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Der intensivmedizinische Behandlungsabbruch in den Ländern Östereich und Deutschland - Eine Bestandsaufnahme mit Blick auf das Zivilrecht

Veröffentlicht in Patienten- und PflegeRecht mit Qualitätsmanagement, Heft 3-4/13

Im Bereich des Zivilrechts stellen sich im Rahmen der Thematik des Abbruchs intensivmedizinischer Maßnahmen bei unheilbaren Langzeitpatienten insbesondere nachfolgende Fragenkreise: Wie kann im Falle der Entscheidungsunfähigkeit des Patienten dessen Recht auf Selbstbestimmung gewahrt werden und welche Vorgaben und Grenzen werden den an einem Abbruch intensivmedizinischer Maßnahmen Beteiligten (Arzt, Betreuer, Bevollmächtigter) diesbezüglich durch das Recht de lege lata gesetzt?

Der nachfolgende Aufsatz stellt sich mit Blick auf die Länder Österreich und Deutschland einer vergleichenden Bestandsaufnahme unter Einbeziehung der jüngsten Entwicklungen[1].


A. Einführung

Der österreichische Gesetzgeber hat bereits im Jahre 2006 und somit verhältnismäßig früh umfangreiche Gesetzesnovellierungen im Zivilrecht vorgenommen, welche sich grundlegend auf die aufgeworfenen Fragen auswirken. Im Zuge des Sachwalterrechts-Änderungsgesetzes (SWRÄG) [2] wurden zahlreiche Änderungen im Sachwalterrecht eingeführt, die auch den Abbruch medizinischer Maßnahmen betreffen. Ferner trat zum 01. Juni 2006 das österreichische Bundesgesetz über Patientenverfügungen [3], sog. Patientenverfügungs-Gesetz (PatVG) [4], in Kraft, welches die Verbindlichkeit und die Beachtlichkeit von Vorausverfügungen regelt, die auf die Ablehnung einer medizinischen Maßnahme abzielen.

In Deutschland wurde im Wege des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts [5] zum 01. September 2009 sowohl das Institut der Patientenverfügung gesetzlich geregelt als auch insgesamt das rechtliche Vorgehen bei einem medizinischen Behandlungsabbruch für die daran Beteiligten festgelegt.

In Deutschland besteht im Gegensatz zu Österreich ferner eine über die Jahre ausdifferenzierte höchstgerichtliche Rechtsprechung [6], welche die rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen eines intensivmedizinischen Behandlungsabbruchs näher zu konturieren vermag und durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts auch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) selbst normiert wurde.

In Österreich hatte sich mit dem Obersten Gerichtshof (OGH) ein Höchstgericht bislang erst einmal und zudem lediglich mittelbar mit den zivilrechtlichen Aspekten eines medizinischen Behandlungsabbruchs auseinanderzusetzen als dieser im Rahmen seiner Entscheidung vom 16. Juli 1998 - 6 Ob 144/98i [7] - über die Rechtsverbindlichkeit eines sog. psychiatrischen Testaments zu befindet hatte. Von einer Erörterung der Frage der rechtlichen Einordnung von Patientenverfügungen hingegen wurde abgesehen.


I. Österreich

Im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung werden die rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen eines intensivmedizinischen Behandlungsabbruchs im Bereich des Zivilrechts sowohl durch das PatVG als auch die Bestimmungen des Sachwalterrechts im Rahmen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) aufgezeigt.


1.  Der Behandlungsabbruch als Gegenstand des Patientenverfügungs-Gesetzes

Durch das PatVG verfügt das österreichische Recht über ein eigenständiges gesetzliches Regelungswerk für den Bereich der Patientenverfügungen.

a. Materiell-rechtlicher Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich des PatVG umfasst gemäß § 1 Abs. 1, 2 PatVG die Voraussetzungen und die Wirksamkeit von Patientenverfügungen, welche zur Ermittlung des Patientenwillens verbindlich oder beachtlich sein können. Gemäß § 2 Abs. 1 PatVG ist eine Patientenverfügung eine Willenserklärung, mit der der Patient eine medizinische Behandlung [8] ablehnt und die dann wirksam werden soll, wenn er zum Zeitpunkt der Behandlung nicht einsichts-, urteils- oder äußerungsfähig ist.

b. Persönliche Voraussetzungen an den Patienten

Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 PatVG kann eine Patientenverfügung nur höchstpersönlich errichtet werden. Zudem muss der Patient bei Errichtung einsichts- und urteilsfähig sein.

