KG Berlin, Urteil vom 23.01.2018, Az. 5 U 126/16
Das Kammergericht Berlin hat sich mit Urteil vom 23.01.2018 als Berufungsinstanz zu den Informationspflichten für Lebensmittel beim Fernabsatz nach Art. 14 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (LMIV) geäußert. Dem Rechtsstreit lag der Sachverhalt zugrunde, dass ein beklagtes Unternehmen einen Lieferdienst für Lebensmittel anbot. Dabei bestellte der Kunde Lebensmittel online, welche ihm sodann geliefert wurden. § 2 der AGB des Unternehmens sah vor, dass ein Kaufvertrag über die gelieferten Lebensmittel erst nach Lieferung an der Haustür des Kunden zustande kommen soll. Nach Auffassung des Kammergerichts stellte weder die Präsentation der Produkte noch die vom Kunden aufgegebene „Bestellung“ ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags dar. Dieser komme erst zustande, wenn sich der Kunde bei der Anlieferung entscheidet, die von ihm vorausgewählte Ware ganz oder teilweise abzunehmen (§ 2 Abs. 2 bis Abs. 5 AGB). Dem Kunden blieb somit die Möglichkeit zur Prüfung der Ware an der Haustür. In jedem Fall war eine Liefergebühr fällig, auch wenn der Kunde die Ware nicht abnehmen wollte.
Die Beklagte bot am 10. September 2015 verschiedene vorverpackte Lebensmittel an. Der Kläger (Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 30. September 2015 ab, da die Beklagte nach dessen Auffassung die im Hinblick auf ihr Produktangebot im Internet nach der LMIV bestehenden Informationspflichten nicht erfüllte. Der Kläger warf der Beklagten vor, dass deren Kunden die Pflichtinformationen erst mit der Übergabe der Verpackungen der bestellten Lebensmittel bei der Lieferung bereitgestellt wurden. Da die Beklagte die vom Kläger geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht abgegeben hat, nahm dieser die Beklagte wettbewerbsrechtlich wegen einer vermeintlichen Verletzung von Informationspflichten für Lebensmittel im Fernabsatz auf Unterlassung in Anspruch. Der Kläger vertrat die Auffassung, die genannten Informationen und Hinweise hätte die Beklagte bereits in ihrem Internetauftritt bereithalten müssen, bevor der Kunde seine dortige „Bestellung“ durch Anklicken des Buttons mit der Aufschrift „Jetzt bestellen“ abschließen konnte.
Das Kammergericht ist entgegen der Vorinstanz der Auffassung des Klägers gefolgt. Die besonderen Anforderungen des Art. 14 LMIV an den Verkauf von Lebensmitteln über Fernkommunikationsmittel seien nicht erfüllt:
„Art: 14 LMIV
Unbeschadet der Informationspflichten, die sich aus Artikel 9 ergeben, gilt im Falle von vorverpackten Lebensmitteln, die durch Einsatz von Fernkommunikationstechniken zum Verkauf angeboten werden, Folgendes:
a) Verpflichtende Informationen über Lebensmittel mit Ausnahme der Angaben gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe f müssen vor dem Abschluss des Kaufvertrags verfügbar sein und auf dem Trägermaterial des Fernabsatzgeschäfts erscheinen oder durch andere geeignete Mittel, die vom Lebensmittelunternehmer eindeutig anzugeben sind, bereitgestellt werden. Wird auf andere geeignete Mittel zurückgegriffen, so sind die verpflichtenden Informationen über Lebensmittel bereitzustellen, ohne dass der Lebensmittelunternehmer den Verbrauchern zusätzliche Kosten in Rechnung stellt;“
Sinn und Zweck des Art. 14 LMIV ist es, dem Verbraucher, der eine Ware im Fernabsatz nicht optisch betrachten und hierbei wesentliche Auskünfte über die Beschaffenheit und Zusammensetzung der Ware auf der Produktverpackung erhalten kann, eine informierte Entscheidung bereits bei der Bestellung zu ermöglichen. Dem Verbraucher sollen alle wesentlichen Informationen, die seine Kaufentscheidung beeinflussen könnten, bereits vor Abschluss des Kaufvertrages zur Verfügung stehen.
Das Kammergericht ist der Auffassung, die streitgegenständlichen Lebensmittel seien durch den Internetauftritt der Beklagten „zum Kauf angeboten“ worden. Der Begriff der „Aufforderung zum Kauf“ in Art. 2 lit. 1 der Richtlinie 2005/29 sei als eine besondere Form der Werbung, die einer verstärkten Informationspflicht nach Art. 7 Abs. 4 dieser Richtlinie unterliegt, zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus dahingehend auszulegen, dass diese Voraussetzung gegeben ist, wenn der Verbraucher hinreichend über das beworbene Produkt und dessen Preis informiert ist, um eine geschäftliche Entscheidung treffen zu können, ohne dass die kommerzielle Kommunikation auch eine tatsächliche Möglichkeit bieten muss, das Produkt zu kaufen, oder dass sie im Zusammenhang mit einer solchen Möglichkeit steht (EuGH, GRUR 2011, 930 TZ 27 ff – Vin Sverige AB).
Dass Kammergericht verkennt aber die besondere Bedeutung des Art. 14 LMIV, der für den Fernabsatz von Lebensmitteln Besonderheiten beinhaltet. Art. 14 Abs. 1 LMIV gilt zwar für Fälle von vorverpackten Lebensmitteln, die durch Einsatz von Fernkommunikationstechniken zum Verkauf angeboten werden. Insoweit treffen die Ausführungen des Kammergerichts zu. Art. 14 Abs. 1 lit. a LMIV sieht allerdings für die Informationspflichten nach Art 9 LMIV (ohne Mindesthaltbarkeitsdatum) lediglich vor, dass diese Informationen vor dem Abschluss des Kaufvertrags verfügbar sein müssen. Die Voraussetzung des „durch Einsatz von Fernkommunikationstechniken zum Verkauf angeboten“ und die Bereitstellung der Informationen „vor dem Abschluss des Kaufvertrages“ sind voneinander zu trennen. Zweifelsfrei handelt es sich bei den streitgegenständlichen Lebensmitteln um vorverpackte Lebensmittel, die durch Einsatz von Fernkommunikationstechniken zum Verkauf angeboten werden.
Nach Ansicht des Kammergerichts waren die verpflichtenden Informationen aber nicht „vor dem Abschluss des Kaufvertrages verfügbar“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 lit. a LMIV. Die in der Situation vor der Haustür des Verbrauchers auf den streitgegenständlichen Lebensmitteln selbst vorhandenen und für den Verbraucher ersichtlichen diesbezüglichen Informationen würden hierzu nicht ausreichen. In der Haustürsituation habe der Verbraucher die streitgegenständlichen Informationen nicht „vor dem Abschluss des Kaufvertrages“ zur Verfügung gestellt erhalten. Auch wenn der Verbraucher in der Haustürsituation noch eine (Ab-/Aus-)Wahlentscheidung hinsichtlich der Lebensmittelprodukte treffen konnte, sei das Fernabsatzgeschäft vorliegend bereits hinreichend verbindlich bei der „Bestellung“ des Verbrauchers im Internetportal der Beklagten erfolgt. Die verbindliche Vertragserklärung des Verbrauchers erfolge bereits dann, wenn er die von ihm in Betracht gezogenen Produkte durch Anklicken des Buttons mit dem Warenkorbsymbol in seinen virtuellen Warenkorb legt und nach Durchlaufen des weiteren Bestellprozesses durch Anklicken des Buttons „Jetzt bestellen“ den Bestellvorgang abschließt.
Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Art. 14 Abs. 1 lit. a LMIV spricht eindeutig von einer Bereitstellung der Informationen „vor dem Vertragsschuss“. Im dem vom Kammergericht entschiedenen Fall hatten die Kunden gemäß dem Sinn und Zweck des Art. 14 LMIV die Möglichkeit, die Beschaffenheit und Zusammensetzung der Ware angebotenen Ware durch Inaugenscheinnahme der Produktverpackung an der Haustür zu prüfen und dann erst eine Kaufentscheidung zu treffen. Der Schutzzweck des Art. 14 LMIV ist mithin gewährleistet. Die Auslegung des Kammergerichts stellt eine unbillige Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes dar. Daran ändern auch die erhobene Liefergebühr nichts, da diese nicht für die Information erhoben wird. Für diese werden also keine zusätzlichen Kosten in Rechnung gestellt (vgl. Art. 14 Abs. 1 lit. a LMIV).
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Kammergericht Berlin zu Informationspflichten für Lebensmittel in Onlineshops - Art. 14 LMIV
§ 3a UWG, § 5a Abs. 2 UWG, § 5a Abs. 4 UWG, Art. LMIV, Art. 9 LMIV, Fernabsatzverkehr, Onlineshop, Lieferservice, vorverpackte Lebensmittel, Kennzeichnung, Kammergericht Berlin