscheidung eine andere Sachverhaltskonstellation. Der EuGH hat dort ausgeführt, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes – allein - die Gerichte zu prüfen haben, ob die sofortige Vollziehung des auf Gemeinschaftsrecht beruhenden Verwaltungsakts, hinsichtlich dessen der Erlass einstweiliger Anordnung beantragt wird, dem Antragsteller irreversible Schäden zufügen könnte, die nicht mehr wieder gut zu machen wären, wenn die Gemeinschaftshandlung für ungültig erklärt werden müsste. Nationalen Behörden hat der EuGH eine derartige Befugnis zum Erlass einstweiliger Maßnahmen unter Aussetzung von Gemeinschaftsrechtsakten abgesprochen. Es geht mithin nicht um die hier allein zu beurteilende Frage, ob eine Behörde wie hier geschehen den Anwendungsvorrang von Gemeinschaftsrecht gegen nationales Recht selbstständig durchsetzen darf, sondern um die nicht einschlägige Frage, ob eine Behörde Gemeinschaftsrecht selbstständig suspendieren darf. Nur letztere Befugnis hat der EuGH den Behörden abgesprochen.

Bei summarischer Betrachtung geben demnach sämtliche von der Antragstellerin eingehend angeführte und sonst ersichtliche Entscheidungen für den vorliegenden Fall, in dem die Behörde im Unterschied zu den dort entschiedenen Sachverhalten selbst von einer Gemeinschaftswidrigkeit nationalen Rechts und dem Anwendungsvorrang von Gemeinschaftsrecht ausgegangen ist, nichts Durchgreifendes über die von der Antragstellerin entgegen der Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG bestrittene Nichtanwendungspflicht nachrangigen nationalen Rechts her.

Der Senat folgt der dargelegten Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG. Einen Bedarf für eine noch weiter gehende Begründung, dieser Rechtsprechung zu folgen, sieht der Senat nicht.

Allerdings wird trotz Anerkennung einer prinzipiellen Nichtanwendungspflicht gemeinschaftswidriger nationaler Vorschriften durch Behörden aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und mit Blick auf die Gefahr „anarchischer Verwerfungspraxis“ einschränkend die Auffassung vertreten,

hierzu etwa Calliess/Ruffert, EUV und EGV, 2. Auflage Art. 10, Rn. 43 m.w.N.; Martini, DVBl. 2007, 10 ff.

dass eine derartige Pflicht nur besteht, wenn – was auch die Antragstellerin anführt - der Verstoß der betreffenden Vorschrift gegen Gemeinschaftsrecht vom EuGH in seiner Rechtsprechung festgestellt ist oder der Verstoß offenkundig beziehungsweise evident ist. Derartiges ist fraglos anzunehmen, wenn der EuGH denselben Sachverhalt – bei wesensgleichen Normen in anderen Mitgliedstaaten – bereits entschieden hat.

Sinn macht dieses Evidenzerfordernis bei der Frage von Staatshaftungsansprüchen, die nach der Rechtsprechung

hierzu EuGH, Urteile vom 12.9.2006 – C-300/04 -, Rn. 69, DVBl 2006 1452 f.; vom 13.6.2006 – C-173/03 – Rn. 42, 43, DVBl. 2006, 1105 ff.; vom 30.9.2003 – C-224/01 – Rn. 53 ff.

nur im Falle hinreichend qualifizierter beziehungsweise offenkundiger Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht oder willkürlichen Übergehens gegeben ist. In den beiden letztgenannten Entscheidungen vom 13.6.2006, Rn. 30 und vom 30.9.2003 Rn. 31 hebt der EuGH im Übrigen hervor, dass ein Staatshaftungsanspruch des Einzelnen aufgrund dem Mitgliedstaat zurechenbarer Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht für jeden Verstoß unabhängig davon entstehe, welches Organ dieses Staates durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen habe. Auch dies stützt implizit die Auffassung, dass auch Verwaltungsbehörden Gemeinschaftsrecht zu beachten und durchzusetzen haben, eine sehenden Auges beziehungsweise offenkundig gemeinschaftsrechtswidrige Anwendung nationaler Vorschriften kann auch einer nationalen Behörde nicht angesonnen werden.

Der Begriff des evidenten, offenkundigen oder wie vom Antragsgegner eingeführt „hinreichend manifesten“ Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht mag im Einzelfall schwierig auszufüllen sein.

Der Senat ist bei der hier allein möglichen und gebotenen summarischen Beurteilung der Ansicht, dass es am ehesten der dargelegten Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG zur „Gleichstellung“ von nationalen Behörden und Gerichten in Fragen der Nichtanwendung(spflicht) gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Normen entspricht, eine Überzeugungs-gewissheit über den Verstoß nationaler Bestimmungen gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht als erforderlich aber auch ausreichend zu erachten. Nicht ausreichend wäre eine bloße Vermutung der Gemeinschaftswidrigkeit. Insoweit kommt aus Sicht des Senats jedenfalls dann, wenn sich eine Behörde anhand (hinreichend aussagekräftiger) Feststellungen des EuGH eine Überzeugungsgewissheit über die Auslegung und Tragweite von Gemeinschaftsrecht verschafft hat, bereits dieser eine damit korrespondierende „Inhaltsbestimmung“ auch im Falle der hier in Frage stehenden Niederlassungsfreiheit nach den Art. 43, 48 EGV zu. Wie sich aus der Entscheidung des EuGH vom 9.9.2003 – C-198/01 – „Fiammiferi“ ergibt, kann sich diese Befugnis der Behörde auch auf komplexe keineswegs evident klärbare Rechtsfragen erstrecken. Insbesondere mit Blick auf die dargelegte „Gleichstellung“ von Behörden und Gerichten für die Frage einer gemeinschaftsrechtlich begründeten Nichtanwendungskompetenz durch höchstrichterliche Rechtsprechung und die Auswirkungen bewusst gegenteiligen Handelns für Staatshaftungsansprüche, spricht daher aus Sicht des Senats Überwiegendes dafür, dass auch mitgliedstaatliche Verwaltungsbehörden im Falle (direkter) Kollision nationalen Rechts mit Gemeinschaftsrecht, insbesondere wenn wie hier unmittelbar geltende Grundfreiheiten betroffen sind, prinzipiell den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten und in ihren konkreten Entscheidungen zu verwirklichen haben.

Zusammenfassend ist der Senat der Auffassung, dass die Verwaltung von vornherein zu einem europarechtskonformen Verhalten verpflichtet ist. Dies gilt nach der überzeugenden Entscheidung des EuGH vom 9.9.2003 – C-198/01 – „Fiammiferi“ auch dann, wenn sich die nationale Behörde die Rechtsüberzeugung bildet, dass ein komplexes gesetzliches System gemeinschaftsrechtswidrig ist wie hier geschehen.

Dem Antragsgegner kann mithin die in Anspruch genommene Kompetenz nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung des Senats nicht abgesprochen werden.

Selbst wenn man abweichender Auffassung wäre, wäre bei vorliegender Fallbeurteilung – auch - wesentlich, dass die umstrittene Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis an die Beigeladene ein gebundener Verwaltungsakt ist, der gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbar ist. Dies bedeutet, dass unabhängig von der von der Behörde im Einzelnen ihrer Entscheidung beigefügten Begründung der Entscheidungsausspruch des Verwaltungsakts auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen ist. Einen – überdies - von Dritten einklagbaren Anspruch auf eine „richtige“ Begründung der Behörde gibt es nicht.

Insoweit ist – wie bereits dargelegt - anerkannt, dass die (nationalen) Gerichte das Gemeinschaftsrecht bei ihrer eigenen Überzeugungsbildung in ihre Prüfung einzubeziehen haben. Dies gilt unabhängig davon, welchen Standpunkt die Behörde zum Gemeinschaftsrecht eingenommen hat. Die Überzeugungsbildung erfolgt ohne eine besondere Vermutungsregelung. Im Falle einer Kollision mit nationalem Recht sind die Gerichte befugt, positiv den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts festzustellen und durch Nichtanwendung der widerstreitenden nationalen Vorschrift im konkreten Fall

EuGH in ständiger Rechtsprechung, u.a. Urteile vom 19.9.2006 – C-392/04 und - C-422/04 – Rn. 71ff.; vom 5.10.2004 – C–397/01 bis C-403/01 – Pfeiffer u.a. ./. DRK, DVBl. 2005, 35 ff Rn. 110;.; vom 18.4.2002 – C-290/00 – Rn. 31; vom 26.9.2000 – C-262/98 – Rn. 40, vom 8.6.2000 – C-258/98 – Rn. 16 ff.; vom 22.10.1998 – C-10/97 bis C-22/97 -, Rn. 20; vom 19.6.1990 – C-213/89 – Rn. 19 ff.; BVerwG, Urteil vom 29.11.1990, a.a.O.; siehe etwa auch BayVGH, Beschluss vom 19.4.2005 – 8 AS 02.40041 -, Natur und Recht 2006, 653; OLG München, Urteil vom 26.9.2006 – 5 St RR 115/05 -, NJW 2006, 3588 ff.


diesen in vollem Umfang zu verwirklichen, ohne ein gesetzgeberisches oder verfassungsrechtliches Verfahren abzuwarten

EuGH, Urteil vom 8.6.2000 – C-258/98 – Rn. 16 und vom 15.10.1986 – C-168/85 – Rn. 13 ff.