c. Unterschiedliche Arten von Patientenverfügungen

Durch das PatVG wurden mit der verbindlichen Patientenverfügung, §§ 4 ff. PatVG, sowie  der beachtlichen Patientenverfügung, §§ 8 f. PatVG, zwei verschiedene Kategorien geschaffen.

aa. Die verbindliche Patientenverfügung

An verbindliche Patientenverfügungen werden in § 4 PatVG folgende Anforderungen gestellt: Zum einen müssen die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret beschrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen. Des Weiteren muss sich aus der Patientenverfügung erschließen, dass der Patient deren Folgen zutreffend einschätzt. Als weitere Voraussetzung normiert § 5 PatVG in Anlehnung an die Grundsätze des informed consent [9] das Erfordernis einer ärztlichen Aufklärung des Patienten. Dieser hat die Vornahme der Aufklärung sowie das Vorliegen von Einsichts- und Urteilsfähigkeit zu dokumentieren und darzulegen, dass und aus welchen Gründen der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt.

Ferner ist eine verbindliche Patientenverfügung gemäß § 6 Abs. 1 PatVG schriftlich zu errichten, d. h. der Verfasser muss seine Patientenverfügung in Anwesenheit eines der drei in § 6 Absatz 1 PatVG aufgeführten Rechtskundigen unter Angabe des Datums eigenhändig unterschreiben. Im Falle von schreibunfähigen Personen kann dieses Erfordernis durch einen Notariatsakt, §§ 52 ff. Notariatsordnung (NO), gewahrt werden [10].Auch obliegt dem Rechtskundigen gemäß § 6 Abs. 1, 2 PatVG die Pflicht den Patienten über die Folgen einer Patientenverfügung sowie über die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs zu belehren und dies niederzulegen.

Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 PatVG muss als zwingende Formvoraussetzung zudem das Datum der Errichtung angegeben werden. Ab diesem Zeitpunkt sind Patientenverfügungen sodann für die Dauer von fünf Jahren gültig, sofern der Patient nicht eine kürzere Frist bestimmt hat.

bb. Die beachtliche Patientenverfügung            

Eine beachtliche Patientenverfügung ist nach § 8 PatVG eine solche, die nicht alle Voraussetzungen der §§ 4 bis 7 erfüllt, dennoch für die Ermittlung des Willens des Patienten beachtlich ist. Die jeweilige Bindungswirkung einer beachtlichen Patientenverfügung richtet sich nach dem sog. beweglichen System des § 9 PatVG. Dieser legt fest, dass eine beachtliche Patientenverfügung bei der Ermittlung des Patientenwillens umso mehr zu beachten ist, je eher sie die Voraussetzungen einer verbindlichen Patientenverfügung erfüllt.

Die §§ 10 bis 15 PatVG zählen abschließend sog. gemeinsame Bestimmungen auf, insbesondere werden in § 10 PatVG Unwirksamkeitsgründe einer Patientenverfügung normiert.

2. Der Behandlungsabbruch als Gegenstand des Sachwalterrechts, § 283 ABGB

Wurde für eine volljährige Person, die alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht mehr ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann, auf ihren Antrag oder von Amts wegen ein Sachwalter [11] bestellt, § 268 Abs. 1 ABGB, kann dieser gemäß § 283 ABGB auch Entscheidungen über lebensverkürzende bzw. –beendende Maßnahmen treffen.

§ 283 Abs. 2 S. 1 ABGB setzt voraus, dass ein vom behandelnden Arzt unabhängiger Arzt in einem ärztlichen Zeugnis die fehlende Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen bestätigt und die Vornahme der Behandlung zur Wahrung seines Wohles erforderlich ist. Fehlt es an der Bestätigung durch einen zweiten Arzt oder gibt die behinderte Person zu erkennen, dass sie die zur Entscheidung stehende Behandlung ablehnt, bedarf die Zustimmung des Sachwalters der Genehmigung des Gerichts, § 283 Abs. 2 S. 2 ABGB. Erteilt der Sachwalter die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung nicht und wird dadurch das Wohl der behinderten Person gefährdet, bestimmt § 283 Abs. 2 S. 3 ABGB, dass die Zustimmung des Sachwalters durch das Gericht ersetzt oder die Sachwalterschaft einer anderen Person übertragen werden kann.

In personeller Hinsicht eröffnet das Sachwalterrecht dem Patienten mit der Möglichkeit der Abfassung einer Vorsorgevollmacht [12], §§ 284f ff. ABGB, oder einer Sachwalterverfügung, § 279 Abs. 1 S. 2 ABGB, zudem weitere Alternativen für den Fall seiner späteren Entscheidungsunfähigkeit antizipierte Regelungen zur Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts treffen.


