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Keine Spürbarkeitsschwelle für berufsrechtliche Relevanz bei Verstoß gegen Preisbindung rezeptpflichtiger Medikamente

Anmerkung zu: Verwaltungsgericht Gießen, 21. Kammer, Urteil vom 11.04.2013 - 21 K 4521/11.GI.B, veröffentlicht in jurisPR-MedizinR 1/2014 Anm. 4

Leitsatz

Verstöße bei Abgabe rezeptpflichtiger Medikamente gegen die Preisbindung im Arzneimittelrecht sind immer berufsrechtlich relevant. Eine so genannte Spürbarkeitsschwelle in Anlehnung an das Wettbewerbsrecht ist insoweit nicht zu beachten.


A. Problemstellung

Das VG Gießen hatte darüber zu entscheiden, ob im Berufsrecht der Apotheker in Anlehnung an das Wettbewerbsrecht eine Spürbarkeitsschwelle zu beachten ist und Verstößen gegen die Preisbindung bei der Abgabe rezeptpflichtiger Medikamente im Arzneimittelrecht berufsrechtliche Relevanz zukommt.


B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beschuldigte ist Leiterin einer Apotheke in Hessen. Auf Geheiß eines Konkurrenten wurde bei ihr im Dezember 2010 ein Testkauf mittels eines Privatrezepts über das Medikament Diclofenac zum Abgabepreis von 9,81 Euro durchgeführt. In dessen Rahmen wurde der Testkäuferin ohne Nachfrage ein Wertgutschein über den Betrag von 0,50 Euro in der Apotheke der Beschuldigten ausgehändigt. Dieser enthielt folgenden Text:

„Gegen Abgabe des Gutscheins werden Ihnen beim nächsten Einkauf vergütet: 50 Cent keine Barauszahlung.“

Darunter waren neben der Apotheke der Beschuldigten noch zwei weitere Apotheken angegeben. Auf der Grundlage des über diesen Testkauf gefertigten Protokolls der Testkäuferin informierte der Konkurrent die Landesapothekerkammer Hessen mit der Bitte um Einschreiten wegen Rechtsverstoßes.

Die Landesapothekerkammer Hessen forderte die Beschuldigte zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf, in welcher sie versichern sollte, in der Zukunft keine Boni, Rabatte oder Gutscheine bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten durch eine ihrer Apotheken zu gewähren. Derartige Verhaltensweisen stellten einen Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung dar, welcher berufsrechtlich zu verfolgen sei. Für das berufsrechtliche Vorgehen nicht relevant sei der Umstand, dass es sich vorliegend um einen Gutschein im Wert von 1,00 Euro handele, was wettbewerbsrechtlich einen Bagatellwert darstelle. Die Beschuldigte trat dieser Rechtsauffassung entgegen. In Anschluss daran leitete die Landesapothekerkammer Hessen ein berufsrechtliches Ermittlungsverfahren ein, nach dessen Abschluss der Kammervorstand beschloss, ein berufsgerichtliches Verfahren einzuleiten.

Das VG Gießen hat entschieden, dass das Verhalten der Kammerangehörigen einen Verstoß gegen § 22 Hessisches Heilberufsgesetz (HeilBG) i.V.m. § 1 Abs. 4 und 6 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Hessen vom 16.09.1993 i.V.m. § 78 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 AMG sowie § 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 4, § 3 AMPreisV vom 14.11.1980 darstelle.   

Der gemäß § 78 Abs. 2 und 3 AMG festgelegte „centgenaue“ einheitliche und verbindliche Apothekenabgabepreis an die Endverbraucher von rezeptpflichtigen Medikamenten solle gewährleisten, dass die im öffentlichen Interesse gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln unter Ausschluss eines insoweit dem entgegenwirkenden ruinösen Wettbewerbs sichergestellt werde (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drs. 11/5373, S. 27).

Weiter führte die Kammer unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OVG Lüneburg vom 08.07.2011 (13 ME 111/11, unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH in den Urteilen v. 09.09.2010 - I ZR 193/07, I ZR 37/08, I ZR 98/08, I ZR 125/08, I ZR 26/09; ebenso Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem OVG Koblenz, Urt. v. 08.10.2012 - LBG-H A 10353/12) aus, dass es in diesem Zusammenhang unerheblich sei, dass die Beschuldigte den über den so genannten „Wertgutschein“ erlangten Preisvorteil erst für den Kauf eines weiteren Artikels in ihrer oder einer der anderen aufgedruckten Apotheken in Aussicht gestellt hat. Ein Apotheker verstoße grundsätzlich bereits dann gegen den Zweck der Arzneimittelpreisbindung, mithin die Sicherstellung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln unter Ausschluss eines gegebenenfalls in den Ruin einzelner Apotheken führenden Wettbewerbes, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar zunächst der korrekte Preis verlangt werde, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt würden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen ließen. Bei dem Apothekenabgabepreis handele es sich um eine allein aufgrund öffentlichen Rechts durch den Apotheker zu beachtende Größe, welche dessen wirtschaftlicher Disposition entzogen sei. Der Anreiz für Kunden, durch die Einlösung des Wertgutscheins beim nächsten Einkauf gerade die Apotheke der Beschuldigten oder eine der drei auf dem Wertgutschein genannten Apotheken aufzusuchen, um sodann den Wertgutschein einzulösen, sei offensichtlich gegeben.

In Hinblick auf das konkret von der Beschuldigten angewandte Kundenbindungssystem sei zudem unter Hinwendung an die Entscheidung des OLG Lüneburg vom 08.07.2011 (13 ME 111/11) davon auszugehen, dass eine Nähe zu dem gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG im Zusammenhang mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bei produktbezogener Werbung stets unzulässigen Barrabatt vorliege.

Ausdrücklich hob die Kammer hervor, dass es für die Bewertung des von der Beschuldigten praktizierten „Rezeptbonussystems“ unerheblich sei, ob dieses Verhalten im Hinblick darauf, dass etwa die so genannte Spürbarkeitsschwelle des § 3 Abs. 1 UWG aufgrund der Höhe des Bonus nicht überschritten sein könnte, wettbewerbsrechtlich zulässig sei. Insbesondere verwies das Gericht wiederum auf die Entscheidung des Landesberufsgerichts für Heilberufe bei dem OVG Koblenz vom 08.10.2012 (LBG-H A 10353/12) sowie des VG Osnabrück (Beschl. v. 14.03.2011 - 6 B 94/10), in denen dargelegt wurde, dass die öffentlich-rechtlichen Preisbindungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes bzw. der Arzneimittelpreisverordnung neben den Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes gelten würden. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielrichtungen bzw. Gesetzeszwecke der Vorschriften über die Arzneimittelpreisbindung einerseits und der Wettbewerbsregelungen im UWG andererseits sei auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung eine Übertragung der Ausführungen des BGH in den Urteilen vom 09.09.2010 (I ZR 37/08 und I ZR 98/08) zur Spürbarkeitsschwelle im Wettbewerbsrecht auf öffentlich-rechtlich zu bewertende Verstöße gegen die Arzneimittelpreisbindung nicht angezeigt. Der BGH habe deutlich zwischen den unterschiedlichen Regelungsbereichen unterschieden und seine Ausführungen zur Frage der „Spürbarkeitsgrenze“ auf die Regelungen im UWG bezogen.

Des Weiteren verwies das VG Gießen darauf, dass sich auch eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV erübrige, da europarechtliche Vorgaben der Anwendung der arzneimittelrechtlichen Regelungen des nationalen Rechts nicht entgegenstünden. Dies ergebe sich eindeutig aus Art. 94 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83/EG.

Ferner stellte die Kammer darauf ab, dass die arzneimittelrechtlichen Regelungen über die Preisbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar seien. Die Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, welche abstrakt durch das Zulassen eines Preiswettbewerbs unter Apotheken gefährdet werde, stelle die Einschränkung des Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigende Gründe dar. Die Freiheit der Berufsausübung von Apothekern werde durch das Verbot derartiger Kundenbindungsversuche nur marginal eingeschränkt. Die Zielsetzung der Arzneimittelpreisbindung sei auch im Hinblick darauf höher zu gewichten, dass den flächendeckend und damit auch außerhalb der Ballungsräume vorhandenen Apothekern ein wirtschaftliches Auskommen gesichert werden solle und sich ihnen einen Standortwechsel nicht aufdränge.

Lediglich zur Klarstellung verweist das Gericht darauf, dass die Kammer gegen den vorsätzlichen Verstoß der Beschuldigten gegen ihre Berufspflichten, welcher mit einem Verweis gemäß § 50 HeilBG endete, mit fallangemessener Verhältnismäßigkeit eingeschritten sei. Ein Verfahrenshindernis i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 2 HeilBG sei nicht gegeben. Auch hätten Schuldausschließungs- oder -minderungsgründe nicht vorgelegen.


C. Kontext der Entscheidung

Das VG Gießen folgt der Leitlinie des OVG Lüneburg (Beschl. v. 08.07.2011 - 13 ME 111/11) sowie des Landesberufsgerichts für Heilberufe bei dem OVG Koblenz (Urt. v. 08.10.2012 - LBG-H A 10353/12) und erteilte der höchstgerichtlich noch nicht entschiedenen Frage, ob im Berufsrecht der Apotheker in Anlehnung an das Wettbewerbsrecht eine Spürbarkeitsschwelle zu beachten sei, eine Absage.


D. Auswirkungen für die Praxis

Obwohl sich das VG Gießen in seiner Entscheidung explizit auf die Maxime der Einheit der Rechtsordnung bezieht, wirft das Urteil einmal mehr die Frage auf, ob unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Rechtsordnung nicht vielmehr die grundlegenden Ausführungen des BGH in den Urteilen vom 09.09.2010 (I ZR 37/08 und I ZR 98/08) zur Spürbarkeitsschwelle im Wettbewerbsrecht auf öffentlich-rechtlich zu bewertende Verstöße gegen die Arzneimittelpreisbindung übertragen werden müssten. Dies würde jedoch die Folge nach sich ziehen, dass ein Verstoß der Beschuldigten gegen berufsrechtliche Vorschriften nicht gegeben wäre. Wie so oft, kann für abschließende Klarheit jedoch nur die höchstgerichtliche Judikative selbst sorgen, welche dies im Ergebnis im Dienste der Einheit der Rechtsordnung auch tun sollte.

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