Dies gilt auch im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes,

hierzu EuGH, Urteile vom 6.12.2005 – C-453/03 – Rn 103 ff., und vom 19.6.1990 – C-213/89 – Rn. 18 ff. ; implizit BVerfG, Beschluss vom 27.4.2005 – 1 BvR 223/05 -, zitiert nach Juris.

Im Falle von Zweifeln an der Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht besteht hingegen hauptsachebezogen eine Vorlagepflicht für jedes Gericht, auch eines Instanzgerichtes

vgl. Geiger, a.a.O., Art. 234 EGV, Rn. 17 f.

Nach Klärung der Kompetenzfrage geht es nunmehr um den Inhalt des vorrangigen Gemeinschaftsrechts.

Maßgeblich ist demnach, wie der Inhalt und der Umfang der Niederlassungsfreiheit nach den Art. 43, 48 EGV und deren zulässiger Einschränkungen – vor allem anhand vorliegender Rechtsprechung des EuGH - ausgelegt werden kann.

Im zweiten zentralen Punkt der Entscheidung geht es um die Übertragbarkeit des Optikerurteils auf Apotheken, die von der Antragstellerin mit eingehender Begründung verneint wird..

Mit seinem Optikerurteil vom 21.4.2005 hat der EuGH – allein - am ausschlaggebenden Maßstab der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit des griechischen Fremd- und Mehrbesitzverbots für Optikergeschäfte geprüft

EuGH, Urteil vom 21.4.2005 – C-140/03 -, zitiert nach Juris sowie zur weiteren Auslegung Schlussanträge des Generalanwalts in diesem Fall vom 7.12.2004 – C-140/03 -, zitiert nach Juris, im Folgenden als Schlussanträge des Generalanwalts bezeichnet.

Nach dem zur Prüfung gestellten griechischen Recht galt für Optikergeschäfte ein Fremdbesitzverbot. Positiv gewendet konnten Optikergeschäfte nur von Inhabern einer Optikerlizenz errichtet werden und mussten von ihnen persönlich geleitet werden; auch die Errichtung einer offenen Handelsgesellschaft durch anerkannte Optiker war zulässig. Dagegen konnten Nichtoptiker (Fremde im Sinne des Fremdbesitzverbots) nicht Eigentümer eines Optikergeschäfts werden und es durch angestellte Optiker betreiben. Dies galt insbesondere für Kapitalgesellschaften wie Aktiengesellschaften, die von einem Eigentum an einem Optikergeschäft vollständig ausgeschlossen waren. Bezogen auf die Niederlassungsfreiheit bedeutete dies, dass Kapitalgesellschaften, die innerhalb der EG rechtmäßig ein Optikergeschäft mit Angestellten betrieben, von einer Niederlassung in Griechenland ausgeschlossen waren. Der nationale gesetzliche Ausschluss juristischer Personen wurde von der griechischen Regierung mit den beiden Argumenten gerechtfertigt, er halte die Gefahr einer vollständigen Kommerzialisierung fern und diene dazu, die öffentliche Gesundheit zu schützen und den persönlichen Kontakt des Optikers mit seinen Kunden zu erhalten.

Optikerurteil, Rn. 33.

Das vorprozessuale Argument der flächendeckenden Verteilung war ungeeignet zur Rechtfertigung des Fremdbesitzverbotes und wurde im Prozess nicht mehr aufgenommen

überzeugend Schlussanträge des Generalanwalts Rn. 27.

Der EuGH hat weder das verbleibende Argument der vollständigen Kommerzialisierung noch des Schutzes der öffentlichen Gesundheit als Verbotsgrund für die primärrechtliche Niederlassungsfreiheit anerkannt. Vielmehr hat er eine Verletzung des Übermaßverbots durch das Fremdbesitzverbot festgestellt (Optikerurteil Rn. 36). Der Kernsatz der knappen Begründung (Rn. 35) lautet:

Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, dass das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, auf das die Hellenische Republik sich beruft, mit Maßnahmen erreicht werden kann, die die Niederlassungsfreiheit sowohl natürlicher Personen als auch juristischer Personen weniger einschränken, z.B. durch das Erfordernis, dass in jedem Optikergeschäft als Arbeitnehmer oder als Gesellschafter diplomierte Optiker anwesend sein müssen, durch die für die zivilrechtliche Haftung für das Verhalten eines Dritten geltenden Vorschriften sowie durch Bestimmungen, die eine Berufshaftpflichtversicherung vorschreiben.

Im Folgenden prüft der Senat die Übertragbarkeit des Urteils zum griechischen Fremdbesitzverbot für Optikergeschäfte auf das deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken. Dabei geht er zunächst auf die Gründe ein, die für die Übertragbarkeit sprechen, und sodann auf die Gründe, die gegen die Übertragung sprechen.

Zunächst sind die Gründe für die Übertragbarkeit des Urteils zu prüfen.

Für die Übertragbarkeit spricht als erster Gesichtspunkt, dass der vom EuGH allein angewendete Beurteilungsmaßstab der Niederlassungsfreiheit des Gemeinschaftsrechts in beiden Fällen identisch ist und der EuGH darüber hinaus nach seinem Selbstverständnis der Einheitlichkeit der Rechtsauslegung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet ist.

Als Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Einschränkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages (Art. 43 und 48 für die Niederlassungsfreiheit und Art. 49 für die Dienstleistungsfreiheit) sind allein diese Vertragsbestimmungen anzuwenden und nicht der Vertragsvorbehalt des Art. 152 Abs. 5 EGV, der die Organisation des Gesundheitswesens den Mitgliedstaaten überantwortet, oder etwa ferner liegende Vorbehalte. In der Rechtsprechung des EuGH ist zwischenzeitlich anerkannt, dass die Mitgliedstaaten ihr Gesundheitswesen in eigener Verantwortung organisieren, aber verpflichtet sind, ihre nationalen Systeme an die Grundfreiheiten des Vertrages anzupassen

EuGH, Urteil vom 16.5.2006 – C-372/04 -, Urteil Watts, dort Rn. 146 und 147 für die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EGV.

Konkret einschlägige Rechtsgrundlage im ausschlaggebenden primären Gemeinschaftsrecht sind die beiden Regelungen der Niederlassungsfreiheit in Art. 43 EGV und Art. 48 EGV. Artikel 43 garantiert für natürliche Personen die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EG durch Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Art. 48 EGV. Artikel 48 EGV erstreckt nach seinem klaren Inhalt die Niederlassungsfreiheit auf Gesellschaften einschließlich juristischer Personen und damit der Kapitalgesellschaften und stellt sie den natürlichen Personen ausdrücklich gleich. Die Vorschrift bedeutet, dass nach dem Vertrag juristische Personen im gleichen Maß Niederlassungsfreiheit genießen wie natürliche

Schlussanträge des Generalanwalts, Rn. 47; Gleichstellung im Optikerurteil Rn. 35 als „Niederlassungsfreiheit sowohl natürlicher Personen als auch juristischer Personen“.

Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften genießen nach Art. 48 Abs. 2 EGV vertragsgemäß dieselbe Niederlassungsfreiheit.

Mithin hat eine Kapitalgesellschaft jeder Branche im gesamten EG-Raum Niederlassungsfreiheit, ohne dass darin aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts eine Verfälschung des Wettbewerbs liegt.

Dabei ist auch der Rang der Niederlassungsfreiheit von Bedeutung. Nach dem neueren Rechtsverständnis des EuGH handelt es sich nicht um ein bloßes Diskriminierungsverbot, sondern um eine grundlegende Freiheit

EuGH im Fall Kraus, Urteil vom 31.3.1993 – C-19/92 – Rn. 16, zitiert nach Juris; zum älteren Verständnis der Niederlassungsfreiheit lediglich als Diskriminierungsverbot noch EuGH, im Laborfall, Urteil vom 12.2.1987 – 221/85 – zitiert nach Juris.

Die Niederlassungsfreiheit ist nach dem Verständnis des EuGH ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts.

EuGH im Fall Kraus, Urteil vom 31.3.1993 – C-19/92 – , Rn. 19.

Die Niederlassungsfreiheit ist untrennbar mit der europäischen Einheit verbunden.

Generalanwalt, Schlussanträge zum Optikerurteil Rn. 19.

