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Der intensivmedizinische Behandlungsabbruch in den Ländern Österreich und Deutschland: Eine Bestandsaufnahme mit Blick auf das Verfassungsrecht (1)

Veröffentlicht in Patienten- und PflegeRecht mit Qualitätsmanagement, Heft 1/14

Nachdem die Thematik des Abbruchs intensivmedizinischer Maßnahmen bei unheilbaren Langzeitpatienten sowohl mit Blick auf das Zivil- als auch das Strafrecht dargestellt wurde, gilt es sich abschließend mit der Frage zu befassen, welche verfassungsrechtlichen Aspekte sich im Rahmen des Umgangs mit entscheidungsunfähigen Patienten stellen. Namentlich geht es um die grundsätzliche Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens als dem Staat obliegende Pflicht gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Der nachfolgende Aufsatz bildet mit der vergleichenden Bestandsaufnahme des Verfassungsrechts der Länder Österreich und Deutschland damit den Abschluss der Trilogie zum intensivmedizinischen Behandlungsabbruch bei irreversiblen Intensivpatienten (2).

A. Einführung

Da die im Rahmen des Abbruchs intensivmedizinischer Maßnahmen primär tangierten Rechtsgüter angesichts des Fehlens eines zum deutschen Recht vergleichbaren Grundrechtskatalogs durch die österreichische Rechtsordnung keine direkte Absicherung erfahren, wird in Österreich hinsichtlich der Ausgestaltung der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Recht auf Leben und dem Recht des Einzelnen zur Selbstbestimmung auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), Art. 2, Recht auf Leben, Art. 3, Verbot der Folter, Art. 5, Recht auf Freiheit und Sicherheit, sowie Art. 8, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, abgestellt. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung ist hinsichtlich der im Rahmen des Abbruchs intensivmedizinischer Maßnahmen tangierten Rechtsgüter auf die Bestimmungen des Grundrechtskatalogs des Grundgesetzes (GG), Art. 1 bis Art. 19 GG, abzustellen. Die Pflicht des Staates zum Schutze des Lebens wird aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, Alt. 1 GG abgeleitet und das Recht auf
Selbstbestimmung des Einzelnen ist als Schutzgut sowohl durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als auch durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Zudem ist das Selbstbestimmungsrecht als Kern der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG anzusehen.

I. Österreich

Zur Klärung der Frage, ob und inwieweit das Spannungsverhältnis zwischen der aus dem Recht auf Leben resultierenden Schutzpflicht des Staates und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen die Zulässigkeit des Abbruchs einer medizinischen Behandlung zu begrenzen vermag, ist zunächst festzuhalten, dass das österreichische Verfassungsrecht hierzu ausdrücklich keine Ansatzpunkte bietet. Bis auf wenige Ausnahmen fehlt es vielmehr an einer innerstaatlichen Verankerung der Grundrechte auf Leben und Selbstbestimmung (3). Aus diesem Grunde sind für die Frage nach der Zulässigkeit des Abbruches intensivmedizinischer Maßnahmen die Bestimmungen der EMRK von zentraler Bedeutung (4), welche völker- und verfassungsrechtliche Garantien aufweisen, deren Inhalte der Disposition des Gesetzgebers entzogen sind (5).

1. Das Recht auf Leben und Selbstbestimmung als Regelungsgegenstand der EMRK

Das Recht auf Leben ist in der EMRK zum eigenständigen Schutzgut des Art. 2 EMRK erhoben worden und das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung wird durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sowohl aus Art. 2 und Art. 3 als auch aus Art. 5 EMRK abgeleitet (6). Die zentrale Bestimmung stellt jedoch Art. 8 EMRK dar (7): Dieser beinhaltet grundsätzlich das Recht auf Privatsphäre. Dadurch wird nicht nur eine Pflicht des Staates statuiert, in dieses Recht nicht einzugreifen, sondern auch positive Gewährleistungspflichten gebildet, woraus folgt, dass der Staat rechtliche Regelungen zu schaffen hat, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnen, sich gegen Beeinträchtigungen der Privatsphäre zu schützen. Insgesamt verbürgt Art. 8 EMRK den Anspruch des Einzelnen auf Selbstbestimmung in allen seine persönliche Sphäre betreffenden Angelegenheiten. Umfasst ist in diesem Rahmen neben der Entscheidungsfreiheit des Betroffenen über medizinische Behandlungen bzw. künstliche Maßnahmen der Ernährungs- und
Flüssigkeitszufuhr auch die Selbstbestimmung über den eigenen Tod. Nicht begrenzt wird diese Autonomie dabei durch Art. 2 EMRK: Dieser schützt einzig das individuelle Leben, hingegen nicht das menschliche Leben als objektives Schutzgut (8). Dies hat zur Folge, dass das Recht auf Leben grundsätzlich nicht vor Maßnahmen „schützt“, die auf dem Willen des Grundrechtsträgers selbst beruhen, da keine Verpflichtung des Staates besteht, dem Einzelnen den Schutz seines Lebens aufzudrängen (9).

