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Das VG des Saarlandes beschliesst die Frage der Zulässigkeit des Betriebes einer Niederlassung einer Apotheke durch die Aktiengesellschaft DocMorris N.V. dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Vorlagebeschluss vom 20.03.2007. Az.: 3 K 361/06.

VERWALTUNGSGERICHT DES SAARLANDES

BESCHLUSS

In dem Verwaltungsrechtsstreit

1. der Apothekerkammer des Landes A - Körperschaft des öffentlichen Rechts -, A-Straße, A-Stadt,
2. der Frau Apothekerin B – B Apotheke -, B-Straße, B-Stadt,
3. des Herrn Apotheker C - C Apotheke -, C-Straße, C-Stadt,
4. des Herrn Apotheker D - D Apotheke -, D-Straße, D-Stadt,
5. des Apothekerverbands E e.V., vertreten durch den Vorsitzenden des Vorstands und den stellvertretenden Vorsitzenden des Vorstands, E-Straße, E-Stadt,

- Kläger -

Prozessbevollmächtigte: (zu 1-5) Rechtsanwälte F, F-Straße, F-Stadt,

gegen

1. das Saarland, vertreten durch das Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales, Zähringerstraße 12, 66119 Saarbrücken,
2. das Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales, Zähringerstraße 12, 66119 Saarbrücken,

- Beklagte -

Prozessbevollmächtigte: (zu 1-2) Rechtsanwälte G, G-Straße, G-Stadt,

beigeladen: DocMorris N.V., Voskuilenweg 131 b, 6416 AJ-Heerlen,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Diekmann, Ballindamm 35, 20095 Hamburg, - 182/06DO1/MB –

wegen Anfechtung einer Apothekenbetriebserlaubnis

hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts des Saarlandes in Saarlouis durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Freiherr von Funck, die Richter am Verwaltungsgericht Helling und Kiefer sowie den ehrenamtlichen Richter Komes und die ehrenamtliche Richterin Meeß ohne mündliche Verhandlung aufgrund der Beratung vom 20. März 2007

beschlossen:

Das Verfahren wird ausgesetzt.


Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 234 EGV folgende Fragen vorgelegt:

1. Sind die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften (Art. 43, 48 EGV) so auszulegen, dass sie einem Fremdbesitzverbot für Apotheken, wie es in § 2 Abs. 1 Ziff. 1 - 4 u. 7, § 7 Satz 1 und § 8 Satz 1 des Gesetzes über das Apothekenwesen - ApoG - in der Fassung vom 15.10.1980 (BGBl. I S. 1993), zuletzt geändert durch Art. 34 der Verordnung vom 31.10.2006 (BGBl. I S. 2407), geregelt ist, entgegenstehen.

2. Für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird:
Ist eine nationale Behörde aufgrund des Gemeinschaftsrechts, insbesondere im Hinblick auf Art. 10 EGV und den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts berechtigt und verpflichtet, die von ihr für gemeinschaftswidrig erachteten nationalen Vorschriften nicht anzuwenden, auch wenn es sich nicht um einen evidenten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht handelt und eine Unvereinbarkeit der betreffenden Vorschriften gegen das Gemeinschaftsrecht vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nicht festgestellt worden ist?


G r ü n d e

I. Streitgegenstand

Die Beigeladene ist eine niederländische Aktiengesellschaft, die in den Niederlanden ein Versandunternehmen für Arzneimittel betreibt. Mit Bescheid vom 29.06.2006 erteilte der Beklagte zu 2 (im Folgenden: Beklagter) der Beigeladenen mit Wirkung vom 01.07.2006 die Erlaubnis zum Betrieb einer Filialapotheke in Saarbrücken, Kaiserstraße 16-18, mit der Maßgabe, dass die Verpflichtung zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung der verantwortlichen Apothekerin, Frau Jutta Inge Müller, obliegt. Mit Bescheid vom 28.06.2006 erteilte der Beklagte der Beigeladenen ebenfalls mit Wirkung vom 01.07.2006 die Erlaubnis zum Versand apothekenpflichtiger Arzneimittel für die erwähnte Apotheke in Saarbrücken. Mit Bescheid vom 07.08.2006 ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung der unter dem 29.06.2006 erteilten Erlaubnis zum Betrieb einer Filialapotheke an.

Am 02.08.2006 erhoben die Kläger die vorliegende Klage gegen die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke durch die Beigeladene und beantragten außerdem, ihnen vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Die Klägerin zu 1), die Apothekerkammer des Saarlandes, ist eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts und als Berufsvertretung der Apotheker im Saarland errichtet. Die Kläger von 2) bis 4) sind natürliche Personen, die aufgrund der ihnen erteilten Erlaubnis eine Apotheke in Saarbrücken als Einzelkaufmann betreiben. Bei dem Kläger zu 5), dem Deutschen Apothekerverband, handelt es sich um einen Verband zur Wahrung und Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen der Apothekerschaft innerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland.


II. Eilverfahren

Durch Beschluss vom 12.09.2005 - 3 F 38/06 – stellte die vorlegende Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage der Kläger zu 2) bis 4) gegen den Erlaubnisbescheid vom 29.06.2006 wieder her und verpflichtete den Beklagten, der Beigeladenen aufzugeben, die von ihr betriebene Filialapotheke in Saarbrücken, Kaiserstraße 16-18, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu schließen. Zur Begründung führte die Kammer aus, es könne nicht von einem überwiegenden Interesse der Beigeladenen am Sofortvollzug der Erlaubnis zum Betrieb einer Filialapotheke ausgegangen werden. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes wies demgegenüber mit Beschluss vom 22.01.2007 - 3 W 14/06 - die Anträge sämtlicher Kläger auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die der Beigeladenen erteilte Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke zurück. Das Oberverwaltungsgericht vertrat dabei die Auffassung, dass sich bei summarischer Bewertung die in Art. 43, 48 EGV gewährleistete Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften hier gegen das deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken in § 7 ApoG durchsetzt und ein Verwaltungsträger wie der Beklagte befugt ist, dies einzelfallbezogen festzustellen.


III. Rechtlicher Rahmen

1. Gemeinschaftsrecht

a) Art. 43 EGV
Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.
Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.

b) Art. 48 EGV
Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.
Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.

c) Art. 10 EGV
Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe.
Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefährden können.


2. Nationale Rechtsvorschriften

a) § 1 ApoG
(1) Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.
(2) Wer eine Apotheke und bis zu drei Filialapotheken betreiben will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde.
(3) Die Erlaubnis gilt nur für den Apotheker, dem sie erteilt ist, und für die in der Erlaubnisurkunde bezeichneten Räume.

b) § 2 ApoG
(1) Die Erlaubnis ist auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller,
1. Deutscher im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes, Angehöriger eines der übrigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder eines Vertragsstaates, dem Deutschland oder die Europäische Union vertraglich einen entsprechenden Rechtsstatus eingeräumt haben, oder heimatloser Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer ist;
2. voll geschäftsfähig ist;
3. die deutsche Approbation als Apotheker besitzt;
4. die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit besitzt;…
5. nicht in gesundheitlicher Hinsicht ungeeignet ist, eine Apotheke zu leiten;…

b) § 7 Satz 1 ApoG
Die Erlaubnis verpflichtet zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung.

c) § 8 Satz 1 ApoG
Mehrere Personen zusammen können eine Apotheke nur in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft betreiben; in diesen Fällen bedürfen alle Gesellschafter der Erlaubnis.