Der hohe Rang der Niederlassungsfreiheit im Gemeinschaftsrecht schließt es aus, den Gehalt der Niederlassungsfreiheit durch bloße Erwägungsgründe in sekundärrechtlichen Richtlinien in Frage zu stellen, wie dies teilweise versucht wird.

Weiterhin kommt der Rang der Niederlassungsfreiheit dadurch zum Ausdruck, dass Behinderungen abgesehen von zusätzlichen weiteren Rechtfertigungs-voraussetzungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn dafür zwingende Gründe des Allgemeininteresses vorliegen

EuGH, Optikerurteil Rn. 34; grundlegend bereits EuGH im Urteil Gebhard vom 30.11.1995 – C-55/94 -, Rn. 37 dort mit dem kumulativ anzuwendenden Schrankenquartett, dass die Behinderungen nicht diskriminierend sein dürfen, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt, zur Zielverwirklichung geeignet sein müssen und nicht darüber hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

Zu dem hohen Rang der Niederlassungsfreiheit, wonach ein Niederlassungsverbot für Kapitalgesellschaften an zwingende Gründe knüpft, kommt das Selbstverständnis des EuGH, der die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten sicher stellen soll

EuGH, Urteil vom 24.5.1977 – C-107/76 -, Hoffmann-La Roche, dort zum Sinn der Vorlagepflicht an den EuGH.

Nach diesem ersten Gesichtspunkt spricht alles dafür, dass der EuGH die sehr strengen Voraussetzungen im Sinne zwingender Gründe für das Verbot der Niederlassungsfreiheit von Kapitalgesellschaften, denen das griechische Fremdbesitzverbot für Optikergeschäfte gemeinschaftsrechtlich nicht standgehalten hat, auch auf das deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken übertragen wird. Die Niederlassungsfreiheit kommt allen Kapitalgesellschaften des EG-Raums zugute.

Als zweiter wesentlicher Gesichtspunkt für die Übertragbarkeit des Optikerurteils auf die deutsche Regelung spricht die gleiche Problemstruktur. Es geht um das gleiche Problem. Gemeinschaftsrechtlich zu prüfen ist in beiden Fällen ein Fremdbesitzverbot mit einem vollständigen Niederlassungsverbot für Kapitalgesellschaften. Nach der vom EuGH überprüften griechischen Regelung von Art. 6 Abs. 6 des griechischen Gesetzes Nr. 971/79

werden Optikergeschäfte von den Inhabern der für ihren Betrieb erteilten Genehmigung persönlich geleitet.

Die hier zu prüfende deutsche Regelung in § 7 Satz 1 ApoG lautet:

Die Erlaubnis verpflichtet zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung.

Eine Kapitalgesellschaft kann eine Apotheke nicht persönlich leiten, sondern nur durch Angestellte. Wie der Generalanwalt herausgearbeitet hat, liegt es in der Logik der dargestellten rechtlichen Regelung der persönlichen Leitung, dass nur Formen der Personalgesellschaft zugelassen werden

Generalanwalt, Schlussanträge zum Optikerurteil vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 51.

Auch die deutsche Regelung bestimmt in § 8 Satz 1 ApoG, dass mehrere Personen zusammen eine Apotheke nur in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft betreiben können. Bezogen auf Kapitalgesellschaften haben beide Regelungen eine Verbotsstruktur, keine Kontrollstruktur. Kapitalgesellschaften werden nicht strengeren Kontrollen unterworfen als natürliche Personen und Personengesellschaften, sondern ihnen wird eine Niederlassung ausnahmslos verboten.

Die vom Senat festgestellte Gleichheit der Problemstruktur im griechischen und deutschen Recht wird nicht dadurch berührt, dass in anderen europäischen Ländern bei geringer Harmonisierung der Apothekenorganisation andere Organisationsmodelle des Apothekenrechts bestehen wie einschränkende Konzessionsmodelle oder etwa das schwedische Staatsmonopol, das auf einer Sonderregelung des EG-Vertrages beruht

vgl. zum schwedischen Staatsmonopol die Sonderregelung in Art. 31 Abs. 1 EGV, die staatlichen Handelsmonopolen Bestandsschutz mit der Auflage einer diskriminierungsfreien Arbeitsweise gewährt und das in diesem Rahmen ergangene Urteil des EuGH vom 31.5.2005 – C-438/02 -, das dementsprechend das schwedische Staatsmonopol bestehen lässt (Rn. 34, 35), aber eine diskriminierende Arbeitsweise des Systems feststellt (Rn. 44).

Diese Sonderregelung des EG-Vertrages ist hier nicht einschlägig und hat für die weitere Fallentscheidung keine Bedeutung. Ebenso wenig kommt es auf das norwegische Apothekenmodell und dessen Entwicklung an.

Weiter spricht mit Gewicht für die Übertragbarkeit des Optikerurteils auf das deutsche Fremdbesitzverbot die dem Optikerurteil nach den Ausarbeitungen des Generalanwaltes zugrunde liegende Problemlösung. Nach dieser Lösung dürfen die Gefahren nur in dem Bereich bekämpft werden, wo sie auch wirklich sind. Unterschieden wird deshalb in den Geschäften ein interner und externer Bereich

Schlussanträge des Generalanwalt vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 34.

Der interne Bereich umfasst das Eigentum an dem Geschäft. Der externe Bereich umfasst dagegen die Beziehungen zu Kunden oder Patienten.

Diese Betrachtung lässt sich ohne Weiteres von dem Optikergeschäft auf eine Apotheke übertragen, zumal bereits die Wortwahl des Generalanwalts, die „Patienten“ einschließt, diese Betrachtung nahe legt.

Wesentlich für die Übertragbarkeit ist der Sinn dieser Lösung. Es geht nicht etwa um eine formelle, begriffsjuristische Zerlegung eines einheitlichen Geschäfts in zwei künstliche Bereiche. Vielmehr hat die Lösung nach der Interessenjurisprudenz den Sinn, bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit weniger schwer wiegende Folgen für die gemeinschaftsrechtliche Freiheit zu erreichen

Generalanwalt, Schlussanträge vom 7.12.2004, Rn. 36.

Die Trennung der Bereiche ermöglicht bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung die klare Unterscheidung, in welchem Bereich die Gesundheitsgefahren für die Patienten vorhanden sind und in welchem Bereich die zu prüfenden staatlichen Maßnahmen ansetzen. Mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit existiert kein „Vorsorgeprinzip“ derart, dass ein nationaler Staat zunächst einmal die Niederlassungsfreiheit vorbeugend verbieten darf. Der Staat darf die Gefahren nur dort bekämpfen, wo sie auch sind.

Aus der Sicht des Gemeinschaftsrecht liegen die Gesundheitsgefahren im Umgang mit dem Patienten und den schädlichen Konsequenzen einer Fehlberatung. Diesen Bereich hat der EuGH im Auge, soweit er darlegt, dass das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dadurch zu erreichen ist, dass in jedem Optikergeschäft als Arbeitnehmer oder als Gesellschafter diplomierte Optiker anwesend sein müssen. Auch die EU-Kommission bezieht das Anliegen des Gesundheitsschutzes auf die Abgabe von Arzneimitteln, die ausschließlich von professionellem und qualifizierten Personal durchgeführt werden soll

Beschluss der EU-Kommission vom 28.6.2006 – IP/06/858 -, Seite 3, dort zum Vertragsverletzungsverfahren mit Blick auf das spanische Fremdbesitzverbot.

Dagegen setzt das Fremdbesitzverbot zum Gesundheitsschutz im internen Bereich ein, nämlich bei der Eigentumsform.

Aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts muss die öffentliche Gesundheit der Patienten aber nicht vorbeugend vor der Eigentumsform der Kapitalgesellschaft geschützt werden. Das Fremdbesitzverbot vermischt den internen Bereich der Inhaberschaft mit dem externen Bereich der angebotenen Dienstleistungen

Generalanwalt, Schlussanträge vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 55.

Wesentlich ist, dass die Vermischung der beiden Bereiche im Fremdbesitzverbot zum Nachteil der im Vertrag vorgesehenen Grundfreiheit erfolgt

Generalanwalt, Schlussanträge vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 55.

Trennt man dagegen die beiden Bereiche der Patientenbeziehung und der Eigentumsform, so hätte dies bei der Prüfung des Übermaßverbotes weniger schwerwiegende Folgen für die gemeinschaftsrechtliche Freiheit

Generalanwalt, Schlussanträge vom 7.12.2004 – C-140/03 -.

Es wird klar erkennbar, dass das staatliche Verbot der Niederlassungsfreiheit nicht dort ansetzt, wo die Gefahr ist.