II. Deutschland

Im Rahmen eines eigentlich strafrechtlichen Kontextes legte der BGH am 13. September 1994 - l StR 357/94 -, im sog. Kemptener Fall [13] den Grundstein seiner über die Jahre insbesondere durch die Entscheidungen vom 17. März 2003 - XII ZB 2/03 [14] - sowie vom 08. Juni 2005 - XII ZR 177/03 [15] - weiter differenzierten Rechtsprechung für den Bereich des intensivmedizinischen Behandlungsabbruchs im Zivilrecht.

Insgesamt mündete die Rechtsprechung des BGH im Ergebnis in das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts, sog. Stünker-Entwurf [16], welches am 01. September 2009 in Kraft getreten ist. Seither bewegen sich gemäß Artikel 1 des Gesetzes antizipiert geäußerte Behandlungsentscheidungen des Patienten nun auch in Deutschland nicht mehr in der vormals über Jahrzehnte hinweg vorherrschenden rechtlichen „Grauzone“, sondern wurden innerhalb des Betreuungsrechts im 4. Buch des BGB in den §§ 1901a f. BGB unter der Titulierung „Patientenverfügung“, gesetzlich verankert [17].

1.  Der Behandlungsabbruch als Gegenstand der §§ 1901a f. BGB

Besteht in der Person des Patienten sowohl eine subjektive Betreuungsbedürftigkeit, § 1896 Abs. 1 BGB, sowie zudem ein objektiver Betreuungsbedarf, § 1896 Abs. 3 BGB, kann unter den Voraussetzungen der §§  1896 ff. BGB ein Betreuer bestellt werden. Gemäß §§ 1901a f. BGB kann der Betreuer in Interaktion mit dem behandelnden Arzt sowie nahen Angehörigen oder sonstigen Vertrauenspersonen auf der Grundlage einer Patientenverfügung, § 1901a Abs. 1 BGB, oder auf der Basis von Behandlungswünschen oder dem mutmaßlichen Willen des Patienten, § 1901a Abs. 2 BGB, lebensverkürzende oder – beendende Behandlungsentscheidungen treffen.

a. Die Patientenverfügung, § 1901a Abs. 1 BGB

Der Begriff der Patientenverfügung wird in § 1901a Abs. 1 BGB legaldefiniert als schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt.

aa. Formelle Voraussetzungen

Gemäß § 1901a Abs.1 S. 1 BGB ist der Kreis der natürlichen Personen, welche eine wirksame Patientenverfügung verfassen können, auf einwilligungsfähige Volljährige beschränkt. Eine weitere formale Wirksamkeitsvoraussetzung ist die Schriftform nach § 126 BGB. Zudem bestimmt § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB, dass eine Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen werden kann.

bb. Materielle Voraussetzungen

Gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB kann ein entscheidungsfähiger Volljähriger schriftliche Festlegungen für bestimmte zukünftige Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe tätigen. Hat ein Patient solche Festlegungen normiert, obliegt dem Betreuer die Überprüfung, ob diese auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, § 1901a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB. Insgesamt ist der Inhalt der Verfügung im Wege der Auslegung unter Zugrundelegung der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln; dies gilt insbesondere für unbestimmte Begriffe und Formulierungen [18].

cc. Ergebnis

Sind neben den formellen Voraussetzungen einer Patientenverfügung auch in materieller Hinsicht die Bestimmungen des § 1901a Abs. 1 BGB erfüllt und kommt der Betreuer zu dem Ergebnis, dass die Festlegungen der Verfügung mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Patienten übereinstimmen, liegt eine für den Rechtsverkehr verbindliche Patientenverfügung vor. Gemäß § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB hat der Betreuer in diesem Fall dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen.

b. Die Feststellung des mutmaßlichen Willens, § 1901a Abs. 2 BGB

§ 1901a Abs. 2 S. 1 BGB regelt den Fall, dass keine Patientenverfügung vorliegt oder die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. In diesen Fällen ist es die Aufgabe des Betreuers, die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt.

Hinsichtlich der im Wege der Ermittlung des mutmaßlichen Willens anzusetzenden Kriterien bezieht sich § 1901a Abs. 2 S. 2, 3 BGB auf die Rechtsprechung des BGH, welche dieser am 13. September 1994 - l StR 357/94 - im Kemptener Fall begründet hat: Gemäß § 1901a Abs. 2 S. 2 BGB hat der Betreuer zur Feststellung des mutmaßlichen Willens des Patienten auf konkrete Anhaltspunkte abzustellen. In diesem Rahmen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige Wertvorstellungen des Betreuten zu berücksichtigen, § 1901a Abs. 2 S. 3 BGB.

c. Die Interaktion zwischen den Beteiligten, § 1901b BGB

Ein besonderer Stellenwert innerhalb der zu treffenden Entscheidung des Betreuers nach § 1901a Abs. 1 und 2 BGB kommt der Interaktion zwischen den Beteiligten zu [19].