IV. Vorbringen und Anträge im Hauptsacheverfahren

In dem nunmehr zur Entscheidung anstehenden Hauptsacheverfahren machen die Kläger geltend, nach § 2 Abs. 1 ApoG könne die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke nur einer natürlichen Person erteilt werden. Die Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb der DocMorris N.V. Apotheke in Saarbrücken verstoße gegen das im deutschen Apothekenrecht geltende und vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 17, 232 ff. = NJW 1964, 1067 ff.) bestätigte Fremdbesitzverbot, das sich aus den §§ 2, 7 und 8 ApoG ergebe. Nach § 8 ApoG sei es unzulässig, eine Apotheke in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft zu betreiben. Durch die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke an die Beigeladene werde in die Grundstrukturen des deutschen Apothekenrechts eingegriffen. Dadurch könnten erstmals Investoren, die keine Apotheker sind, wirtschaftlich die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke erwerben. Der Beklagte könne sich hinsichtlich der Erlaubniserteilung nicht auf die europäische Niederlassungsfreiheit berufen. Es falle nicht in die Kompetenz des Beklagten zu beurteilen, ob deutsches Recht mit europäischem Recht vereinbar sei. Dies sei gemäß Art. 234 EGV Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs. Im Übrigen sei es weder erwiesen noch evident, dass die genannten Vorschriften des deutschen Apothekenrechts im Widerspruch zur Niederlassungsfreiheit aus Art. 43, 48 EGV stünden. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in dem dies ausdrücklich festgestellt werde, gebe es nicht. Für die Frage der Vereinbarkeit des geltenden Apothekenrechts mit dem europäischen Recht könne auch nicht auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu griechischen Optikern (Urteil vom 21.04.2005 in der Rechtssache -C-140/03-, Slg. 2005, I-3177) abgestellt werden. Zwischen Optikergeschäften und Apotheken bestünden wesentliche Unterschiede. Während von der Tätigkeit eines Optikers regelmäßig keine Gefahren für die Gesundheit und das Leben von Menschen ausgingen, könnten von falsch ausgegebenen oder fehlerhaft angewendeten Arzneimitteln ebenso wie von falscher Beratung erhebliche Gefahren für Gesundheit und Leben von Menschen ausgehen. Ebenso wie bei (verschreibungspflichtigen) Arzneimitteln der freie Warenverkehr eingeschränkt werden könne (vgl. EuGH, Urteil vom 11.12.2003 in der Rechtssache C-322/01, Deutscher Apothekerverband/DocMorris, NJW 2004, 131, 135), sei auch eine diskriminierungsfreie Einschränkung der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt.


Die Kläger beantragen wörtlich,

1. festzustellen, dass die durch Erlaubnis-Urkunde des Ministeriums für Justiz, Gesundheit und Soziales vom 29. Juni 2006 der DocMorris N.V, Voskuilenweg 131b, 6616 AJ Heerlen, Niederlande, erteilte Erlaubnis zum Betrieb der DocMorris N.V. Apotheke, Kaiserstraße 16-18, 66111 Saarbrücken als Filialapotheke der DocMorris N.V. Voskuilenweg 131b, 6616 AJ Heerlen, Niederlande, nichtig ist,

2. hilfsweise, die durch Erlaubnis-Urkunde vom 29.Juni 2006 des Ministeriums für Justiz, Gesundheit und Soziales der DocMorris N.V. Voskuilenweg 131b, 6616 AJ Jeerlen, Niederlande erteilte Erlaubnis zum Betrieb der DocMorris N.V. Apotheke, Kaiserstraße 16-18, 66111 Saarbrücken als Filialapotheke der DocMorris N.V., Voskuilenweg 131b, 6616 AJ Heerlen, Niederlande, aufzuheben.

3. hilfs-hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, die durch Erlaubnis-Urkunde des Ministeriums für Justiz, Gesundheit und Soziales vom 29. Juni 2006 der DocMorris N.V., Voskuilenweg 131b, 6616 AJ Heerlen erteilte Erlaubnis zum Betrieb der DocMorris N.V. Apotheke, Kaiserstraße 16-18, 66111 Saarbrücken als Filialapotheke der DocMorris N.V., Voskuilenweg 131b, 6616 AJ Heerlen, Niederlande, zurückzunehmen.


Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte und die Beigeladene tragen vor, das sich aus den Vorschriften des deutschen Apothekengesetzes ergebende Fremdbesitzverbot sei gemeinschaftswidrig, da es einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EGV darstelle. Einer EU-ausländischen Apotheke, die in der in ihrem Sitzstaat zulässigen Form einer Kapitalgesellschaft betrieben werde, werde der Zugang zum deutschen Apothekenmarkt verwehrt. Das Prinzip der persönlichen Leitung des § 7 ApoG stelle im Ergebnis ein Tätigkeitsverbot für Apotheken dar, die im EU- Ausland in Form einer Kapitalgesellschaft betrieben werden. Diese Beschränkung sei zur Verwirklichung des Gesundheitsschutzes als legitimes Ziel des Art. 46 EGV nicht erforderlich. Der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 21.04.2005 in der Rechtssache C-140/03 griechische Rechtsvorschriften über den Betrieb von Optikergeschäften, deren Regelungsgehalt weitgehend identisch mit den §§ 7, 8 ApoG sei, als nicht erforderlich und damit als unverhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gewertet. Den berechtigten Gesundheitsinteressen könne im Fall von Optikergeschäften auch durch die Pflicht, einen qualifizierten Optiker in jedem Geschäft anzustellen, genüge getan werden. Diese Überlegungen seien auf Apotheken übertragbar. Die Europäische Kommission habe wegen ähnlicher gesetzlicher Bestimmungen in Italien, Österreich und Spanien ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet (Beschluss der EU-Kommission vom 28.06.2006 -IP/06/858-). Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts und des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes des „effet utile“ bestehe nicht nur für die nationalen Gerichte, sondern auch für die nationalen Behörden die Pflicht, gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht außer Anwendung zu lassen.


V. Aussetzung des Hauptsacheverfahrens

Das Hauptsacheverfahren ist auszusetzen, weil in dem anhängigen Verfahren vorab von dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine Entscheidung über die Auslegung des EG-Vertrages eingeholt werden soll (Art. 234 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Abs. 2 EGV). Am innerstaatlichen Recht gemessen ist für die Beurteilung der hinsichtlich der Kläger zu 2) bis 4) zulässigen Klage das deutsche Apothekengesetz einschlägig. Danach hätte die streitige Apothekenbetriebserlaubnis nicht erteilt werden dürfen (VI.). Die Kammer sieht sich jedoch ohne Einholung einer Vorabentscheidung außer Stande, festzustellen, ob das sich aus § 2 Abs. 1 Ziff. 1 – 4 u. 7, § 7 Satz 1 und § 8 Satz 1 ApoG ergebende Fremdbesitzverbot für Apotheken mit der Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften (Art. 43, 48 EGV) vereinbar ist (VII.1) und ob der Beklagte aufgrund Gemeinschaftsrechts berechtigt und verpflichtet war, innerstaatliches Recht unangewendet zu lassen (VII.2.)


VI. Anwendung nationalen Rechts

1. Die Klage ist als Drittanfechtungsklage hinsichtlich der Kläger zu 2) bis 4) zulässig. Zwar sind die Kläger zu 1) und 5) mangels Betroffenheit in eigenen Rechten nicht klagebefugt. Die Kläger zu 2) bis 4) sind dagegen als Apothekerinnen bzw. Apotheker, die ihre berufliche Tätigkeit im selben Einzugsbereich wie die von der Beigeladenen betriebene Filialapotheke ausüben, klagebefugt. Sie können geltend machen, durch die angefochtene Erlaubnis in ihren Grundrechten aus Art. 12, 3 GG verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Zur Klagebefugnis reicht es aus, wenn nach dem substantiierten Vorbringen des Klägers eine Verletzung seiner Rechte möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.2000 -3C 6.99- DVBl. 2000, 1614 f.). Eine Klage ist nur dann unzulässig, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können. Im vorliegenden Fall kann eine Rechtsverletzung der Kläger zu 2) bis 4) nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, da durch die Erteilung der Apothekenbetriebserlaubnis an die Beigeladene als Kapitalgesellschaft der Wettbewerb zum Nachteil der im selben Einzugsbereich tätigen Apothekerinnen und Apotheker - im Sinne einer nachhaltigen Verschiebung von Marktanteilen - beeinflusst werden kann.

2. Rechtsgrundlage für die erteilte Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke ist nach deutschem Recht § 1 Abs. 2 ApoG. Danach bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde, wer eine Apotheke und bis zu drei Filialapotheken betreiben will. Bei Anwendung innerstaatlichen Rechts hätte die Beigeladene eine Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke nicht erreichen können. In § 2 Abs. 1 Ziff. 1 – 4, 7 ApoG wird die Erteilung einer Erlaubnis an Voraussetzungen geknüpft, die nur eine natürliche Person erfüllen kann. Gemäß § 7 Satz 1 ApoG verpflichtet die Erlaubnis zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung. In § 8 Satz 1 ApoG ist zusätzlich geregelt, dass mehrere Personen zusammen eine Apotheke nur in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft betreiben können; in diesen Fällen bedürfen alle Gesellschafter der Erlaubnis. Die der Beigeladenen erteilte Apothekenbetriebserlaubnis verstößt gegen das in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommende Fremdbesitzverbot. Eine Kapitalgesellschaft kann eine Apotheke nicht wie gemäß § 7 Satz 1 ApoG notwendig persönlich leiten, sondern nur durch Angestellte. Auch die Regelung in § 8 Satz 1 ApoG schließt den Betrieb einer Apotheke durch eine Kapitalgesellschaft aus. Gemessen am nationalen Recht ist die mit der Klage angefochtene Erlaubnis daher zwar nicht nichtig i.S.v. § 44 Abs. 1 des Saarländischen Verfahrensgesetzes - SVwVfG -, aber rechtswidrig.


