Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 14.02.2007, Nr. 38, S. 21.
Es herrscht wieder Aufruhr im deutschen Apothekenmarkt. Nachdem die niederländische Versandapotheke DocMorris im Dezember 2003 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erfolgreich für eine Legalisierung des Versandhandels mit Arzneimitteln gekämpft hatte, könnte sie nun verantwortlich für die Abschaffung einer weiteren Altlast des deutschen Apothekenrechtssystems sein: des Fremdbesitzverbots. Dieses schreibt vor, dass Apotheker, die in Deutschland eine öffentliche Apotheke betreiben wollen, diese persönlich und eigenverantwortlich führen müssen. Der Betrieb durch eine Kapitalgesellschaft ist verboten.
Entgegen der ausdrücklichen nationalen Gesetzeslage beantragte DocMorris mit Bezugnahme auf die im EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit dennoch eine Betriebserlaubnis für eine eigene Niederlassung in Saarbrücken. Diese wurde für den 3. Juli 2006 erteilt und mit Bescheid vom 9. August für sofort vollziehbar erklärt. DocMorris hatte seine Niederlassung in der Saarbrücker Innenstadt kaum eröffnet, da versuchten die Apothekerverbände und einzelne Apotheker den Laden schon wieder mit gerichtlicher Hilfe zu schließen. In einem beim Landgericht (LG) und zwei beim Verwaltungsgericht (VG) des Saarlandes anhängigen Verfahren galt es für die Gerichte, die Rechtmäßigkeit der beanstandeten Betriebserlaubnis zu klären.
Das LG Saarbrücken hielt die Genehmigung ebenso wie jüngst das Oberlandesgericht Saarbrücken in zweiter Instanz für zumindest nicht nichtig im Sinne der Verwaltungsvorschriften. Beide Gerichte wiesen daher den auf die Verletzung des Wettbewerbsrechts gestützten Antrag zurück. Das VG hingegen gab den auf Schließung der Niederlassung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gerichteten Anträgen in beiden Verfahren statt (Az.: 3 F 38/06 und 39/06). Begründet wurden diese Entscheidungen mit den einschlägigen nationalen Vorschriften, die den Fremdbesitz ausdrücklich untersagen.
Auf die gegen die Beschlüsse des VG eingereichten Beschwerden des Saarlandes und von DocMorris hob das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Saarlandes die aufschiebende Wirkung der Klagen endgültig wieder auf (Az.: 3 W 14/06 und 3 W 15/06; F.A.Z. vom 23. Januar). Doc Morris konnte die Niederlassung daraufhin bereits am nächsten Tag wieder öffnen. Das OVG folgte in seinen Entscheidungen der Auffassung des Saarlandes und von Doc Morris, dass sich die im EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit gegen das nationale im Apothekengesetz verankerte Fremdbesitzverbot durchsetzt und eine Behörde auch verpflichtet ist, dies festzustellen. Nach Meinung des Gerichts ist die Niederlassungsfreiheit höher zu bewerten als der auch mit einem geringeren Eingriff mögliche Schutz der Gesundheit. Denn um den hinreichenden Gesundheitsschutz zu gewährleisten, soll es genügen, für entsprechende Kontrollmechanismen zu sorgen.
Eine vergleichbare Auffassung vertrat auch der EuGH in seiner "Optikerentscheidung", bei der es um die Frage ging, ob in Griechenland eine Kapitalgesellschaft ein Optikergeschäft betreiben darf (Az.: C-140/03). Das OVG wies in seinen Entscheidungen darauf hin, dass eine endgültige Klärung der Frage, ob das Fremdbesitzverbot tatsächlich gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, nur vom EuGH vorgenommen werden kann. Eine Vorlage der Verfahren an die Luxemburger Richter war dem OVG im Eilverfahren indes nicht möglich. Die Oberverwaltungsrichter wiesen das VG, das sich nun in der Hauptsache mit der Frage Fremdbesitz oder Niederlassungsfreiheit beschäftigen muss, aber indirekt an, eine Entscheidung nicht ohne vorherige Vorlage beim EuGH zu treffen. Mit einer solchen Vorlage ist innerhalb der nächsten zwei Jahre zu rechnen. Eine Entscheidung des europäischen Gerichts könnte jedoch noch mehr als fünf Jahre dauern.
Auch für die großen deutschen Drogerieketten, die ähnlich dem englischen Vorbild derzeit Modelle für Apothekenecken in ihren Märkten ausarbeiten, hat die Entscheidung eine grundlegende Bedeutung. Zwar gilt für deutsche Unternehmen nach wie vor das Fremdbesitzverbot. Anders als die niederländische Versandapotheke DocMorris können sie sich nämlich nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Diese sogenannte Inländerdiskriminierung wurde zuletzt auch vom OVG des Saarlandes als hinzunehmende Nebenerscheinung des EG-Vertrags bewertet.
Die Europäische Kommission hat aber Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere europäische Staaten eingeleitet, die ebenfalls über gesetzliche Regelungen verfügen, welche dem deutschen Fremdbesitzverbot praktisch gleichstehen. Insofern ist es nur noch eine Frage der Zeit - oder der juristischen Kreativität -, bis es auch deutschen Unternehmen mit Unterstützung aus Brüssel möglich ist, als Kapitalgesellschaft Apotheken in Deutschland zu betreiben.
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