Zunächst hat der behandelnde Arzt gemäß § 1901b Absatz 1 BGB zu prüfen, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist und diese mit dem Betreuer unter Berücksichtigung des in der Patientenverfügung geäußerten bzw. des ermittelten mutmaßlichen Willens des Patienten zu erörtern. An dem Ergebnis dieser Erörterung ist sodann die Entscheidung des Betreuers über Aufnahme, Fortsetzung oder Abbruch einer medizinischen Maßnahme auszurichten. Zudem ist nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen sowohl bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Abs. 1 BGB als auch bei der Feststellung der Behandlungswünsche und des mutmaßlichen Willens des Patienten nach § 1901a Abs. 2 BGB die Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

2. Rechte und Pflichten des Betreuungsgerichts, § 1904 BGB

Bilden die §§ 1901a, 1901b BGB die Basis für die Vorgehensweise des Betreuers im Zusammenhang mit bevorstehenden Untersuchungen des Gesundheitszustandes des Betreuten, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen, legt § 1904 BGB in den Absätzen 1 und 2 ergänzend hierzu den Grundsatz der betreuungsgerichtlichen Genehmigung von ärztlichen Maßnahmen fest, welche sich in der Person des entscheidungsunfähigen Patienten lebensverkürzend oder erheblich gesundheitsschädigend auswirken. § 1904 Abs. 3 BGB schreibt die Pflicht des Betreuungsgerichts zur Genehmigung der Betreuerentscheidung für den Fall vor, dass diese dem Willen des Betreuten entspricht und in § 1904 Abs. 4 BGB ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Genehmigungspflicht enthalten.

aa. Einwilligung, Nichteinwilligung und Widerruf, § 1904 Abs. 1, 2 BGB

In § 1904 Abs. 1 und 2 BGB werden die Einwilligung, die Nichteinwilligung sowie der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in ärztliche Maßnahmen unter den Vorbehalt der Genehmigung des Betreuungsgerichts gestellt, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Im Zusammenhang mit der Nichteinwilligung bzw. mit dem Widerruf einer vormals erteilten Einwilligung wird kumulativ zudem gefordert, dass die seitens des Betreuers verweigerte Maßnahme indiziert ist, § 1904 Abs. 2 BGB.

bb. Die Pflicht zur gerichtlichen Genehmigung, § 1904 Abs. 3 BGB

§ 1904 Abs. 3 BGB legt fest, dass die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 zu erteilen ist, wenn die Einwilligung, die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht. In diesem Rahmen trifft das Betreuungsgericht jedoch keine eigene Entscheidung für oder gegen eine lebensverlängernde Maßnahme in der Person des Betreuten, sondern unterzieht die Entscheidung des Betreuers lediglich einer Überprüfung [20]. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass dem Willen des Betreuten durch die Entscheidung des Betreuers entsprochen wird, hat es die Pflicht diese zu genehmigen.

cc. Ausnahmen von der gerichtlichen Genehmigungspflicht, § 1904 Abs. 4 BGB

Von dem in § 1904 Abs. 1 und 2 BGB aufgeführten Grundsatz des betreuungsgerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes bei ärztlichen Maßnahmen bestehen grundsätzlich zwei Ausnahmen: Zum einen gemäß § 1904 Abs. 1 S. 2 BGB für den Fall, dass mit einem Aufschub einer ärztlichen Maßnahme Gefahr verbunden ist sowie zum anderen in § 1904 Abs. 4 BGB, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Betreuerentscheidung dem durch den Betreuer nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht.

Neben diesen normativen Ausgestaltungen eröffnet das deutsche Betreuungsrecht dem Patienten im Wege der Vorsorgevollmacht, §§ 1901a Abs. 5, 1901b Abs. 3, 1904 Abs. 4 BGB [21], oder der Betreuungsverfügung, § 1897 Abs. 4 BGB, zudem ebenfalls Möglichkeiten, antizipierte Regelungen für den späteren Fall seiner Entscheidungsunfähigkeit zu treffen.


B. Fazit

Sowohl im Wege des PatVG sowie der sachwalterrechtlichen Bestimmungen der §§ 1896 ff ABGB als auch durch die §§ 1901a ff. BGB werden den an einem intensivmedizinischen Behandlungsabbruch Beteiligten grundlegende Voraussetzungen sowie Grenzen aufgezeigt. Zwar bestehen im Vergleich der gewählten Ausgestaltungen der jeweiligen Regelungen insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts im Falle der Ablehnung einer lebensverlängernden Behandlung durchaus gewichtige Unterschiede. Unabhängig davon ist es aber als grundlegend positiv zu bezeichnen, dass sich die Gesetzgeber beider Ländern zumindest im Bereich des Zivilrechts der Aufgabe gestellt haben, durch gesetzliche Regelungen nahezu abschließende Rechtssicherheit zu schaffen.

Der Beitrag wird fortgesetzt hinsichtlich der im Rahmen eines intensivmedizinischen Behandlungsabbruchs bestehenden verfassungsrechtlichen Aspekte.


Fussnoten:

[1] Siehe hierzu „Der Abbruch intensivmedizinischer Maßnahmen in den Ländern Österreich und Deutschland“, Schriftenreihe „Recht und Medizin“, Bnd. 108, Peter Lang Verlag 2012.
[2] BGBl I Nr. 92/2006.
[3] Eine schriftliche Verfügung, in welcher der jeweilige Patient normiert, wie sich seine medizinische Behandlung in bestimmten, zukünftig etwaig auftretenden Krankheitssituationen auszugestalten hat.
[4] BGBl. I Nr. 55/2006.
[5] BGBl. I Nr. 48/2009, S. 2286; insgesamt zugänglich unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/084/1608442.pdf (Stand: 05. März 2013).
[6] Hierzu unter A. II.
[7] RdM 1999, S. 21 f.
[8] Auch erfasst ist die Ablehnung des Patienten gegenüber einer bereits aufgenommenen Sondenernährung bzw. gegenüber Maßnahmen der künstlichen Flüssigkeitszufuhr, vgl. Kalchschmid in: Memmer/Kern, S. 87 (92); Kert JAP 2005/06, S. 207 (209); Körtner ZEE 2006, S. 221 (225); Kopetzki, EthikMed 2004, S. 275.
[9] Sog. „informierte Zustimmung“, d. h. der behandelnde Arzt hat den Patienten vor der Durchführung einer ärztlichen Behandlung im Großen und Ganzen über deren Inhalt sowie mögliche Nebenwirkungen und Risiken aufzuklären und dessen Einwilligung einzuholen, vgl. Parzeller et al Dt. Ärztebl. 2007, S. 104.
[10] Nicht verlangt wird hingegen eine eigenhändige Errichtung der Verfügung, so dass eine Verfügung schon vor dem Zeitpunkt ihrer förmlichen Errichtung vorformuliert werden kann.
[11] Der „Sachwalter“ des österreichischen Rechts ist mit dem „Betreuer“ des deutschen Rechts zu vergleichen.
[12] Im Wege der Vorsorgevollmacht kann der Vollmachtgeber einem Dritten für den Fall einer späteren Entscheidungsunfähigkeit eine Vollmacht für näher zu bezeichnende Angelegenheiten übertragen. Zum Gegenstand einer sog. Vorsorgevollmacht in bestimmten wichtigen Angelegenheiten kann in Entsprechung des geltenden Rechts auch die Befugnis zur Ablehnung einer lebensverlängernden  medizinischen Behandlung und somit der intensivmedizinische Behandlungsabbruch gemacht werden.
[13] BGHSt 40, 257 ff.
[14] BGHZ, 154, 205 ff.
[15] BGH NJW 2005, 2385 ff.
[16] Entwurf der Abgeordneten Joachim Stünker, Michael Kauch, Dr. Lukrezia Jochimsen et al vom 14. Juni 2007.
[17] Wichtige verfahrensrechtliche Aspekte regelt Artikel 2 im Wege von Ergänzungen des „Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).
[18] Schöllhammer, S. 55 ff.
[19] Der behandelnde Arzt, der jeweiligen Betreuer sowie nahe Angehörige (enge Verwandte wie Kinder, Eltern, Ehegatten oder Lebenspartner), des Weiteren diejenigen Angehörigen, die in einem tatsächlichen, persönlichen Näheverhältnis zu dem Betroffenen stehen sowie sonstige Vertrauenspersonen (Pflegekinder, Pflegeeltern oder Lebensgefährten, enge Freunde oder Seelsorger),  BT-Drucks. 16/8442, S. 16.
[20] Taupitz 63. DJT, S. A 85.
[21] Gemäß § 1904 Abs. 5 S. 2 BGB werden von dem Entscheidungsspielraum eines Vorsorgebevollmächtigten ausdrücklich auch Entscheidungen über den Abbruch intensivmedizinischer Maßnahmen erfasst, sog. Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten.