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Unterlassungsanspruch gegenüber Empfehlungen zu Explantation risikobehafteter Medizinprodukte

Anmerkung zu: Verwaltungsgericht Köln, 7. Kammer, Beschluss vom 14.10.2013 - 7 L 936/13, veröffentlicht in jurisPR-MedizinR 1/2014 Anm. 5

Leitsätze

1. Zu den Voraussetzungen des Informationshandelns des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei Empfehlungen zu Explantation risikobehafteter Medizinprodukte (hier: einstweiliger Rechtsschutz).
2. Das BfArM ist rechtlich nicht gehindert, TiBREEZE-Brustimplantate in seine Explantationsempfehlung betreffend Brustimplantate der Firma PIP einzubeziehen.


A. Problemstellung

Das VG Köln hatte darüber zu entscheiden, ob das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) daran gehindert ist, TiBREEZE-Brustimplantate in seine Explantationsempfehlung in Bezug auf die Firma PIP zum Zwecke der Information der Öffentlichkeit einzubeziehen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die im Jahre 2002 gegründete Antragstellerin entwickelt nach eigener Darstellung auf der Basis eines patentierten nanotechnischen Veredelungsverfahrens (Titanisierung) titanisierte Humanimplantate aus Kunststoff und bringt diese als Medizinprodukte in den Verkehr. Als Vorteile der Titanisierung von Implantaten beschreibt die Antragstellerin u.a. niedrige Entzündungsraten, ein natürliches Einwachsen und den Umstand, dass das Implantat vom menschlichen Körper nicht als fremd wahrgenommen wird. Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin (Rechtsvorgängerin) stellte zwischen September 2003 und Februar 2004 insgesamt 728 Brustimplantate her und brachte sie in den Verkehr. Die Herstellung der Implantate erfolgte hierbei unter Verwendung von Vorprodukten (Silikon) der französischen Firma Poly Implant Prothese (PIP). Hierbei bezog die Rechtsvorgängerin von der Firma PIP leere Silikonhüllen samt Verschlussteilen, beschichtete anschließend die Außen- und Innenseiten der Hüllen ebenso wie die Verschlussteile mit Titan. Die so vorbereiteten Produkte wurden anschließend von PIP mit Silikon befüllt und verschlossen. Im Frühjahr 2010 stellte die nationale französische Überwachungsbehörde „Agence française de Securite sanitaire de sante“ (Afssaps) – seit dem 01.05.2012 „Agence nationale de securite du medicament et des produits de sante“ (ANSM) – fest, dass die PIP Brustimplantate nicht mit dem dafür vorgesehenen und spezifizierten Silikongel, sondern mit billigerem Industriesilikon befüllt hatte und die Produkte damit nicht verkehrsfähig waren. Hierüber informierte die Afssaps die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. Die Antragsgegnerin, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), veröffentlichte daraufhin mit Datum vom 01.04.2010 auf seiner Internet-Seite www.bfarm.de unter „Empfehlungen des BfArM Silikongel-gefüllte Brustimplantate ...“ erstmals die folgende Information:

„Das BfArM wurde von der französischen Medizinproduktebehörde Afssaps darüber informiert, dass sie die Vermarktung, den Vertrieb, den Export und die weitere Verwendung von Silikongel-gefüllten Brustimplantaten des Herstellers Poly Implant Prothese (PIP) europaweit untersagt hat. Die französische Behörde hatte bei einer Inspektion festgestellt, dass die meisten Brustimplantate dieses Herstellers, die seit 2001 hergestellt wurden, nicht mit dem ursprünglich vorgesehenen und dafür spezifizierten Silikongel gefüllt sind. Sie entsprechen daher nicht den gesetzlichen Anforderungen (z.B. der Richtline 93/42/EWG). Derzeit wird von der französischen Behörde untersucht, ob die Verwendung des Materials die Sicherheit der Implantate beeinflusst. Es gibt Hinweise, dass Implantate dieses Herstellers auch in Deutschland eingesetzt worden sind. Die Afssaps und das BfArM empfehlen Ärztinnen und Ärzten, die Silikongel-gefüllte Implantate des genannten Herstellers eingesetzt haben, die betroffenen Patientinnen zu informieren und diese Brustimplantate der Fa. PIP bis auf weiteres nicht mehr einzusetzen. Patientinnen, bei denen Implantate dieses Herstellers eingesetzt worden sind, sollten sich bei weiteren Fragen mit ihren behandelnden Ärztinnen oder Ärzten in Verbindung setzen. Das BfArM hat sich in dieser Sache mit den Überwachungsbehörden der Bundesländer in Verbindung gesetzt und diese informiert. ...“

Diese Information wurde in der Folgezeit durch datierte Ergänzungen in absteigender Reihenfolge fortlaufend aktualisiert, wobei die datumsälteren Veröffentlichungen unverändert blieben und sich im Internet bis heute daraus eine chronologische Abfolge der Veröffentlichungen ergibt.

In diesem Rahmen verwies die Antragsgegnerin in zwei Folgeveröffentlichungen (26.01.2012 und 28.03.2013) unter Informationen zu Herstellung und Vertrieb insbesondere darauf, dass Brustimplantate der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin ebenfalls betroffen seien und die Empfehlungen des BfArM daher für diese Produkte entsprechend gelten würden – ungeachtet seitens der Antragstellerin durchgeführter Untersuchungen der fraglichen Brustimplantate unter Angabe der geprüften Chargen, welche zu dem Ergebnis kamen, dass die untersuchten Produkte nur mit dem regulären NUSIL Silicone MED3-6300 befüllt gewesen waren.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Erwähnung ihres Produkts in Zusammenhang mit den Ereignissen um die Firma PIP nicht gerechtfertigt sei. Nach erfolgloser außergerichtlicher Korrespondenz mit der Antragsgegnerin hat sie am 02.07.2013 um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

Nach Ansicht der Antragsgegnerin habe die Antragstellerin keinen Unterlassungsanspruch, da die Informationen und Empfehlungen des BfArM im Internet sachlich zutreffend seien. Soweit Unsicherheiten hinsichtlich der Tatsachenlage bestünden, werde auch darauf hingewiesen. Sie bildeten ein fortwährend aktualisiertes Spiegelbild der Erkenntnisse. Anhaltspunkte dafür, die seitens der Antragstellerin oder deren Rechtsvorgängerin vertriebenen Implantate von den Empfehlungen auszunehmen, bestünden nicht. Auch seien die Stichprobenprüfungen der Antragstellerin nicht geeignet, eine abweichende Bewertung von deren Implantaten zu rechtfertigen.

Das VG Köln hat entschieden, dass der Antragstellerin kein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin zustünde, da die Empfehlungen des BfArM den Anforderungen im vollem Umfange gerecht werden, die an öffentlich-rechtliche Informationstätigkeit der Behörden nach § 24 der Verordnung über die Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken bei Medizinprodukten (Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung - MPSV) zu stellen seien und erteilte dem Rechtschutzgesuch der Antragstellerin insofern eine Absage.

Unter Verweis auf die diesbezüglich einschlägige Rechtsprechung (OVG Münster, Beschl. v. 23.04.2012 - 13 B 127/12 - DVBl 2012, 781; BVerwG, Beschl. v. 11.11.2010 - 7 B 54.10; OVG Münster, Beschl. v. 12.07.2005 - 15 B 1099/05 - NVwZ-RR 2006, 273; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 - 1 BvR 558/91 u.a. - BVerfGE 105, 252; BVerwG, Urt. v. 18.04.1985 - 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357) führte das Gericht an, dass sich die Rechtmäßigkeit amtlicher Äußerungen zuständiger Stellen an den allgemeinen Grundsätzen für ein rechtsstaatliches Verhalten orientiere, insbesondere am Willkürverbot und am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Aus dem Willkürverbot sei abzuleiten, dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, also bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssten, und zudem den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürften. Rechtliche Wertungen seien auf ihre Vertretbarkeit hin zu überprüfen. Mitgeteilte Tatsachen müssten zutreffend sein. Ist die Richtigkeit einer Information nicht abschließend geklärt, müsse der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung der verfügbaren Informationsquellen aufgeklärt werden. Verblieben dennoch Unsicherheiten, sei der Staat an der Informationsverbreitung dann nicht gehindert, wenn es im öffentlichen Interesse liege, dass die Marktteilnehmer über ein bestehendes Risiko aufgeklärt werden müssten. Es sei dann aber auch angezeigt, sie auf verbleibende Unsicherheiten hinzuweisen, um sie in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, wie sie mit der Unsicherheit umgehen wollen.

Dabei sei nach der einschlägigen Rechtsprechung (OVG Münster, Beschl. v. 09.09.2013 - 5 B 417/13; BVerfG, Beschl. v. 09.03.2010 - 1 BvR 1891/05 - NJW-RR 2010, 1195) zu berücksichtigen, dass Verlautbarungen amtlicher Stellen von Medien und Verbrauchern ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werde. Denn Behörden seien in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden und zur Objektivität verpflichtet.

Den so skizzierten Anforderungen an öffentlich-rechtliche Informationstätigkeit der Behörden würden die die Hinweise des BfArM in Bezug auf die streitgegenständlichen Brustimplantate nach Ansicht der Kammer in vollem Umfang gerecht: Die streitbefangenen Informationen fänden ihre Rechtsgrundlage in § 24 MPSV, wonach die zuständige Behörde des Bundes über durchgeführte korrektive Maßnahmen, Empfehlungen und Ergebnisse der wissenschaftlichen Aufarbeitung nach § 23 MPSV über ihre Internet-Seite informieren könne. Für eine Information der Öffentlichkeit in Form von Empfehlungen habe für das BfArM Anlass bestanden, nachdem im Jahre 2010 durch Kontrollen der französischen Überwachungsbehörde bekannt geworden war, dass Brustimplantate der Firma PIP im erheblichen Umfang mit minderwertigem Industriesilikon statt mit dem der Spezifikation entsprechenden medizinischem Silikon befüllt und auch in Deutschland PIP-Produkte verwendet worden waren. Die Veröffentlichung der sachlich zutreffenden Erkenntnisse sei bei dieser Lage das einzige zu Gebote stehende Mittel gewesen, der durch die Verwendung minderwertigen Silikons unstreitig entstandenen Gefahrenlage im Interesse der betroffenen Patientinnen zu begegnen und diesen sowie ihren behandelnden Ärzten eine Grundlage für eine Entscheidung über die Explantation zu geben. Bei dieser Erkenntnislage eine Öffentlichkeitsinformation zu unterlassen, hätte die Behörde dem Vorwurf ausgesetzt, Patientinnen und Ärzten sicherheitsrelevante Erkenntnisse vorzuenthalten. Diese Befugnis des BfArM umfasse auch das Recht, die streitgegenständlichen Brustimplantate in die angesprochenen Empfehlungen einzubeziehen (Mitteilung vom 26.01.2012). Diese Erweiterungen fänden ihre sachliche Grundlage in dem Umstand, dass die Implantate in ganz erheblichem Umfang unter Verwendung von PIP-Komponenten hergestellt wurden. Nach dieser Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin selbst habe der Schwerpunkt der Fertigung bei PIP gelegen, nicht bei der Antragstellerin. Die Annahme, dass die streitgegenständlichen Implantate den gleichen Sicherheitsbedenken ausgesetzt gewesen sind wie von PIP selbst vermarktete, sei vor diesem Hintergrund nicht nur naheliegend, sondern im Interesse der Produktsicherheit geboten. Die hiermit verbundene Ungewissheit, ob und in welchem Umfang Implantate der Antragstellerin betroffen sind, liege in der angesprochenen Natur der getroffenen Sicherheitsentscheidung. Auch spreche gegen diese nicht, dass nach Angaben der Antragstellerin bislang bei keinem Exemplar nicht verkehrsfähiges Silikon festgestellt werden konnte. Denn sie gründe sich auf dem Risiko, dass illegales PIP-Silikon verwendet wurde. Dieses Risiko sei auch nicht deshalb unbeachtlich, weil die Implantate infolge der Titanisierung generell geringere Ruptur- und Bleedingraten gehabt hätten als herkömmliche Produkte. Auch werde die Risikoannahme nicht durch den Umstand erschüttert, dass die Antragstellerin jeweils ein Brustimplantat aus 16 Chargen untersucht hat, bei denen es sich überwiegend um Explantate, zum Teil aber auch um Restexemplare der Antragstellerin gehandelt hat, und sich ihren Angaben zufolge in keinem Fall ein anderes als das legale NUSil-Silikon gezeigt habe. Die Ergebnisse würden auf einer bloßen Stichprobe basieren, die einen Rückschluss auf die insgesamt 728 in Verkehr gebrachten Implantate nicht zulasse. Zudem seien bei der Firma PIP keine hinreichende Chargenzuordnung getroffen worden. Angesichts der veröffentlichten Äußerungen des Firmenchefs der PIP stehe zudem fest, dass sowohl die Benannte Stelle (TÜV-Rheinland LGA Products GmbH) als auch die französische staatliche Überwachungsbehörde (Afssaps) vom Hersteller lange Jahre getäuscht worden seien. Durch die ergänzende Veröffentlichung vom 28.03.2013 habe das BfArM auch dem Interesse der Antragstellerin an einer wahrheitsgetreuen und möglichst vollständigen Darstellung der Sachlage hinreichend Rechnung getragen.

C. Kontext der Entscheidung

Das VG Köln hat die streitgegenständlichen Empfehlungen des BfArM in ihrer Funktion als amtliche Äußerungen zuständiger Stellen auf der Basis der hierzu bestehenden Rechtsprechung (BVerwG, Beschl. v. 11.11.2010 - 7 B 54.10; OVG Münster, Beschl. v. 23.04.2012 - 13 B 127/12; OVG Münster, Beschl. v. 12.07.2005 - 15 B 1099/05; BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 - 1 BvR 558/91 u.a.; BVerwG, Urt. v. 18.04.1985 - 3 C 34.84, sowie OVG Münster, Beschl. v. 09.09.2013 - 5 B 417/13; BVerfG, Beschl. v. 09.03.2010 - 1 BvR 1891/05) ausgerichtet an den allgemeinen Grundsätzen für ein rechtsstaatliches Verhalten, insbesondere am Willkürverbot und am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, folgerichtig als rechtmäßig gemäß § 24 MPSV bewertet.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung ist als erfreuliche Klarstellung im Rahmen der Bewertung amtlicher Äußerungen öffentlicher Stellen zu sehen und unterstreicht anschaulich die Relevanz der diesbezüglichen öffentlich-rechtlichen Informationstätigkeit auch des BfArM.

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