Anmerkung zu: Verwaltungsgericht Gießen 5. Kammer, Urteil vom 20.02.2013 - 5 K 455/12.GI - Veröffentlicht in jurisPR-MedizinR 5/2013 Anm. 5
Leitsätze
- Die Nutzung einer elektronischen Zigarette unterliegt dem umfassenden Rauchverbot im Schulgebäude und auf dem Schulgelände.
- Eine Lehrkraft verstößt aufgrund ihrer Vorbildfunktion gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten, wenn sie während der Dienstzeit im Schulgebäude und/oder auf dem Schulgelände elektronische Zigaretten konsumiert.
A. Problemstellung
Das VG Gießen hatte darüber zu entscheiden, ob das Zeigen sowie die Nutzung einer elektronischen Zigarette während der Dienstzeit unter dem Aspekt der Wahrung der Vorbildfunktion dem in einem Schulgebäude sowie -gelände bestehenden Rauchverbot unterfällt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der 1964 geborene Kläger ist als Oberstudienrat im statusrechtlichen Amt an öffentlichen Schulen der Beklagten tätig. Aufgrund einer festgestellten begrenzten Dienstfähigkeit ist der Umfang seiner wöchentlichen Pflichtstunden auf 50% reduziert. Unter Hinweis auf das seit mehreren Jahren bestehende absolute Rauchverbot wandte sich der Schulleiter am 24.01.2012 mit der schriftlichen Anordnung an den Kläger, elektronische Zigaretten (im Folgenden: E-Zigaretten) auf dem Schulgelände weder zu zeigen noch zu nutzen. Begründend führte er die Vorbildfunktion des Klägers in seiner Funktion als Lehrkraft an und verwies zudem auf die Auffassung des Bundesinstituts für Risikobewertung, nach welcher für E-Zigaretten nichts anderes gelte als für handelsübliche Zigaretten. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2012 wies das Staatliche Schulamt den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, dass das Rauchen einer E-Zigarette auf dem Schulgelände gegen das in § 3 Abs. 9 Satz 3 Hessisches Schulgesetz (HSchG) normierte Rauchverbot verstoße und daher eine dienstrechtlich zu ahndende Dienstpflichtverletzung sei.
Am 16.03.2012 hat der Kläger Klage erhoben. Nach seiner Auffassung ist die Dienstanweisung des Schulleiters rechtswidrig, da dieser sich nicht auf die Schulordnung und somit nicht auf Hausrecht berufen könne. E-Zigaretten würden zudem nicht dem Geltungsbereich des Hessischen Nichtraucherschutzgesetzes (HessNRSG) vom 09.06.2007 unterfallen, da diese keine Tabakprodukte enthielten und sich die in dem ausgeatmeten Dampf befindlichen winzigen Teilchen mit der Zeit auflösen würden. Zudem stehe auch der vom HessNRSG verfolgte Zweck des Nichtraucherschutzes in öffentlichen Räumen einer Anwendbarkeit des Gesetzes auf E-Zigaretten entgegen, da keine nachgewiesenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Schädlichkeit des Passivrauchens von E-Zigaretten bestünden. Ferner trug der Kläger vor, er würde gerade kein negatives Vorbild abgeben, wenn er in einem für die Schülerschaft nicht zugänglichen Raum als Ausdruck seines verfassungsgemäßen Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit E-Zigaretten dampfe. Hingegen käme es aufgrund des strikten Rauchverbotes außerhalb des Schulgebäudes regelmäßig zum Zusammentreffen von rauchenden Lehrern und Schülern.
Der Beklagte ist der Ansicht, das HessNRSG und das Rauchverbot im HSchG bezweckten diejenigen Personen vor den durch das Rauchen freigesetzten Stoffen zu schützen, die sich im Umfeld der Raucher befinden. Die Notwendigkeit, dass die Nutzung von E-Zigaretten nicht anders zu bewerten sei als diejenige herkömmlicher Zigaretten, ergebe sich nicht nur aus den Stellungnahmen des Bundesinstitutes für Risikobewertung, sondern auch denen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums. Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG sei nicht gegeben. Ferner komme es aufgrund des bestehenden gesetzlichen Verbotes nicht darauf an, ob sich ein Rauchverbot auch aus der Schulordnung selbst ergebe.
Das VG Gießen hat entschieden, dass die erlassene Anordnung insoweit rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze, als sie ihm das Zeigen von E-Zigaretten auf dem Schulgelände untersagen. In Bezug auf das Nutzen von E-Zigaretten sei die Anordnung jedoch rechtmäßig.
Das angeordnete Nutzungsverbot könne auf die Rechtsgrundlage des § 35 Satz 2 BeamtStG i.V.m. § 3 Abs. 9 Satz 3 HSchG gestützt werden. Nach § 35 Satz 2 BeamtStG binden dienstliche Anordnungen des Vorgesetzten, hier des Schulleiters, Beamtinnen und Beamte, soweit sie deren Rechte nicht verletzen. Das auf § 3 Abs. 9 Satz 3 HSchG gestützte Verbot der Nutzung von E-Zigaretten auf dem Schulgelände greife zwar in das Recht des Klägers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG, ein. Die Beschränkung seines Rechts, über die Gestaltung der unterrichtsfreien Zeit auf dem Schulgelände eigenverantwortlich zu bestimmen, sei jedoch verfassungsmäßig gerechtfertigt. Darüber hinaus ergebe sich das Nutzungsverbot zum einen (auch) aus der in § 3 Abs. 9 Satz 1 HSchG generalklauselartig normierten Verpflichtung der Schule zur Wohlfahrt der Schülerinnen und Schüler und zum Schutz ihrer seelischen und körperlichen Unversehrtheit. Zum anderen finde es eine rechtliche Grundlage in § 34 Satz 3 BeamtStG, aus welchem folge, dass Beamtinnen und Beamte der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden müssen, die ihr Beruf erfordert. Die Anforderungen, die dabei zu stellen seien, hingen insbesondere auch davon ab, wie eng der Bezug zwischen dem Verhalten und dem Dienst sei (von Roetteken/Rothländer, Hessisches Bedienstetenrecht, § 34 BeamtStG Rn. 40). Durch eine „Freigabe“ der E-Zigarette wäre der Auftrag der Schule zur Suchtprävention, dem auch der Kläger in seiner besonderen Vorbildfunktion als Lehrer verpflichtet sei, in jedem Falle ernsthaft gefährdet. Auf die Frage, ob der Schulleiter seine Weisung auch auf die Schulordnung und sein Hausrecht stützen durfte, komme es hingegen nicht (mehr) an.
Zwar sei weder in dem am 01.08.2005 in Kraft getretenen § 3 Abs. 9 Satz 3 HSchG noch im am 01.10.2007 in Kraft getretenen und am 17.03.2010 geänderten HessNRSG näher erläutert, was unter „Rauchen“ zu verstehen sei. Nach Auffassung der Kammer umfasst der vom hessischen Landesgesetzgeber im HSchG gebrauchte Begriff des „Rauchens“ jedoch nicht nur den Konsum von Tabakwaren. Es gehe nicht um die Auslegung des HessNRSG, sondern um das in § 3 Abs. 9 Satz 3 HSchG verankerte Rauchverbot im Schulgebäude und auf dem Schulgelände. Dieses sei evident nicht auf bestimmte Produktgruppen beschränkt, sondern Teil der Präventionsarbeit in den Schulen. Sinn und Zweck des umfassenden Rauchverbotes im Rahmen der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge sei es, die Schülerschaft von einem für ihre Gesundheit risikobehafteten Verhalten abzuhalten. Auf dieser Grundlage erfasse das in § 3 Abs. 9 Satz 3 HSchG normierte Rauchverbot auch E-Zigaretten. Unter Verweis auf die Demonstration des Klägers vor laufender Fernsehkamera am Verhandlungstag sei das äußere Erscheinungsbild des Konsums der E-Zigarette nach Ansicht der Kammer sowohl mit dem Konsum herkömmlicher Zigaretten als auch mit den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken vergleichbar.
Insbesondere hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken verwies die Kammer auf die übereinstimmenden Risikobewertungen mehrerer fachkundiger Stellen und Institutionen wie dem Bundesinstitut für Risikobewertung, dem Deutschen Krebsforschungszentrum, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie dem Frauenhofer-Instituts. Diese hätten eine Gesundheitsgefahr der Konsumenten und der während des Konsums umstehenden Personen aufgezeigt, welche es rechtfertige, die Nutzung von herkömmlichen Zigaretten nicht anders zu behandeln als diejenige von E-Zigaretten. Die E-Zigarette sei zwar eine schwächere Quelle für Raumluftverunreinigungen als die Tabakzigarette, allerdings sei auch sie nicht emissionsfrei. Es sei daher davon auszugehen, dass „Passivdampfen“ durch Umstehende möglich sei. Ferner sei bisher nicht geklärt, wie viel Nikotin der Organismus über E-Zigaretten tatsächlich aufnehme und ob und wie sich die Inhalation der erzeugten Dämpfe langfristig auf die Gesundheit auswirke. Insbesondere befürchten Lungenärzte, dass das über den Dampf der E-Zigarette eingeatmete Vernebelungsmittel Propylenglykol in großer Menge die Atemwege reizen könne. Zudem seien die gesundheitlichen Auswirkungen bei dauerhafter und wiederholter Inhalation von Propylenglykol bislang völlig unbekannt. Auch lasse die bislang unzureichende Deklaration der Inhaltsstoffe in den Flüssigkeiten die Verbraucher über mögliche Gesundheitsrisiken im Unklaren. Darüber hinaus seien E-Zigaretten möglicherweise ein Einstiegsprodukt in den Tabakkonsum. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht gegeben, da sich das Nutzungsverbot lediglich auf die ohnehin schon begrenzte Dienstzeit des Klägers auswirke.
Hingegen sei das bloße Zeigen der E-Zigarette auf dem Schulgelände etwa durch das Aufbewahren in der Brusttasche des Oberhemdes nicht von § 3 Abs. 9 Satz 3 HSchG erfasst, da nach dem eindeutigen Wortlaut nur das Rauchen, also der Konsum gesundheitsgefährdender Stoffe erfasst sei. Sachliche Gründe, warum dies für das bloße Zeigen von E-Zigaretten anders zu werten sein soll, seien nicht ersichtlich. Auch sei weder § 3 Abs. 9 Satz 1 HSchG noch § 34 Satz 3 BeamtStG eine dafür geeignete Rechtsgrundlage.
C. Kontext der Entscheidung
Das VG Gießen stellt zum einen die E-Zigarette insbesondere aufgrund der möglichen Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten selbst sowie der umstehenden „Passivdampfer“ mit herkömmlichen Zigaretten gleich. Zum anderen führt es grundsätzlich zu der Wechselwirkung der Beamtinnen und Beamten im Verhältnis zu ihrem Amt aus und hat hervorgehoben, dass einem Beamten im statusrechtlichen Amt eines Lehrers gegenüber der Schülerschaft eine besondere Vorbildfunktion während der Ausübung seines Dienstes zukomme.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des VG Gießen ist ein weiterer entscheidender Schritt auf dem Weg, unbeteiligte Dritte als sog. Nichtraucher bzw. -dampfer nicht nur partiell, sondern umfassend vor den (möglichen) Gefahren zu schützen, die aus dem Konsum von gesundheitsschädigenden Stoffen resultieren (können).
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