2. Exkurs: Die relevante Rechtsprechung des EMRK

Im Ergebnis bestätigt wird diese Aussage durch die Rechtsprechung des EGMR in den Fällen Pretty gegen das Vereinigte Königreich aus dem Jahre 2002 sowie Ada Rossi u. a. gegen Italien aus dem Jahre 2009.

a) EGMR 29.4.2002, Appl. 2346/02, Pretty gegen das Vereinigte Königreich

Die 43-jährige Diane Pretty litt an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) im fortgeschrittenen Stadium, war vom Hals abwärts gelähmt, konnte nicht mehr verständlich sprechen und wurde durch eine Sonde ernährt. Ihre Lebenserwartung betrug nur noch wenige Wochen oder Monate, ihre (psychische) Entscheidungsfähigkeit war grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Da sie selbst aufgrund ihres körperlichen Zustandes nicht mehr in der Lage war, ihrem Leiden ein Ende zu setzen, wollte sie erreichen, dass ihr Ehemann bei ihr Sterbehilfe leistet. Nach dem in England und Wales geltenden Recht ist der Suizid zwar seit dem Jahre 1961 nicht mehr unter Strafe gestellt, die Beihilfe zum Suizid jedoch schon (10). Nachdem Pretty in letzter Instanz mit ihrer Klage vor dem House of Lords gescheitert war, wandte sie sich im Rahmen einer Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK an den EGMR. Der EGMR führte aus, dass Art. 2 EMRK nur eng umgrenzte Umstände bestimme, unter denen eine Tötung gerechtfertigt sein könne, in erster Linie beinhalte er jedoch eine positive Verpflichtung des Staates, das Rechtsgut Leben zu schützen (11). Ohne Verdrehung des Wortlauts könne Art. 2 EMRK nicht so ausgelegt werden, dass er das diametral entgegengesetzte Recht zu sterben enthalte. Es könne ihm auch nicht ein Recht zur Selbstbestimmung entnommen werden in dem Sinne, dass eine Person das Recht habe, den Tod zu wählen anstelle des Lebens. Zudem wies er darauf hin, dass es nicht die Aufgabe des EGMR sei, bei der Entscheidung des zugrunde liegenden Falles zu prüfen, ob es die Rechtsordnung eines anderen Staates versäume, das Recht auf Leben zu schützen (12). Auch hob der EGMR hervor, dass es „bisher noch nicht entschieden worden (sei), dass Art. 8 EMRK auch ein Recht auf Selbstbestimmung beinhaltet“. Er sei jedoch der Ansicht, dass „(…) die Vorstellung von der Autonomie der Person ein wichtiger Grundsatz ist, die der Auslegung der Garantien von Art. 8 EMRK zu Grunde liegt“. Zudem merkte der EGMR an, das die Fähigkeit, sein Recht so zu leben, wie man selbst bestimmt hat,
auch die Möglichkeit einschließen könne, Dinge zu tun, die für die Person körperlich oder seelisch schädlich oder gefährlich sind. Abschließend stellte der EGMR jedoch klar, dass Staaten berechtigt seien, mit Mitteln des Strafrechts Handlungen zu regeln, die für das Leben und die Sicherheit einer Person schädlich sein könnten. Der hier einschlägige § 2 Suicide Act 1961 habe zum Ziel, Leben zu erhalten, indem er Schwache und Verletzbare schütze; zwar sei die Lage, in der sich tödlich erkrankte Personen befinden, zweifellos unterschiedlich, jedoch im Sinne der ratio des in Frage stehenden Gesetzes „verletzbar“. Im Ergebnis ist der Gerichtshof somit nicht der Ansicht, dass das unbedingte Verbot der Beihilfe zum Suizid unverhältnismäßig oder willkürlich sei, da es der Bedeutung des Rechts auf Leben Rechnung trage (13).

b) EGMR 16.12.2008, Appl. 55185/08 u.a., Ada Rossi u.a. gegen Italien

Im Fall Ada Rossi u. a. gegen Italien (14) hatten gesetzliche Vertreter von Wachkomapatienten zusammen mit unterschiedlichen Interessenverbänden (15) vor dem EGMR Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK aufgrund einer Verletzung von Art. 2 sowie Art. 3 EMRK erhoben. Dabei bezogen sie sich auf einen in Italien judiziell heftig umkämpften Fall von Sterbehilfe: Die Italienerin Eluana Englaro war 1992 im Alter von 21 Jahren nach einem Unfall zunächst ins Koma und sodann ins Wachkoma gefallen. Bereits zwei Jahre später wurde ihr gesundheitlicher Zustand von ärztlicher Seite als irreversibel eingeordnet. Ihr Vater, welcher im Dezember 1996 zu ihrem gesetzlichen Betreuer bestellt worden war, strengte Anfang 1999 unter Berufung auf die Persönlichkeit seiner Tochter und deren vor ihrem Unfall ihm gegenüber geäußerten Ansichten über das Leben und die Würde der Person ein gerichtliches Verfahren an, um die Erlaubnis zum Abbruch der künstlichen Ernährung zu erwirken. Nach einem langen gerichtlichen Instanzenzug begleitet von Interventionen des Vatikans sowie der italienischen Regierung bestätigte das oberste italienische Berufungsgericht, das Verfassungsgericht in Rom (16), im November 2008 in letzter Instanz durch eine Abweisung der seitens der Staatsanwaltschaft erneut eingelegten Berufung die Anordnung des Mailänder Berufungsgerichts, wonach die künstliche Ernährung der Italienerin eingestellt werden könne. Der Urteilsspruch wurde aber wegen des generellen Verbots der aktiven und passiven Sterbehilfe in Italien zunächst vom Regionalpräsidenten der Lombardei nicht umgesetzt und vom italienischen Gesundheitsministerium politisch blockiert. Erst Anfang Februar 2009 wurde die Patientin aus einer Klinik im lombardischen Lecco in ein Altersheim im friaulischen Udine verlegt, wo sie am 09. Februar sodann verstarb (17). Obwohl die Klage in der Sache zurückgewiesen wurde (18) und der EGMR zu den inhaltlichen Kriterien für die Zulässigkeit eines Behandlungs- bzw. Ernährungsabbruches bei entscheidungsunfähigen Patienten somit nicht Stellung
nehmen musste, führte er obiter dictu gleichwohl aus, dass „Art. 2 und Art. 3 EMRK (…) gewisse Aspekte der körperlichen Integrität schützen und (...) den Konventionsstaaten positive Verpflichtungen auferlegen. Die Anwendung einer medizinischen Behandlung ohne Einwilligung des erwachsenen, geistig gesunden Patienten oder des Sachwalters eines rechtlich nicht einwilligungsfähigen Patienten stellt einen Eingriff in die physische Integrität dar, der diese Rechte in Frage stellen kann“.

II. Deutschland

In Deutschland ist die Frage der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmung im Falle des Abbruches intensivmedizinischer Maßnahmen primär anhand der im Grundgesetz in den Art. 1-19 GG verankerten Grundrechten zu erörtern.

1. Die Würde des Menschen, Art. 1 Abs. 1 GG

Zur Festlegung des Schutzbereiches der in Art. 1 Abs. 1 GG normierten Menschenwürde wird neben ihrer positiven Bestimmung durch die Vertreter der Leistungstheorie (19) zumeist auf eine negative Umschreibung abgestellt und gefragt, welche Akte der öffentlichen Gewalt als Verletzung der Menschenwürde gekennzeichnet werden können (20). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) (21) bedient sich hierfür der sog. „Objektformel“, wonach eine Verletzung angenommen wird, wenn der Betroffene zum bloßen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt wird, zudem führt es an, dass die Menschenwürde einen absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst (22). Von diesem Kern der Menschenwürde ist in jedem Fall die Selbstbestimmung des Einzelnen umfasst (23). Vergleichbares gilt für die Verfügung und die Selbstbestimmung über das eigene Leben. Nicht jede Beendigung menschlichen Lebens geht daher zwingend mit einem Eingriff in die Menschenwürde einher (24): So schützt Art. 1 Abs. 1 GG insbesondere das würdevolle Sterben, wodurch der Zusammenhang zwischen Würde und Selbstbestimmung deutlich wird (25). Eine Verletzung der Menschenwürde ist somit zumindest auch eng verknüpft mit dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, wenn dieses in seiner Ausübung beschränkt wird. Als Fazit ist somit festzuhalten, dass der Patient auch und gerade davor zu schützen ist, zum bloßen Objekt des Behandlungs- und Pflegewillens anderer oder zum Gegenstand der Apparatemedizin zu werden (26). Bei Verweigerungen und Verhinderungen eines sog. menschenwürdigen Sterbens und bei Maßnahmen der Zwangsernährung ist somit der Menschenwürdegehalt des Art. 1 Abs. 1 GG tangiert (27). Damit die Garantie der Menschenwürde jedoch nicht buchstäblich zur sog. kleinen Münze verkommt, ist zu betonen, dass sie allein einen Elementarschutz vermittelt und insoweit einer restriktiven Deutung bedarf (28): Da der aus Art. 1 Abs. 1 GG als Wurzel aller Grundrechte folgende Achtungsanspruch die Auslegung der Normen des Grundgesetzes steuert (29), die nachfolgenden Grundrechte somit in dessen Lichte auszulegen
sind, folgt daraus, dass diese zuerst zu prüfen sind (30). Wird bei der Auslegung der nachfolgenden Grundrechte die Würde des Menschen hinreichend berücksichtigt, erübrigt sich somit in der Regel ein Rückgriff auf Art. 1 Abs. 1 GG (31). Der Achtungsanspruch der menschlichen Würde des Art. 1 Abs. 1 GG ist somit zwar nicht als direkte dogmatische Grundlage des Selbstbestimmungsrechts des Patienten hinsichtlich lebensbeendender Entscheidungen anzusehen, im Rahmen der Prüfung der weiteren, in diesem Zusammenhang als einschlägig angeführten Grundrechte jedoch stets mit einzubeziehen.

2. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

Aus dem objektivrechtlichen Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgt das umfassende Gebot des Staates, sich schützend und fördernd vor das Rechtsgut „Leben“ zu stellen und es vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (32). Dieser Schutzauftrag ist jedoch nicht dahingehend zu verstehen, dass er auch gegenüber dem Grundrechtsträger selbst greift: Die staatliche Schutzpflicht kann sich vielmehr nicht prinzipiell gegen den Grundrechtträger richten, der seine eigenen Rechtsgüter schädigen will, da die Freiheitsrechte die Autonomie des Einzelnen schützen. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgt somit keine Verpflichtung des Staates, den Einzelnen vor sich selbst zu schützen (33). Das Abwehrrecht auf Leben ist ausweislich des Gesetzesvorbehaltes in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG somit nicht absolut, sondern relativ differenziert geschützt. Spätestens seit BVerfGE 89, S. 120 ff. ist es auch durch ständige Bestätigung des Schrifttums (34) als feststehend zu bezeichnen, dass dem Kranken aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG „das volle Selbstbestimmungsrecht über seine leiblich-seelische Integrität“ (35) zusteht. So umfasst der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG neben demRecht zur Selbstbestimmung im Zusammenhang mit der Bewältigung von Krankheiten (36) auch das Recht, dass nicht entgegen des Willens des Patienten eine lebensverlängernde Behandlung aufgenommen oder fortgesetzt wird (37). Es gibt somit keinen legitimen Grund, der es rechtfertigen könnte, den Einzelnen gegen seinenWillen durch medizinische Maßnahmen am Leben zu erhalten (38). Dies gilt umso mehr, als Maßnahmen künstlicher Lebensverlängerung in aller Regel mit körperlichen Eingriffen einhergehen, die spezieller Legitimation bedürfen. Auch hier hat der ernsthaft geäußerte Wille des Betroffenen, weitere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit nicht zuzulassen (39), gegenüber dem von der staatlichen Schutzpflicht getragenen Bestreben der Lebenserhaltung bzw. -verlängerung absoluten Vorrang (40) und ist somit unbedingt zu respektieren. Zudem wird unter Bezugnahme darauf, dass der Tod Teil der natürlichen Existenz des Menschen sei, auch die Freiheit des Sterbens im Sinne einesRechts auf den menschenwürdigen Tod (41) auf den Autonomiegehalt von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gestützt (42). Durch diese Ausformung wird deutlich, dass der Mensch einzig in dem Fall „würdig“ stirbt, wenn ihm dies als freiverantwortliches, sittlich autonomes Individuum gewährleistet wird, seine Entscheidungen somit respektiert und nicht von anderen auferlegt werden (43). Auch von Verfassungswegen ist somit kein „abstrakter Rang“ des Lebens dergestalt normiert, dass der Schutzzweck des Art. 2 Abs. 2 S. 1, Alt. 1 GG im Sinne einer „externen Unverfügbarkeit“ menschlichen Lebens zu verstehen ist (44).

3. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG

Im Verfassungsrecht wird der Grundsatz der Selbstbestimmung zudem von Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, erfasst. Dabei gestaltet er sich dergestalt als „Menschenrecht“ aus, indem „dem einzelnen Bürger darin ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung (gewährt wird Anm. der Verf.), der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist“(45). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet somit Schutz gegen eine umfassende Einschränkung der personalen Entfaltung bzw. Privatautonomie (46). Zudem ist aus diesem ein Verfügungsrecht über den eigenen Körper abzuleiten. Mitunter wird auch vom Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung gesprochen (47). Weiterhin folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ebenfalls ein Anspruch, in Ruhe sterben zu können (48): Zumindest für den entscheidungsfähigen Patient wird angeführt, dass dieser selbst über das Ob einer weiteren lebensverlängernden Behandlung entscheiden können muss, Schutzgut ist somit das Recht, lebensverlängernde
Maßnahmen unterbinden zu können, wenn ein menschenwürdiges Leben nur noch schwer möglich ist (49).

B. Fazit

Die vorigen Ausführungen zeugen somit von einem aus seinem pathologischen Zustand resultierenden besonderen Schutzanspruch des entscheidungsunfähigen Patienten, welcher insbesondere imZusammenhang mit medizinischen Behandlungen besteht. Evident wurde dabei, dass das Spannungsverhältnis Lebensschutz contra Selbstbestimmungsrecht weder im österreichischen Recht als indirekter Ausfluss über die einschlägigen Bestimmungen der EMRK noch als direkter Ausfluss des innerstaatlichen
Grundrechtskatalog des deutschen Verfassungsrechts geeignet ist, den Abbruch intensivmedizinischer Maßnahmen bei einem entscheidungsunfähigen Patienten zu begrenzen, vielmehr weist das Selbstbestimmungsrecht auch im Zusammenhang mit der Entscheidung über lebensbeendende Maßnahmen einen eingriffsresistenten Schutzgehalt auf.

Fussnoten:

1 Fortsetzung des Beitrages aus Heft Nr. 3-4/2013.
2 Siehe hierzu „Der Abbruch intensivmedizinischer Maßnahmen in den Ländern Österreich und Deutschland“, Schriftenreihe „Recht und Medizin“, Bnd. 108, Peter Lang Verlag 2012.
3 Das Recht auf Leben wird abgeleitet aus Art. 4 Staatsgrundgesetz (StGG), Recht auf Freizügigkeit der Person und des Vermögens, Art. 5 sowie 6 StGG, Unverletzlichkeit des Eigentums und Freiheit von Erwerbsbetätigung und Liegenschaftsverkehr, Art. 10 und 10a StGG sowie Art. 12 StGG; das Selbstbestimmungsrecht allgemein durch Art. 13 und Art. 14 StGG, Meinungs- und Glaubensfreiheit, Art. 18 StGG, Freiheit der Berufswahl und der Berufsausbildung sowie einfachgesetzlich als Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch das Recht auf Datenschutz aus § 1 Datenschutzgesetz (DSG) geschützt, vgl. u. a. Ganner in: Barta/Kalchschmid, S. 132 (138).
4 Siehe hierzu Kopetzki in: Kröll/Schaupp, S. 61 (77).
5 Kopetzki in: Kopetzki, S. 38 (39).
6 Auf supranationaler Ebene ist zudem auf Art. 3 Abs. 2 lit. a) der Grundrechtscharta der Europäischen Union sowie auf Art. 5 und 9 Biomedizin-Konvention zu verweisen.
7 vgl. u. a. Kneihs, S. 342ff.; Kopetzki in: Kopetzki, Antiz. PatV, S. 38 (39).
8 Kopetzki in: Kröll/Schaupp, S. 61 (78); Schick in: GedS-Zipf, S. 393 (400).
9 So etwa Schick in: GedS-Zipf, S. 393 (399).
10 § 2 Abs. 1 Suicide Act 1961.
11 EGMR NJW 2002, S. 2851 (2851 f.).
12 EGMR NJW 2002, S. 2851 (2852).
13 EGMR NJW 2002, S. 2851 (2853 ff.).
14 EGMR 16. 12. 2008, Appl. 55185/08 u. a., Ada Rossi u. a. gegen Italien (Keine Beschwerdelegitimation am Verfahren unbeteiligter Dritter gegen gerichtliche Genehmigung eines Behandlungsabbruchs).
15 Vereine, Eltern und Freunde von schwer behinderten Personen und diese betreuende Ärzte, Psychologen und Anwälte sowie ein Verein zur Wahrung der Menschenrechte.
16 Nachweise hierzu insgesamt bei Luther EuGRZ 2009, S. 198 (199).
17 Die Thematik ist u. a. verfügbar unter www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,605164,00.html (Stand: 24. Juli 2013).
18 Hierzu Kopetzki RdM 2009, S. 100.
19 Podlech in: AK, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 46.
20 Pieroth/Schlink, Rdn. 358.
21 BVerfGE 87, S. 209 (228).
22 BVerfGE 109, S. 279 (313).
23 Storr MedR 2002, S. 436 (437).
24 Höfling JuS 2000, S. 111 (114).
25 Fink, S. 154; vgl. auch die Ausführungen bei Schork, S. 26.
26 Hufen NJW 2001, S. 849 (850 f.).
27 Vgl. Podlech in: AK, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 55; Francke, S. 107
28 Herdegen in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 41; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rdn. 15.
29 BVerfGE 93, S. 266 (293); Häberle in: HdbStR, Bnd. II, § 22 Rdn. 11.
30 Stern, Bnd. IV/1, S. 78.
31 BVerfGE 53, S. 257 (300).
32 BVerfGE 39, S. 1 (42).
33 Vgl. BVerwGE 82, S. 45 (49).
34 Höfling/Lang in: Feuerstein/Kuhlmann, S. 17 (19); Deutsch/Spickhoff, Rdn. 16; Laufs in: Laufs/Uhlenbruck, § 63 Rdn. 6; Ulsenheimer in: Laufs/Uhlenbruck, § 153 Rdn. 35ff.
35 So schon in BVerfGE 52, 171 (174 f.) innerhalb des Minderheitenvotums der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger enthalten.
36 Francke, S. 107; Lorenz in: HdbStR, Bnd. IV, § 128 Rdn. 66.
37 Pieroth/Schlink, Rdn. 392; Kämpfer, S. 177ff.
38 Dreier/Schulze-Fielitz I, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 63; Herdegen in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 85.
39 Lorenz in: HdbStR, Bnd. VI, § 128 Rd. 66.
40 BGHSt 11, S. 111; Uhlenbruck ZRP 1986, S. 209 (214); Sachs/Murwiek, Art. 2 Rdn. 212.
41 Francke, S. 107; Hirsch ZRP 1986, S. 239f.; Otto, 56. DJT, S. D 1 (37).
42 Eser JZ 1986, S. 786 (791); Hufen NJW 2001, S. 849 (851) m.w.N.; Otto, 56. DJT, S. D 1 (22 f.).
43 Füllmich, S. 27; Otto, 56. DJT, S. D 1 (24); Stürmer, S. 38.
44 Lorenz in: HdbStR, Bnd. IV, § 128 Rdn. 8.
45 BVerfGE 6, S. 32 (41); 6, S. 389 (443); 27, S. 1 (6); vgl.: Sachs/Höfling, Art. 1 Rdn. 28ff.
46 BVerfGE 72, S. 155 (170).
47 Vgl. Koppernock.
48 Di Fabio in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rdn. 205.
49 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rdn. 50.