Damit schließt sich der Argumentationskreis des Generalanwalts, dem der EuGH erkennbar gefolgt ist. Der EuGH prüft die griechische Regelung mit Blick auf zwingende Gründe des Schutzes der öffentlichen Gesundheit (Rn. 31), stellt fest, dass für diesen Zweck die Anwesenheit diplomierter Optiker als Arbeitnehmer oder als Gesellschafter – mithin unabhängig von der Eigentumsform – ausreicht (Rn. 35) und damit die streitigen Beschränkungen wie das griechische Fremdbesitzverbot über das hinausgehen, was erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen (Rn. 36). Das Übermaßverbot ist verletzt.

Diese Argumentation lässt sich nicht nur formell mit der Trennung der beiden Bereiche exakt vom Optikergeschäft auf die Apotheke übertragen. Vielmehr ist der Zweck der Lösungskonstruktion, nämlich weniger schwerwiegende Folgen für die gemeinschaftsrechtliche Freiheit zu erreichen, in beiden Fällen vollständig gleich. Der vollständig gleiche Zweck spricht mit großem Gewicht für die Übertragung der europäischen Lösung im griechischen Fremdbesitzverbot auf das deutsche Fremdbesitzverbot.

Für weitere europäische Fremdbesitzverbote für Apotheken wie im italienischen, spanischen und österreichischen Recht hat die Kommission diese Konsequenz auch schon gezogen und Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV eingeleitet

Beschluss der EU-Kommission vom 28.6.2006 – IP/06/858 -.

In dem dargelegten Beschluss hält die EU-Kommission ein Verbot für Kapitalgesellschaften, Apotheken zu erwerben, für gemeinschaftswidrig. Sie ist der Auffassung, die Qualität der von einer Apotheke erbrachten Dienstleistung sollte durch Kontrollen und Formen der professionellen Verantwortung sichergestellt werden statt durch die Rechtsform der Apotheke. Gerade dafür beruft sie sich auf die Begründung des EuGH in seinem Urteil vom 21.4.2005 zu Beschränkungen für Optikergeschäfte in Griechenland, die die EU-Kommission ausdrücklich als „vergleichbare Beschränkungen“ ansieht

Beschluss der EU-Kommission vom 28.6.2006 – IP/06/858 -, S. 4.

Darüber hinaus hat auch bereits der Generalanwalt in dem griechischen Optikerfall eine Parallele zwischen dem griechischen Optikerrecht und dem deutschen Apothekenrecht gezogen. Er hat die griechische Regel „ein Fachmann pro Betrieb“ mit der deutschen Regel „ein Apotheker in seiner Apotheke“ verglichen

Generalanwalt, Schlussanträge vom 7.12.2004 – C-140/03 – Rn. 27 in Verbindung mit der Anmerkung 12 im Anhang.

Die europäischen Instanzen des Generalanwaltes und der Kommission halten erkennbar die gemeinschaftsrechtliche Behandlung des Fremdbesitzverbots im Optikerrecht und im Apothekenrecht für vergleichbar. Dafür spricht in der Sache selbst der gewichtige Grund, dass die vom Generalanwalt vorbereitete Lösung des Fremdbesitzproblems weniger schwer wiegende Folgen für die gemeinschaftsrechtliche Freiheit erreichen soll. Der Staat soll die Gesundheitsgefahren nur dort bekämpfen, wo sie auch sind.

Dies spricht mit Gewicht für die Übertragbarkeit des Urteils.

Nach der Darlegung der Gründe für die Übertragung des Optikerurteils ist auf die Gründe einzugehen, die dagegen sprechen.

Bei der Sichtung des Streitstoffs kann es dabei nicht auf schlichte Besonderheiten der Apothekendienstleistung und der Apothekenwaren ankommen. Denn die Grundfreiheiten des EG-Vertrages gelten ungeachtet der Besonderheiten bestimmter Dienstleistungen etwa auch für Krankenhausleistungen

so EuGH, Urteil vom 12.7.2001 – C-368/98 -, Rn. 42, Urteil Vanbraekel, dort für Krankenhausleistungen.

Vielmehr können nur grundlegende Unterschiede mit Gewicht einer Übertragung des Optikerurteils auf Apotheken entgegenstehen.

Daran gemessen sind unter Würdigung des gesamten außerordentlich umfangreichen Streitstoffs nur drei relevante Argumente ersichtlich: Die Gesichtspunkte des grundlegend höheren Gesundheitsrisikos, der grundsätzlich höheren Verantwortung und des grundlegend höheren Kommerzialisierungsrisikos jeweils bei Apotheken. Der Senat geht nacheinander auf diese drei zentralen Argumente ein.

Das erste grundsätzliche Argument der Antragstellerin betrifft das Gesundheitsrisiko: Bei völlig unterschiedlichem Risikopotenzial sei das Gesundheitsrisiko bei Apotheken hoch, bei Optikern dagegen gering, so dass ein beträchtliches Gefälle im Gesundheitsrisiko bestehe. In der Folgewirkung des verwirklichten Gesundheitsrisikos komme es letztlich zu einer Gefährdung der finanziellen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme, das heißt des Versicherungssystems. Deshalb diene das Fremdbesitzverbot dem vorbeugenden Gesundheitssschutz.

Überzeugend daran ist, dass Beratungsfehler bei der Abgabe von Arzneimitteln zu Medikamentenfehlgebrauch oder Medikamentenmissbrauch führen können mit schwer wiegenden, unter Umständen letalen Folgen und zusätzlich einer Belastung der Versicherungen. Von einem geringen Gesundheitsrisiko bei Brillen und Kontaktlinsen kann allerdings nur gesprochen werden, wenn man die erkennbare Unfallträchtigkeit fehlerhafter Brillen außer Betracht lässt. Ein stärkeres Gesundheitsrisiko für die Tätigkeit der Apotheker wird aber bei realistischer Betrachtung anzuerkennen sein.

Nach dem dargelegten europarechtlichen Ansatz des EuGH und des Generalanwaltes liegt aber die entscheidende Weichenstellung für die Niederlassungsfreiheit bereits darin, welchem Bereich dieses Gesundheitsrisiko einschließlich der Folgewirkungen für Versicherungen zuzurechnen ist. Die Gesundheitsgefahren für die Patienten einer Apotheke liegen dort, wo die Arzneimittel abgegeben werden und die Beratung erfolgt. Aus der Sicht der europäischen Instanzen liegt das legitime Anliegen der Bekämpfung der Gesundheitsgefahr darin sicherzustellen, dass die Abgabe von Arzneimitteln ausschließlich von professionellem und qualifiziertem Personal durchgeführt wird

so überzeugend Kommission, Beschluss vom 28.6.2006 – IP/06/858 -, S. 3.

Nach der überzeugenden Rechtsprechung des EuGH im Optikerurteil genügt es, dass das „Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit“ durch das Erfordernis, dass in jedem Optikergeschäft als Arbeitnehmer oder als Gesellschafter diplomierte Optiker anwesend sein müssen, erreicht werden kann

EuGH, Optikerurteil vom 21.4.2005 – C-140/03 – Rn. 35.

Das Optikerurteil des EuGH beruht auf den ausführlicher begründeten Schlussanträgen des Generalanwalts; danach kommt es beim Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht so sehr darauf an, wer das Geschäft leitet, als vielmehr darauf, dass der Kunde, wenn der Kauf eines Optikerartikels ansteht, von qualifiziertem Personal bedient wird

EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts im Optikerfall vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 41.

Die europäischen Instanzen EuGH, Generalanwalt und Kommission stellen überstimmend auf die Gesundheitsgefahren beim Patientenumgang ab. Die Kommission hat den Gedankengang des EuGH und des Generalanwalts zum Patientenumgang überzeugend auf Apotheken übertragen (Beschluss vom 28.6.2006 – IP/06/858 -, S. 3) und dazu ausgeführt:

Die Qualität der von einer Apotheke erbrachten Dienstleistung sollte vielmehr durch Kontrollen und Formen der professionellen Verantwortung sichergestellt werden als durch die Rechtsform einer Apotheke.

Man kann diesen europäischen Gedankengang auf den klaren Nenner bringen, dass es europarechtlich keinen vorbeugenden Gesundheitsschutz der Patienten vor der Rechtsform einer Apotheke gibt.

Schon deshalb greift das Gegenargument nicht durch.

Weiterhin lässt sich auch feststellen, dass das Gesundheitsrisiko der Patienten von Optikern und von Apothekern aus der Sicht des Europarechts nicht als unvergleichlich angesehen werden kann. Könnte man das Gesundheitsrisiko der Tätigkeit von Optikern nicht mit demjenigen der Apotheker vergleichen, könnte man es erst recht nicht mit demjenigen der Ärzte vergleichen. Im Gegensatz dazu wird aber im Europarecht das Gesundheitsrisiko bezogen auf Optiker und auf Ärzte als vergleichbar und für die Rechtsprechung übertragbar angesehen. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Gesundheitsgefahren geht der Generalanwalt darauf ein, ob sich ein Fachmann ununterbrochen in der Nähe des Patienten oder Kunden aufhalten muss; eine ununterbrochene Anwesenheitspflicht verneint der Generalanwalt sowohl für Ärzte als auch für Augenoptiker und sieht dabei „keine Schwierigkeiten“, die Präsenzrechtsprechung für Ärzte auf Augenoptiker zu übertragen

Generalanwalt, Schlussanträge im Optikerfall vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 37; bei der übertragenen Präsenzrechtsprechung für Ärzte handelt es sich um das Urteil des EuGH vom 16.6.1992 – C-351/90 -, in dem der EuGH die luxemburgische Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für Ärzte verwirft, wonach ein Arzt nur in einer Praxis tätig sein darf.

Sind mithin aus der Sicht des Europarechts die Gesundheitsgefahren durch Optiker und durch Ärzte vergleichbar, so sind auch die hier einschlägigen Gesundheitsgefahren durch Optiker und durch Apotheker vergleichbar. Im Rahmen dieser vergleichbaren Gesundheitsgefahren ist die Rechtsprechung des EuGH zu übertragen.

Das Gegenargument einer unvergleichbar größeren Gesundheitsgefahr hat nach allem für den Senat keine hinreichende Überzeugungskraft. Es steht der Übertragung des Optikerurteils auf die Apotheken mithin nicht entgegen.

Ein zweiter grundlegender Gesichtspunkt gegen die Übertragung des Optikerurteils auf Apotheker ist das Argument der wesentlich höheren Verantwortlichkeit des Apothekers; es gehe um ein andersartiges Berufsbild mit Approbation, mit höheren Persönlichkeitsanforderungen und aufgrund der Qualifikationsrichtlinie gemeinschaftsweit höheren Ausbildungsanforderungen im Sinne einer Universitätsausbildung, die für den Optikerberuf nicht verlangt wird.

Das Argument führt auf eine Grundsatzfrage zurück: Kann volle Verantwortlichkeit in einem persönlichen Vertrauensverhältnis einem Angestellten anvertraut werden, der von Weisungen seines Arbeitgebers abhängig ist und entlassen werden kann? Diese im Verfahren aufgeworfene Grundsatzfrage braucht jedoch vom Senat nicht neu entschieden zu werden; vielmehr ist sie in der Rechtsprechung des EuGH bereits entschieden. Das strukturgleich griechische Fremdbesitzverbot war von der Regierung wie folgt gerechtfertigt worden (Schlussanträge des Generalanwalts im Optikerfall vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 29): Nach Ansicht der beklagten Regierung soll die streitige rechtliche Regelung das persönliche Vertrauensverhältnis im Bereich des Handelns mit Optikartikeln erhalten sowie die absolute Verantwortlichkeit des diplomierten Fachmanns, der seinerseits Inhaber des Geschäfts ist, gewährleisten. Im Gemeinschaftsrechtsstreit vorgetragen war also der Gesichtspunkt der absoluten Verantwortlichkeit von Angestellten.

Zur Gewährleistung der Verantwortlichkeit hält es der EuGH in seinem bereits entschiedenen Optikerurteil für ausreichend, dass diplomierte Optiker als Arbeitnehmer anwesend sein müssen und außerdem eine Berufshaftpflichtversicherung vorgeschrieben wird

EuGH, Urteil vom 21.4.2005 – C-140/03 – Rn. 35.

Damit ist es aber für das Europarecht bereits entschieden, dass die Struktur eines Angestelltenverhältnisses mit Weisungsgebundenheit und Entlassungsmöglichkeit nicht der vollen Verantwortlichkeit in einem Gesundheitsberuf mit persönlichem Vertrauensverhältnis entgegensteht. Im Übrigen geht auch das deutsche Recht wohl nicht von dem Grundsatz aus, dass in einem Gesundheitsberuf absolute Verantwortlichkeit und Angestelltenverhältnis unvereinbar sind, mithin einem angestellten Krankenhausarzt keine Operation anvertraut werden darf. Für das hier einschlägige Gemeinschaftsrecht ist festzuhalten, dass die Frage der absoluten Verantwortlichkeit eines Angestellten in einem Gesundheitsberuf als solche bereits von dem EuGH entschieden ist, dem sich der Senat anschließt.

Für das Verantwortlichkeitsargument geht es mithin nur noch um die Frage, ob für Angestellte die vom EuGH bejahte volle Verantwortlichkeit des Optikers auf die volle Verantwortlichkeit des Apothekers übertragen werden kann.

Diese Frage ist zu bejahen.

Zwar mag die Verantwortung des Apothekers, gemessen an der Approbation und den Ausbildungsanforderungen, höher einzuschätzen sein als die Verantwortung des Optikers.

Das Argument hat aber nicht die Konsequenz einer Unübertragbarkeit des Optikerurteils auf Apotheker. Nimmt man das Argument isoliert, so kann bei einem Vergleich der Angestellten einem deutlich besser ausgebildeten Apotheker die volle Verantwortlichkeit erst recht anvertraut werden, die einem weniger ausgebildeten Optiker nach der EuGH-Rechtsprechung anvertraut werden muss. Einfacher ausgedrückt: Die höhere Ausbildung der Apotheker rechtfertigt sicher nicht ein durchgreifendes Misstrauen in die voll verantwortliche Berufsausübung. Betrachtet man das Argument also isoliert, widerlegt es sich wie dargelegt von selbst.

Allerdings wird man dem Argument bei isolierter Betrachtung nicht voll gerecht, denn die gemeinschaftsweit auf Grund der Qualifikationsrichtlinie höheren Ausbildungsanforderungen entsprechen dem höheren Gesundheitsrisiko, sind in sich also sachlich begründet. Bei dieser Betrachtung stehen sich aber Fachleute gegenüber, die für ihr jeweiliges Gesundheitsrisiko vergleichbar ausgebildet worden sind. Diese wohl realistische Betrachtungsweise stellt auch der Generalanwalt für den Fachmann im Gesundheitswesen an

Schlussanträge des Generalanwalts im Optikerfall vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 37.

Auf der Ebene des sachangemessen ausgebildeten Fachmanns ist die Verantwortlichkeit im Umgang mit Patienten oder Kunden durchaus vergleichbar. So vergleicht der Generalanwalt unmittelbar die Verantwortlichkeit des Arztes und des Augenoptikers und sieht beide als Fachmann an

Schlussanträge des Generalanwalts im Optikerfall vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 37.

Bezogen auf die Verantwortlichkeit des Fachmanns mit Blick auf die Nähe zum Patienten sieht der Generalanwalt keine Schwierigkeiten, die EuGH-Rechtsprechung für Ärzte auch auf Augenoptiker zu übertragen

Schlussanträge des Generalanwalts im Optikerfall vom 7.12.2004 – C-140/03 -, Rn. 37.

Die Approbation des Arztes und sein Risiko des Approbationsentzugs machen danach für die maßgebende Niederlassungsfreiheit keinen wesentlichen Unterschied.

Ist aber aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts die Verantwortlichkeit des nich approbierten Augenoptikers mit der Verantwortlichkeit des approbierten Arztes durchaus vergleichbar, so ist sie konsequenterweise auch mit der Verantwortlichkeit des approbierten Apothekers vergleichbar. Die Vergleichbarkeit für die Niederlassungsfreiheit liegt darin, dass angestellte Ärzte, Apotheker und Augenoptiker sachangemessen für ihren Beruf so ausgebildet werden, dass sie die volle Verantwortlichkeit in ihrem Beruf mit einer zusätzlichen Berufshaftpflichtversicherung übernehmen können. Unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit vergleicht auch die Kommission die professionelle Verantwortung in den Apotheken mit der bereits vom EuGH entschiedenen professionellen Verantwortung in den Optikergeschäften

Beschluss der EU-Kommission vom 28.6.2006 – IP/06/858 -, Seite 3/4.

Das Verantwortlichkeitsargument führt nach allem bei realistischer Betrachtungsweise dazu, dass der sachangemessen ausgebildete angestellte Fachmann in seinem Beruf aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts gleichmäßig die volle Verantwortlichkeit übernehmen kann; betrachtet man das Verantwortlichkeitsargument mit Blick auf die gemeinschaftsweit nach der Qualifikationsrichtlinie höhere Ausbildung der Apotheker isoliert, besteht kein vernünftiger Grund, dem besser ausgebildeten Apotheker als Angestelltem weniger zuzutrauen als der EuGH dem angestellten Optiker.

Man kann diesen Gesichtspunkt auf den europarechtlichen Nenner bringen, dass Apotheker mindestens so gut für den Patientenumgang ausgebildet sind wie Optiker und deshalb kein vernünftiger Grund besteht, ihnen mehr Misstrauen entgegenzubringen. Das Gegenargument ist also ohne Überzeugungskraft.

Als dritter grundlegender Gesichtspunkt gegen die Übertragung des Optikerurteils auf Apotheken werden das Kommerzialisierungsrisiko und Konzernierungsrisiko speziell bei Apotheken durch die Zulassung von Kapitalgesellschaften angeführt. Gemeint ist damit im Einzelnen ein besonders hohes Risiko der Kommerzialisierung im Sinne eines übersteigerten Gewinnstrebens bis hin zu betrügerischem Vorgehen, sowie einer Steigerung des Marktanteils bis hin zu einer Konzernierung im Sinne eines „Gesundheitskonzerns“ aus Arzneimittelherstellern, Apothekern und Ärzten.

Gerade diesen Gesichtspunkt hat die Antragstellerin sehr umfassend dargestellt und ausgebaut.

Zu dem tatsächlichen Gehalt dieses Arguments ist vorweg klarzustellen: Es kann hier entgegen dem eingehenden Ansatz der Antragstellerin nicht um einen Vergleich der Unternehmenskultur im Sinne eines Wirklichkeitsbilds der Kapitalgesellschaft einerseits und eines bloßen Idealbilds des persönlichen Apothekeneigentümers andererseits gehen. Bleibt man auf der Wirklichkeitsebene, hat das Kommerzialisierungsargument durchaus einen Tatsachengehalt. Realistischerweise muss gesehen werden, dass zumindest Kapitalgesellschaften mit größerer Kapitalausstattung eine Kommerzialisierung in Form der offensiven Ausweitung ihres Marktanteils im größeren Rahmen betreiben können als Einzelpersonen; auch ein etwaiges betrügerisches Vorgehen kann insgesamt in größerem Rahmen erfolgen.

Der Grund für die anzuerkennende Gefahr einer solchen offensiven Geschäftspolitik der Marktausweitung ist klar erkennbar das Renditeinteresse der Kapitaleigentümer. Dieses Renditeinteresse der Kapitaleigentümer an einer raschen Ausweitung des Marktanteils ist aber grundsätzlich gleich, ob der Kapitalgesellschaft nun Optikergeschäfte gehören wie im Optikerurteil des EuGH oder Apotheken. Von dem Renditeinteresse her kann ein grundlegender Unterschied realistischer Weise nicht anerkannt werden. Schon damit verliert das Argument die Überzeugungskraft.

Wesentlich ist aber auch die Konsequenz, die die Rechtsprechung des EuGH aus der Gefahr der vollständigen Kommerzialisierung bis hin zu Betrugsfällen für die Niederlassungsfreiheit der Kapitalgesellschaften zieht.

Sowohl im Optikerurteil als auch im Gambelliurteil hat der EuGH eine einheitliche Linie

Optikerurteil, EuGH, Urteil vom 21.4.2005 – C-140/03 -, zitiert nach Juris, sowie Gambelliurteil, Urteil des EuGH, vom 6.11.2003 – C-243/01 -, zitiert nach Juris.

Im Optikerfall hatte die griechische Regierung argumentiert (Wiedergabe im Urteil des EuGH vom 21.4.2005 – C-140/03 -, Rn. 33), das Fremdbesitzverbot und das Mehrbesitzverbot hielten

die Gefahr einer vollständigen Kommerzialisierung der Geschäfte für optische Artikel fern.

Der EuGH hat aber im Optikerurteil der Gefahr der vollständigen Kommerzialisierung keine Bedeutung als Verbotsgrund für die Niederlassungsfreiheit beigemessen und diese Gefahr offenbar nicht einmal als zwingenden Grund des Allgemeininteresses angesehen

EuGH, Optikerurteil vom 21.4.2005 – C-140/03 -, Rn. 34-36.

Auf die Kommerzialisierungsgefahr in ihrer zugespitzten Form als kriminelle oder betrügerische Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft ist der EuGH ausdrücklich in dem Gambelliurteil im Zusammenhang mit Sportwetten eingegangen

Gambelliurteil, Urteil des EuGH, vom 6.11.2003 – C-243/01 -, Rn. 74.

Danach sieht der EuGH durchaus die Gefahr, dass Kapitalgesellschaften bei der Vermittlung von Sportwetten kriminelle oder betrügerische Tätigkeiten entfalten können. Ungeachtet dieser Gefahr ist danach der Ausschluss der Kapitalgesellschaften vom Markt ein Verstoß gegen das Übermaßverbot, da es Mittel gibt, die Konten und Tätigkeiten dieser Kapitalgesellschaften zu kontrollieren. Eine strengere Kontrolle von Kapitalgesellschaften mag durchaus angebracht sein. Insbesondere mag auch die Integrität der Unternehmensvertreter und Hauptaktionäre kontrolliert werden

so überzeugend Generalanwalt in den Schlussanträgen vom 16.5.2006 – C-338/04 – betreffend den Glücksspielsektor.

Zusammengefasst sieht der EuGH in der von ihm erkannten Kommerzialisierungsgefahr im Sinne eines übersteigerten Gewinnstrebens bis hin zu betrügerischen Tätigkeiten einen Kontrollgrund, aber keinen Verbotsgrund für die Niederlassungsfreiheit.

Da die dargelegte Kommerzialisierungsgefahr von dem im Wesentlichen gleichen Renditeinteresse der Kapitaleigentümer ausgeht, kann es für diese Rechtsprechung keinen wesentlichen Unterschied bedeuten, ob die Kapitalgesellschaft Optikergeschäfte oder Apotheken besitzt. Die Kommerzialisierungsgefahr besteht grundsätzlich in gleicher Weise und das Übermaßverbot führt unverändert zu dem Ergebnis, dass ein Kontrollgrund, aber kein Verbotsgrund vorliegt.

Nichts anderes gilt für die von der Antragstellerin umfassend dargestellte Konzernierungsgefahr im Sinne der Gefahr der Bildung eines „Gesundheitskonzerns“ aus Arzneimittelherstellern, Apothekern und Ärzten. Hinzuzufügen ist: Auch Optikergeschäfte könnten in einen solchen „Gesundheitskonzern“ aufgenommen werden.

Diese anzuerkennende Gefahr ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durch das Kartellrecht zu beherrschen. Verboten wird dann gegebenenfalls die branchenübergreifende Zusammenlegung als solche, nicht aber im Vorfeld die Niederlassungsfreiheit der Branchen selbst. So ist der EuGH auch im Woutersurteil vorgegangen; dort hat er das niederländische Kartellverbot einer Zusammenarbeit der Branchen der Rechtsanwälte und der Wirtschaftsprüfer bestätigt, aber nicht etwa vorweg den Rechtsanwälten einerseits und den Wirtschaftsprüfern andererseits die Niederlassungsfreiheit genommen

EuGH, Woutersurteil vom 19.2.2002 – C-309/99 -, zu der kartellrechtlichen Vorschrift des Art. 81 EGV.

Konsequenterweise ist nach dieser EuGH-Rechtsprechung der Konzernierungsgefahr dadurch zu begegnen, dass die branchenübergreifende Zusammenarbeit und Zusammenschließung zu einem Gesundheitskonzern als solche verboten wird, nicht aber dadurch, dass bereits im Vorfeld den Arzneimittelherstellern, den Ärzten, den Apothekern und gegebenenfalls den Optikern die Niederlassungsfreiheit genommen wird. Die Gefahren sind nach der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit dort zu bekämpfen, wo sie sind.

Soweit es um die von der Antragstellerin nicht ganz zu Unrecht hervorgehobenen allen Kapitalgesellschaften immanenten Kommerzialisierungs- und Konzernierungsgefahren geht, kann das Optikerurteil des EuGH ohne Weiteres auf die Apotheken übertragen werden. Als Gegenargument überzeugt die angeführte Kommerzialisierungsgefahr klar erkennbar nicht.

In Kenntnis des außerordentlich umfangreichen Streitstoffs der Beteiligten ist für den Senat kein weiterer schwer wiegender Grund ersichtlich, der einer gleichen Geltung der europäischen Grundfreiheiten für Optikergeschäfte und für Apotheken entgegensteht. Die Gründe für und gegen die Übertragung des Optikerurteils des EuGH auf Apotheken sind nunmehr zusammenfassend zu würdigen.

Artikel 48 EGV garantiert den Kapitalgesellschaften innerhalb der EU Niederlassungsfreiheit wie natürlichen Personen. Diese Niederlassungsfreiheit ist wie dargelegt nach dem Verständnis der europarechtlichen Instanzen ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts; sie ist untrennbar mit der europäischen Einheit verbunden. Der hohe Rang der Niederlassungsfreiheit kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass der EuGH bereits eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und damit auch das hier zu prüfende Verbot nur bei zwingenden Gründen zulässt. Dabei handhabt der EuGH das Übermaßverbot bei der Niederlassungsfreiheit strikt so, dass Gefahren nur dort bekämpft werden dürfen, wo sie wirklich sind. Gemessen daran gibt es keinen zwingenden Grund dafür, dass eine Kapitalgesellschaft schon vorbeugend als solche als Gefahr bekämpft werden muss und eine Apotheke nicht erwerben darf. Den Gesundheitsgefahren ist nach der EuGH-Rechtsprechung durch qualifiziertes Personal entgegenzutreten; ein Gesundheitsschutz vor der Rechtsform der Apotheke überzeugt nicht und ist erst recht kein zwingender Grund für ein Niederlassungsverbot. Noch weniger rechtfertigen die Universitätsausbildung und Approbation der Apotheker ein höheres Misstrauen in Apotheker als in Optiker ohne eine solche Ausbildung. Die Kommerzialisierungsgefahren, die immanent mit einer Kapitalgesellschaft verbunden sind, sind nach der EuGH-Rechtsprechung durch Kontrollen zu bekämpfen, nicht aber durch ein Niederlassungsverbot für Kapitalgesellschaften. Fehlt es aber nach der Gesamtwürdigung des Streitstoffs der Beteiligten an einem zwingenden Grund für ein Niederlassungsverbot, setzt sich die im EG-Vertrag mit Vorrang gegenüber nationalem Recht garantierte Niederlassungsfreiheit für europäische Kapitalgesellschaften gegenüber dem deutschen Fremd- und Vielbesitzverbot durch.

Nach dem Ergebnis der summarischen Überprüfung des Senats spricht alles dafür, dass der EuGH die Niederlassungsfreiheit für Optikergeschäfte auch auf Apotheken erstreckt.

Im Hauptsacheverfahren bedarf es anders als im Eilverfahren einer Vorlage der Auslegungsfrage an den EuGH, damit dieser letztlich selbst entscheidet, ob er seine Rechtsprechung von Optikergeschäften auf Apotheken überträgt. Eine richtige Entscheidung im Hauptsacheverfahren wird bereits erstinstanzlich nicht möglich sein ohne eine solche Vorlage.

Dagegen ist im hier zu entscheidenden einstweiligen Rechtschutzverfahren nach der Rechtsprechung des EuGH die Auffassung des nationalen Gerichts über das Gemeinschaftsrecht zugrunde zu legen, bevor das Ergebnis eines Vorlageverfahrens vorliegt

EuGH, Urteil vom 19.6.1990 – C-213/89 -, Rn. 22.

Für die summarische Entscheidung ist mithin die Rechtsauffassung des Senats zugrunde zu legen, dass die europäische Niederlassungsfreiheit sich gegen das deutsche Fremdbesitzverbot ebenso durchsetzt wie gegen das griechische Fremdbesitzverbot, das Gleiche gilt für das Vielbesitzverbot.

Die aufgeworfene Frage der Übertragbarkeit des Optikerurteils auf Apotheken ist damit zu bejahen.

Neben den dargestellten gemeinschaftsrechtlichen Erwägungen sind auch Aspekte nationalen Rechts in den Blick zu nehmen.

Insoweit stellt die Antragstellerin ihren Anspruch auf Chancengleichheit und „fairen“ Wettbewerb unter Beachtung von Art. 12 GG und Art. 3 GG in den Vordergrund.

Es trifft zu, dass die Antragstellerin nach derzeitiger nationaler Rechtslage eine Kapitalgesellschaft zum Zwecke des Betriebs einer Apotheke nicht bilden und somit unter Umständen einen gegenüber der Beigeladenen eingeschränkten Zugang zum Kapitalmarkt haben kann oder von sonstigen Vergünstigungen einer Betriebsform der Kapitalgesellschaft ausgeschlossen ist, auch wenn dies nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheids ist.

Wegen des aus Sicht des Senats anzuwendenden Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ist indes die Frage der Chancengleichheit erstrangig vom Standpunkt des europäischen Rechts zu betrachten und steht eine damit einhergehende Inländerdiskriminierung dem Vorrang nicht entgegen.

Die Gleichstellung von (Kapital)gesellschaften und natürlichen Personen in Art. 48 EGV für den Bereich der in Art. 43 EGV als Grundfreiheit statuierten Niederlassungsfreiheit bedeutet, dass in allen Mitgliedstaaten prinzipiell Gesellschaften verschiedener Betriebsformen mit Einzelnen in Wettbewerb treten können einschließlich der daraus folgenden weiteren Auswirkungen. Eine zu beachtende Wettbewerbsverfälschung anknüpfend an die Betriebsform selbst gibt es – wie schon dargelegt – nicht.

Nach dem bereits genannten

Urteil des EuGH vom 8.6.2000, a.a.O., Rn. 16

hat das nationale Gericht das vorrangige Gemeinschaftsrecht sofort anzuwenden, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch ein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste. Mithin hat der Senat das Gemeinschaftsrecht in dem Zeitpunkt anzuwenden, in dem der deutsche Gesetzgeber die Inländerdiskriminierung im Apothekenrecht – Verbot einer inländischen Kapitalgesellschaft – noch nicht beseitigt hat. Den Gesetzgeber trifft insoweit aber nach ständiger Rechtsprechung des EuGH

hierzu bereits Urteile vom 26.4.1988 – C-74/86 – Rn. 10 f. und vom 15.10.1986 – C-168/85 – Rn. 16; siehe auch Niedobitek, Verw. Archiv 2001, 59 (65) m.w.N.

eine Pflicht, gemeinschaftswidrige Rechtsvorschriften nicht aufrechtzuerhalten, sondern anzupassen.

Eine Rechtsverletzung durch eine nach derzeitiger nationalen Rechtslage gegebene Inländerdiskriminierung kann die Antragstellerin der vorrangigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht entgegensetzen.

Soweit sich die Antragstellerin zur Begründung ihrer Rechtsposition auf die ihrer Ansicht nach gegebene Unzuverlässigkeit der Beigeladenen als einen der Erlaubniserteilung nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ApoG entgegenstehenden Umstand beruft, ist dies eindeutig kein im Rahmen dieses Verfahrens einklagbarer drittschützender Gesichtspunkt. Die Zuverlässigkeit eines Konkurrenten dient ausschließlich dem öffentlichen Interesse, was keiner näheren Vertiefung bedarf. Im Übrigen wäre nach derzeitigem Sach- und Erkenntnisstand nichts Durchgreifendes für eine Unzuverlässigkeit der Beigeladenen im Sinne der genannten Vorschrift erkennbar.

Eine Überprüfung der hier umstrittenen Apothekenbetriebserlaubnis für die Beigeladene ergibt, dass diese in Anwendung von Gemeinschaftsrecht und nationalen Rechtsvorschriften im summarischen Verfahren mit weit überwiegenden Gründen als rechtmäßig angesehen werden kann.

Bei einer danach ergänzend vorzunehmenden Interessenabwägung sind die – gemeinschaftsrechtsgeprägten - gegenläufigen Interessen der Beteiligten sowie das öffentliche Interesse – soweit relevant - zu gewichten.

Dem Interesse der in ihrem Herkunftsstaat innerhalb der EG zugelassenen Beigeladenen an einer Niederlassung in einem anderen europäischen Mitgliedstaat entsprechend der gemeinschaftsrechtlich im Range einer Grundfreiheit garantierten Niederlassungsfreiheit und entsprechend dem Grundrecht nach Art. 12 GG in erweiternder Auslegung für EG-Inländer

hierzu Jarass/Pieroth, GG, 8. Auflage Art. 12 Rn. 10 f.

einhergehend mit erkennbaren wirtschaftlichen Interessen steht das Interesse der Antragstellerin an Konkurrentenschutz und Chancengleichheit ebenfalls mit wirtschaftlicher Bedeutung gegenüber. Dabei überwiegt das Interesse der Beigeladenen an der positiven Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit das Verhinderungsinteresse der Antragstellerin.

Im Grundsatz gibt es – auch unabhängig von der Dauer der eigenen Berufsaus-übung als Lebensgrundlage - kein Grundrecht aus Art. 12 GG auf Erfolg im Wettbewerb, Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten und auf Verhinderung der Berufstätigkeit anderer

hierzu BVerfG, Entscheidungen vom 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03 -, NJW 2006, 3701 ff.; vom 17.12.2002 – 1 BvL 28, 29, 39/95 – E 106, 275 ff.

Im Ausnahmefall umfasst das Grundrecht aus Art. 12 GG den Konkurrentenschutz etwa bei staatlich geplantem Bedarf in einem regulierten Markt wie etwa beim Krankenhausbedarf

hierzu BVerfG, Beschluss vom 17.8.2004 – 1 BvR 378/00 -, NJW 2005, 273 ff.

Dieser Ausnahmefall liegt aber nach den zutreffenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht vor.

Es verbleiben erkennbare wirtschaftliche Interessen an der Erhaltung von Umsatz und Gewinn als Erwerbs- und Lebensgrundlage ohne rechtliche Gewichtung als europäische Grundfreiheiten oder als Grundrecht auf Berufsausübung.

Durchgreifende Belege für eine aktuelle oder in nächster Zukunft vor Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu erwartende erhebliche Benachteiligung im Sinne des dargestellten verfassungsrechtlich in engen Grenzen gebotenen Konkurrentenschutzes durch die Erteilung der Betriebserlaubnis und Anordnung deren Sofortvollzugs lassen sich nicht finden. Insoweit spricht vieles dafür, dass derzeit eine nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen zumutbare Konkurrenzsituation entsteht. Auch die Antragstellerin kennzeichnet ihr Interesse an der Existenzfähigkeit als „mittel- und langfristig“.

Das – vorgebrachte – Interesse der Antragstellerin an einer Wahrung und Sicherstellung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung entsprechend dem hergekommenen Leitbild des in einer Person eigenbesitzenden und eigenverantwortlichen Apothekers ist bezogen auf die Privatinteressen nicht drittschützend

in diesem Zusammenhang etwa OVG Münster, Urteil vom 3.5.2006 – 13 B 2057/05 -, zitiert nach Juris.

Insgesamt überwiegt bei der Wertung der privaten Interessen das Interesse der Beigeladenen an Verwirklichung ihrer Niederlassungsfreiheit und Berufsausübung eindeutig das private Interesse der Antragstellerin an der Verhinderung der Niederlassung und Berufsausübung der Beigeladenen. Dies alles spricht unter zusätzlicher Berücksichtigung des Interesses des Antragsgegners für den Vollzug der Berufserlaubnis.

Die bestrittene Relevanz des öffentlichen Interesses an der Aussetzung von sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakten kann offen bleiben, denn eine angenommene Relevanz im vorliegenden Verfahren führt übereinstimmend mit dem bisherigen Abwägungsergebnis dazu, dass ein öffentliches Interesse an der Aussetzung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung zu verneinen und an deren Vollzug zu bejahen ist.

Hierbei entscheidend ist der dargelegte Vorrang des Gemeinschaftsrechts, der nicht nur als Interesse des Antragsgegners, sondern insgesamt in die Gewichtung des öffentlichen Interesses aufzunehmen ist,

so etwa BVerfG, Beschluss vom 27.4.2004 – 1 BvR 223/05 – zitiert nach Juris zum Vollzugsinteresse im Wettrecht; Kopp, VwGO, 14. Auflage § 80 Rn. 95.

Dieser Vorrang gebietet es, wesentliches und unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht wie hier die Grundfreiheit nach den Artikeln 43, 48 EGV umfassend und umgehend, ohne gesetzgeberische oder verfassungsrechtliche Verfahren abzuwarten,

so EuGH, Urteile vom 9.6.2005 – C-211/03 – Rn. 77 ff. und vom 8.6.2000, a.a.O., Rn. 16

zu verwirklichen. Insoweit sind auch widerstreitende nationale Bestimmungen „gemeinschaftsrechtsgeprägt“ und können ein vorrangiges Interesse an der Einhaltung (noch bestehender) nationaler Bestimmungen nicht – auch nicht übergangsweise - rechtfertigen.

Nichts anderes ergibt sich unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes. Dessen hohen Rang als öffentliches Interesse verkennt auch der Senat nicht.

Dass aber bereits die Erteilung der umstrittenen Erlaubnis an die Beigeladene selbst öffentlichen Gesundheitsschutzbelangen erkennbar zuwiderläuft, kann nach derzeitigem Stand nicht angenommen werden. Das Interesse des öffentlichen Gesundheitsschutzes ist auf der vorrangigen europarechtlichen Ebene nach dem Gesagten allein durch die Rechtsform der Kapitalgesellschaft nicht betroffen.

Wie im Rahmen der Übertragbarkeit des Optikerurteils des EuGH ausgeführt, genügen im Übrigen Kontrollmechanismen zur Gewährleistung eines hinreichenden Gesundheitsschutzes. Diese sind nicht nur de lege ferenda im Falle einer nationalen Gesetzesanpassung zu verfügen, sondern bestehen bereits in Form von Sanktionsmöglichkeiten wie Widerruf und Zurücknahme, um eine tatsächlich Gesundheitsschutzinteressen widerstreitende Berufsausübung zu unterbinden.

Das Gewicht der Niederlassungsfreiheit, die untrennbar mit der europäischen Gemeinschaft verbunden ist und einen fundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts darstellt,

hierzu EuGH, Urteil vom 31.3.1993 – C-19/02 – Kraus – Rn. 19

ist nach allem als höher einzustufen.

Die in Kenntnis des sehr umfangreichen Gesamtvorbringens der Beteiligten vorgenommene Interessenabwägung bestätigt also unabhängig von der Relevanz des öffentlichen Interesses die vorläufige Beurteilung der Rechtslage und führt zu demselben Gesamtergebnis.

Dieses ist so zusammen zu fassen, dass bei summarischer Bewertung die in den Art. 43, 48 EGV gewährleistete Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften sich hier gegen das deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken in § 7 ApoG durchsetzt und ein Verwaltungsträger – wie der Antragsgegner befugt ist, dies einzelfallbezogen festzustellen.

Damit bleiben die Haupt- und Hilfsanträge der Antragstellerin, die auf eine Schließung beziehungsweise Unterbindung des Betriebs der Beigeladenen hinauslaufen, erfolglos.

Eine abschließende Beurteilung der Rechtslage bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Anders als im Eilverfahren wird – wie bereits angesprochen – in diesem, da es maßgeblich neben der Frage einer unmittelbaren Anwendung oder (eventuell temporären) Nichtanwendung von Gemeinschaftsrecht durch einen Träger der staatlichen Verwaltung und damit de facto der Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht und um die Übertragbarkeit beziehungsweise Auslegung der in dem Optikerurteil des EuGH vom 21.4.2005 – C-140/03 – getroffenen Feststellungen gehen wird, eine entsprechende Vorlage an den EuGH bereits erstinstanzlich erforderlich sein.

Zwar sind nicht – letztinstanzliche Gerichte nach Art. 234 Abs. 2 EGV zur Vorlage grundsätzlich lediglich ermächtigt, nicht aber verpflichtet. Eine Vorlagepflicht besteht nicht, wenn zu der sich stellenden Frage nach der Auslegung und Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts eine bereits gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere in einer in einem gleichgelagerten Fall ergangenen Vorabentscheidung vorliegt. Ebenso entfällt eine Vorlagepflicht dort, wo die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt,

so Geiger, a.a.O. Art. 234 EGV Rn. 16 ff.; Callies/Ruffert, a.a.O. Art. 234 EGV Rn. 24.

Eine ausnahmsweise Vorlagepflicht besteht mit Blick auf das Verwerfungsmonopol des EuGH in den Fällen, in denen das nationale Gericht eine Vorschrift oder eine sonstige Handlung eines Gemeinschaftsorgans für ungültig erachtet und außer Anwendung lassen will,

vgl. Calliess/Ruffert, a.a.O. Art. 234 EGV Rn. 20


Dies gilt auch für eine temporäre Nichtanwendung von Gemeinschaftsrecht.
Gemessen hieran erachtet der Senat eine Vorlage im Hauptsacheverfahren bereits erstinstanzlich für geboten. Nach allem haben die Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen Erfolg. Diese Senatsentscheidung wirkt vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der erstinstanzliche Entscheidungsausspruch über eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Drittanfechtungsklage der Antragstellerin gegen den für sofort vollziehbar erklärten Erlaubnisbescheid des Antragsgegners vom 29.7.2006 keinen Bestand hat. Vielmehr entfällt deren aufschiebende Wirkung, und ist der oben genannte Bescheid zugunsten der Beigeladenen sofort vollziehbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf den §§ 45 Abs. 1, 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3, 63 Abs. 2 und 3 GKG. Hierbei schätzt der Senat unter Berücksichtigung der Ziffern 14.1., 25.1. (siehe insoweit Beschluss des Senats vom 3.2.2006 – 3 R 7/05 – zu Arzneimitteln) 54.1, 54.3.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 7./8.7.2004, DVBl. 1525 ff. diesen bedeutungsangemessen und hauptsachebezogen auf 40.000,-- Euro, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist. Hieraus errechnet sich in Anwendung des § 47 Abs. 2 GKG und der dort getroffenen Begrenzung auf die erste Instanz trotz der Beschwerdeeinlegung durch zwei Rechtsmittelführer der Betrag von 20.000,-- Euro, der unter entsprechender Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Streitwertfestsetzung von Amts wegen (§ 63 Abs. 3 S. 1 GKG) auch für das erstinstanzliche Verfahren gilt.


Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

gez.: Dr. Philippi John Nalbach


Ausgefertigt:

Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle