Nach Rechtsprechung des EuGH mit Urteil vom 25.01.2024 – C 474/22 besteht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß der Verordnung (EG) 261/2004 über Fluggastrechte grundsätzlich dann nicht, wenn ein lediglich verspäteter Flug, der aber nicht annulliert wird, nicht angetreten wird. Das Amtsgericht Hamburg (Mitte) hat nun mit Urteil vom 01.10.2024 (Az. 8b C 284/23) klargestellt, dass dies aber dann nicht mehr gelten kann, wenn nicht mehr anzunehmen ist, dass eine zeitnahe Beförderung noch erfolgen wird und deshalb ein eigener Flug durch die betroffenen Fluggäste organisiert wird, der die Verspätung zumindest vermindert.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg Mitte dürfte für Fluggäste im Hinblick auf die unklaren Ausführungen des EuGH nun die erforderliche Klarheit gebracht haben. Ab einer Verspätung von 5 Stunden, besteht das Recht des Fluggastes, dass die Ticketkosten erstattet zu verlangen. Der Flug muss dann also nicht mehr angetreten werden. Dementsprechend würde die Annahme, dass bei derart großen Verspätungen, der Flug angetreten werden muss, um einen Anspruch auf Ausgleichszahlung zu erhalten, zu einem Wertungswiderspruch mit der Fluggastrechteverordnung selbst führen.
Aus den Gründen des Urteils:
Die Klage ist zulässig und begründet.
1.
Die Klage ist zulässig.
Das angerufene Gericht ist gemäß § 29 ZPO örtlich zuständig. Streitgegenständlich ist eine Flugreise von Hamburg nach Dublin. Die wesentlichen vertragscharakteristischen Leistungen erbringen Fluggesellschaften bei einer Flugreise sowohl am Start- als auch am Zielflughafen. Sowohl der Abflugs- als auch der Ankunftsort eines Fluges sind somit als Erfüllungsorte im Sinne des § 29 ZPO anzusehen.Nach §§ 23, 71 GVG ist das Gericht auch sachlich zuständig.
2.
Die Klage ist auch begründet.
a)
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ausgleichszahlung in Höhe von 500,00 € gemäß Art. 5 Abs. 1 lit c, Art. 7 Abs. 1 lit b. der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (nachfolgend Fluggastrechteverordnung) iVm § 398 BGB.
aa)
Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) in Verbindung mit Art. 7 Fluggastrechte-VO steht einem Fluggast ein Ausgleichsanspruch zu, wenn der von ihm gebuchte Flug annulliert wurde und ihm das Luftfahrtunternehmen keine anderweitige Beförderung unter den in Art. 5 Abs. 1 lit. c) Ziff. iii der Fluggastrechte-VO vorgesehenen Voraussetzungen anbieten konnte. Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH haben jedoch auch Fluggäste, die eine große Verspätung erleiden, d. h. eine Verspätung von drei Stunden oder mehr, ebenso wie Fluggäste, deren ursprünglicher Flug annulliert wurde, einen Ausgleichsanspruch auf der Grundlage von Art. 7 der Fluggastrechte-VO, da sie in ähnlicher Weise einen irreversiblen Zeitverlust und somit Unannehmlichkeiten erleiden (u.a. EuGH, Urteil vom 26.02.2013, C-11/11 und Urteil vom 19. 11. 2009, C-402/07, C-432/07; BGH, Urteil vom 18. 2. 2010 - Xa ZR 95/06). Das Vorliegen einer Verspätung für die Zwecke der in Art. 7 der Fluggastrechte-VO vorgesehenen Ausgleichszahlung ist hierbei anhand der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel zu beurteilen (EuGH a.a.O.). Sowohl der verspätet durchgeführte Flug FR5126 am 6.8.2023 als auch die selbst gebuchte Ersatzbeförderung durch die Zedentinnen erreichten das Endziel Dublin mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden, wobei die selbst gebuchte Ersatzbeförderung nach dem unbestrittenen Klägervortrag das Endziel vor dem verspätet durchgeführten Flug erreichte.
Die Zedentinnen verfügten über eine bestätigte Buchung für den streitgegenständlichen Flug. Die Beklagte war ausführendes Luftfahrtunternehmen dieses Fluges.
bb)
Der Beklagten trägt keine von ihr nicht zu vermeidende außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung vor; eine Exkulpation danach ist daher ausgeschlossen.
cc)
Der abgetretene Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichssumme in Höhe von insgesamt 500,00 € ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Zedentinnen den verspätet durchgeführten Flug FR5126 unbestritten nicht angetreten haben.Grundsätzlich ist der Beklagtenseite darin zuzustimmen, dass bei einem „No-Show“ zu einem verspätetet durchgeführten Flug ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung nach der EuGH-Rechtsprechung ausgeschlossen ist (vgl.: EuGH (Dritte Kammer) Urteil vom 25.1.2024 – C-474/22), da in einem solchen Fall den Fluggast die Unannehmlichkeiten, für die die Ausgleichszahlung pauschal entschädigen soll nicht eingetreten sind. Auf vorliegenden Sachverhalt ist diese Wertung aber gerade nicht zu übertragen. Nach der Beweisaufnahme durch die Vernehmung der Zeuginnen ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Fluggäste zunächst über 3 Stunden nach dem geplanten Abflug darüber im Unklaren gelassen wurden, ob und wann noch eine Beförderung an das Endziel durch die Beklagte erfolgen wird. Weiterhin ist das Gericht auf Grund der glaubhaften und übereinstimmend, widerspruchsfrei und in sich konsequenten Aussagen der Zeuginnen zu der Überzeugung gelangt, dass diese tatsächlich am Endziel angelangt sind. Unbestritten sind die Fluggäste zur ursprünglichen Abflugzeit pünktlich erschienen und saßen nach dem Boarding bereits im Flugzeug, bevor sie aufgrund eines technischen Problems das Flugzeug wieder verlassen mussten. Ebenfalls unbestritten wurden sie anschließend über 3 Stunden warten gelassen, ohne dass seitens der Beklagten ein Angebot zu einer früheren Ersatzbeförderung angeboten wurden, für die Fluggäste war daher abzusehen, dass sie mit einer großen Ankunftsverspätung von über drei Stunden das Endziel erreichen würden. Da es ihnen möglich war, selbst eine Ersatzbeförderung zu buchen, die sie aus ihrer ex-ante-Sicht verlässlich jedenfalls noch am gleichen Tag zu ihrem Endziel befördern würde, (wobei zum Zeitpunkt der eigenen Umbuchung für sie völlig unklar war, ob die Beklagte selbst noch für eine entsprechende Ersatzbeförderung sorgen würde) war ersichtlich, dass die Beklagte nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen iSd. Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO ergriffen hat, um die große Ankunftsverspätung bestmöglich zu vermeiden. Dies stimmt mit dem von der Beklagten selbst vorgelegten Systemauszug überein, aus dem nichts anderes zu erkennen ist als die Mitteilungen über die voraussichtlichen Abflugzeiten des streitegegenständlichen Fluges. Angesichts des Versäumnisses der Beklagten jedenfalls alle zumutbaren Maßnahmen zur frühestmöglichen Beförderung der Zedenten zu ergreifen, kann dem Ausgleichsanspruch nicht entgegengehalten werden, dass die Zedenten selbst dafür gesorgt haben, wenigstens früher als die entsprechende Mitteilung der Beklagten, dass eine Beförderung der Zedenten noch am selben Tag erfolgen wird, eine eigene Ersatzbeförderung zu buchen, die aber immer noch mit einer großen Ankunftsverspätung, an ihr Endziel zu kommen. Insoweit würde es dem Zweck der Fluggastrechteverordnung, ein hohes Schutzniveau der Fluggäste zu sicher, entgegenstehen, ihnen den Ausgleichsanspruch in Fällen, in denen sie mit einer großen Ankunftsverspätung - aber aufgrund eigener Bemühungen wenigstens früher als mit den vom Luftfahrtunternehmen angebotenen Beförderungsmöglichkeiten - an ihr Ziel gelangt sind, zu versagen. Gleiches muss gelten, soweit zum Zeitpunkt der eigenen Umbuchung bereits ersichtlich ist, dass eine große Ankunftsverspätung mit dem ursprünglich gebuchten Flug eintreten wird, ohne dass seitens des Luftfahrtunternehmens erkennbar alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der großen Ankunftsverspätung durch den ursprünglich gebuchten Flug ergriffen wurden, sondern noch völlig offen ist, ob eine (Ersatz-)Beförderung durch die Beklagte überhaupt erfolgen wird. Anders als der oben zitierten Entscheidung des EuGH (und auch offensichtlich dem von der Beklagten zitierten Urteil des AG Köln vom 19.04.2023, Az. 131 C 889/23) zugrunde liegend, sind im vorliegenden Fall die Unannehmlichkeiten einer mit großen Ankunftsverspätung durchgeführten Flugreise bei den Zedenten auch gerade tatsächlich eingetreten, da sie tatsächlich trotz der selbst gebuchten früheren Ersatzbeförderung immer noch ihr Endziel nur mit einer großen Ankunftsverspätung erreicht haben.
dd)
Die Höhe des Ausgleichsanspruchs der Zedenten beträgt jeweils EUR 250,00. Die Entfernung zwischen Start- und Zielflughafen beträgt nach der Großkreismethode 1.073 km.
ee)
Der Anspruch der Zedenten ist durch Abtretung gem. § 398 BGB auf die Klägerin übergegangen.
b)
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs.2, 286, 288 Abs.1 BGB. Die Beklagte befand sich nach der Zahlungsaufforderung mit Fristsetzung zum 28.08.2023 seit dem 29.08.2023 in Verzug.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
V.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Rechtsgebiete
- News(0)
- Apothekenrecht(50)
- Arbeitsrecht(0)
- Arzneimittelrecht(53)
- Biozidrecht(9)
- Cannabisrecht(20)
- Fluggastrecht(99)
- Futtermittelrecht(1)
- Heilmittelwerberecht(20)
- Kosmetikrecht(6)
- Lebensmittelrecht(70)
- Markenrecht(31)
- Medizinprodukterecht(17)
- Musikrecht(0)
- Sonstige Rechtsgebiete(101)
- Tabakrecht(7)
- Tierarzneimittelrecht(11)
- Urheberrecht(20)
- Wettbewerbsrecht(69)
- Wirtschaftsstrafrecht(2)
Haben Sie Fragen? Wir helfen gern!
Falls Sie Fragen zu diesem oder einem ähnlichen Thema haben, freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme mittels des nachstehenden Formulars oder per Email an:
info@diekmann-rechtsanwaelte.de
Sie können uns natürlich auch unter
+49 (40) 33443690 telefonisch erreichen.
AG Hamburg: Ein Ausgleichsanspruch gem. VO (EG) Nr. 261/2004 besteht auch, wenn ein Fluggast über mindestens 3 Stunden im Unklaren darüber gelassen wird, ob der gebuchte Flug noch starten wird
Ausgleichsanspruch, VO (EG) Nr. 261/2004, Fluggast, Verspätung, Umbuchung, Flug, Fluggastrechte, Beförderung