VII. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen

Die Klage hat keinen Erfolg, wenn die nationalen Vorschriften über das Fremdbesitzverbot (§ 2 Abs. 1 Ziff. 1 – 4, 7, § 7 Satz 1, 8 Satz 1 ApoG) gegen die Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften verstoßen und der Beklagte berechtigt und verpflichtet war, nationales Recht unangewendet zu lassen. In seiner Wirkung kommt das Fremdbesitzverbot einem vollständigen Niederlassungsverbot für Kapitalgesellschaften gleich. Art. 48 EGV erstreckt die nach Art 43 EGV für natürliche Personen garantierte Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU, die die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften i.S. des Artikels 48 Absatz 2 umfasst, auf die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates gegründeten Gesellschaften. Dazu gehören neben Personengesellschaften auch Kapitalgesellschaften (Art. 48 Abs. 2 EGV). Diese genießen in gleichem Maße Niederlassungsfreiheit wie natürliche Personen.

1. Die Kammer hat Zweifel, ob die genannten nationalen Vorschriften, die es verbieten, einer nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates gegründeten Kapitalgesellschaft die Erlaubnis für den Betrieb einer Apotheke zu erteilen, mit der europäischen Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EGV) in Einklang stehen.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hindert die Niederlassungsfreiheit die Mitgliedsstaaten zwar grundsätzlich nicht, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden. Sowohl der Zugang zu bestimmten Tätigkeiten als auch deren Ausübung können von der Beachtung bestimmter Rechts- oder Verwaltungsvorschriften abhängig gemacht werden, sofern vier Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Maßnahmen müssen ohne Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit angewendet werden,
- sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein,
- sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zwecks zu gewährleisten und
- sie dürfen nicht über das hinaus gehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 21.04.2005 in der Rechtssache C-140/03, Kommission/Griechenland, Slg. 2005, I -3177 Rdnr. 23; sowie Urteil vom 31.03.1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I -1663 Rdnr. 32).

Des Weiteren hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Gesundheit und das Leben der Menschen den ersten Rang einnehmen und es Sache der Mitgliedsstaaten ist, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen zu bestimmen, auf welchem Niveau sie diesen Schutz gewährleisten wollen (EuGH, Urteil vom 11.12.2003 in der Rechtssache C-322/01, Deutscher Apothekerverband/DocMorris, NJW 2004, 131, 135 Rdnr. 103).

Allerdings hat der Gerichtshof in dem erwähnten Urteil vom 21.04.2005 in der Rechtssache C-140/03 (Kommission/Griechenland) für Optikergeschäfte entschieden, dass das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit mit Maßnahmen erreicht werden kann, die die Niederlassungsfreiheit sowohl natürlicher Personen als auch juristischer Personen weniger einschränken, z.B. durch das Erfordernis, dass in jedem Optikergeschäft als Arbeitnehmer oder Gesellschafter diplomierte Optiker anwesend sein müssen, durch die für die zivilrechtliche Haftung für das Verhalten eines Dritten geltenden Vorschriften sowie durch Bestimmungen, die eine Berufshaftpflichtversicherung vorschreiben. Ausgehend hiervon hat der Gerichtshof entschieden, dass die Beschränkungen für juristische Personen, in Griechenland ein Optikergeschäft zu eröffnen, gegen Art. 43 und 48 EGV verstoßen. Die Kammer hat jedoch Zweifel, ob diese Ausführungen über den Zugang zu Optikergeschäften auf Apotheken übertragbar sind. Mit der Abgabe von Arzneimitteln in Apotheken könnte ein deutlich höheres Gesundheitsrisiko verbunden sein als beim Betrieb eines Optikergeschäfts. Dem deutschen Apothekenrecht liegt ausgehend von der Erkenntnis, dass Arzneimittel keine gewöhnlichen Waren, sondern die wichtigsten Hilfsmittel der ärztlichen Kunst zur Heilung und Vorbeugung von Krankheiten sind und zur Linderung von Schmerzen dienen, und dass dem Apotheker, dem vorrangig die geordnete Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zukommt, als besonderem, qualifiziertem Beruf des Gesundheitswesen eine große Verantwortung im Rahmen der öffentlichen Aufgabe der Arzneimittelversorgung obliegt, das Leitbild des „Apothekers in seiner Apotheke“ zugrunde (vgl. BVerfG, Urt. v. 13. Febr. 1964 -1 BvL 17/61-, -1 BvR 494/60, 128/61- BVerwGE 17, 233; BVerwG, Urt. v. 11. März 1993 -3 C 90/90- Buchholz 418.20 Nr. 27). Die Erfüllung der für die Volksgesundheit wichtigen öffentlichen Aufgaben durch den Apotheker hält der deutsche Gesetzgeber am besten dann für gewährleistet, wenn die allseitige Verantwortung für den Betrieb der Apotheke in einer Hand liegt, d.h. wenn der Apotheker, der für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben einzustehen hat, auch Eigentümer der Apotheke ist (vgl. BVerfG, a.a.O.). Nach der Konzeption des Apothekengesetzes soll eine Aufspaltung der Verantwortung des Apothekers in eine gesundheitliche und eine wirtschaftliche Leitung vermieden werden. Das nach § 2 Abs. 1 Ziff. 1 – 4, 7, § 7 Satz 1, 8 Satz 1 ApoG bestehende Verbot des Fremdbesitzes schließt die Errichtung von Apotheken aus bloßen Gründen der Kapitalanlage bzw. Kapitalnutzung aus. Ziel ist es zu verhindern, dass Personen, die für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung keine Verantwortung tragen, Einfluss auf die Führung von Apotheken eingeräumt wird, um auf diese Weise sicher zu stellen, dass die im öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Volksgesundheit liegende Arzneimittelversorgung sachgerecht wahrgenommen wird (vgl. OVG Bautzen, Urteil v. 08.06.2004 -2 B 468/03-, Juris; OVG Münster, Beschluss v. 14.02.1997 - 13 B 2312/96 -, Juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 24.09.1993 -9 S 1742/93- DVBl. 1994, 485). Die Frage, ob das sich aus § 2 Abs. 1 Ziff. 1 - 4 u. 7, § 7 Satz 1 und § 8 Satz 1 ApoG ergebende Fremdbesitzverbot für Apotheken mit der in Art. 43, 48 EGV gewährleisteten Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften vereinbar ist, ist für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits entscheidungserheblich. Handelt es sich hierbei um eine aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, so hat die Klage der Kläger zu 2) bis 4) hinsichtlich des Antrags zu 2), der auf die Aufhebung der Apothekenbetriebserlaubnis der Beigeladenen gerichtet ist, Erfolg. Liegt dagegen ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften vor, so ist die Klage, wenn der Beklagte berechtigt war, nationales Recht unangewendet zu lassen, insgesamt abzuweisen.

2. Der zuletzt genannte Gesichtspunkt betrifft die Zweite der dem Gerichtshof gestellten Vorlagefragen. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts könnte der Beklagte berechtigt und verpflichtet gewesen sein, die seiner Ansicht nach mit der Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften nicht in Einklang stehenden nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen.

Zwar hat der Gerichtshof in einigen seiner bisherigen Entscheidungen bereits die Auffassung vertreten, dass es eine Pflicht der zuständigen Behörden sei, eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen. So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 22.06.1989 in der Rechtssache C-103/88 (Fratelli Constanzo, Slg. 1989, I -1839) ausgeführt, dass die Pflicht, eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen, nicht nur den nationalen Gerichten, sondern allen staatlichen Organen einschließlich der Verwaltungsbehörden obliegt. Es sei widersprüchlich, zwar zu entscheiden, dass die Einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen können, um das Verhalten der Verwaltung beanstanden zu lassen, trotzdem aber die Auffassung zu vertreten, dass die Verwaltung nicht verpflichtet sei, die Bestimmungen der Richtlinie dadurch einzuhalten, dass sie die Vorschriften des nationalen Rechts, die damit nicht im Einklang stehen, unangewendet lässt. Wenn die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs einzuhaltenden Voraussetzungen dafür erfüllt seien, dass die Einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen können, seien folglich alle Träger der Verwaltung einschließlich der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften verpflichtet, diese Bestimmungen anzuwenden. In seinem Urteil vom 29.04.1999 in der Rechtssache C-224/97 (Ciola, Slg. 1999, I -2517) hat der Gerichtshof dies hinsichtlich der Bestimmungen des Vertrages bestätigt. Er hat ausgeführt, da die Bestimmungen des Vertrags in der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats unmittelbar gelten und da das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht vorgeht, erzeugen sie Rechte zu Gunsten der Betroffenen, die die nationalen Behörden zu achten und zu wahren haben, so dass ihnen entgegenstehende Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts aus diesem Grund unanwendbar werden. In seinem Urteil vom 09. September 2003 in der Rechtssache 7-198/01 (Fiammiferi, Slg. 2003, I -8055) hat der Gerichtshof erneut bekräftigt, dass die Pflicht, eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen, nicht nur den nationalen Gerichten, sondern allen staatlichen Organen einschließlich der Verwaltungsbehörden obliegt. Die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft würden geschmälert, wenn die nationale Wettbewerbsbehörde im Rahmen einer Untersuchung über das Verhalten von Unternehmen nicht feststellen könnte, dass eine nationale Maßnahme gegen Art. 10 EGV i.V.m. Art. 81 EGV verstößt, und sie daher nicht unangewendet lassen könnte.

Nicht entschieden wurde vom Gerichtshof allerdings bisher, welche Anforderungen an die Überzeugungsbildung der Behörde hinsichtlich der Gemeinschaftswidrigkeit der nationalen Vorschriften zu stellen sind. Die Kammer hat Zweifel, ob eine nationale Behörde aufgrund des Gemeinschaftsrechts, insbesondere im Hinblick auf Art. 10 EGV und den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts berechtigt und verpflichtet ist, die von ihr als gemeinschaftswidrig erachteten nationalen Vorschriften nicht anzuwenden, auch wenn es sich nicht um einen evidenten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht handelt und eine Unvereinbarkeit der betreffenden nationalen Vorschriften gegen das Gemeinschaftsrecht vom Europäischen Gerichtshof bisher nicht festgestellt worden ist. Der zuständige Bundesgesetzgeber hat zuletzt in seinem Gesetz vom 19.11.2003 (BGBl. 2003 I, 2190) ausdrücklich an der Konzeption der Einheit von gesundheitlicher Verantwortung und wirtschaftlichem Eigentum festgehalten. Der Beklagte vertritt – soweit ersichtlich - als einzige der nationalen Behörden die Auffassung, dass das deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Die Behörden der übrigen Bundesländer wenden weiterhin das nationale Recht an. Die unterschiedliche Anwendung nationaler Rechtsvorschriften infolge der Annahme oder Nichtannahme der Gemeinschaftswidrigkeit nationaler Rechtsvorschriften hat eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Die Kammer ist deshalb der Ansicht, dass bestimmte Anforderungen an die Überzeugungsbildung hinsichtlich der Annahme eines Verstoßes nationaler Bestimmungen gegen Gemeinschaftsrecht zu stellen sind. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat in seinem Beschluss vom 22.01.2007 - 3 W 14/06 - eine Überzeugungsgewissheit hinsichtlich des Verstoßes nationaler Rechtsvorschriften gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht für erforderlich, aber auch ausreichend erachtet. Der Beklagte hat sich bei seiner Entscheidung, nationales Recht unangewendet zu lassen und der Beigeladenen eine Apothekenbetriebserlaubnis zu erteilen, auf ein von ihm eingeholtes Rechtsgutachten gestützt. Allerdings wird die in der ersten Vorlagefrage aufgeworfene Rechtsfrage, ob das Fremdbesitzverbot des deutschen Apothekenrechts gegen die Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften aus Art. 43, 48 EGV verstößt, in der rechtswissenschaftlichen Literatur überaus kontrovers diskutiert. Teilweise wird mit Blick auf Erfordernisse der Rechtssicherheit, das Gewaltenteilungsprinzip, die fehlende Vorlagemöglichkeit der Behörden und die Gefahr „anarchischer Verwerfungspraxis“ einschränkend die Auffassung vertreten, dass eine Normverwerfungskompetenz nationaler Behörden nur dann besteht, wenn der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht evident bzw. offenkundig ist oder der Verstoß der betreffenden Vorschriften gegen Gemeinschaftsrecht vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung festgestellt ist (vgl. Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 10 Rn. 60; Martini, DVBl. 2007, 10, 17). Die Frage, ob an die Nichtanwendung nationaler Vorschriften aufgrund einer von der Behörde angenommenen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit derartige, besondere Anforderungen zu stellen sind, ist für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits entscheidungserheblich. Ein evidenter bzw. offenkundiger Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht liegt nach Ansicht der Kammer hier nicht vor. Ein Verstoß der deutschen Rechtsvorschriften (§ 2 Abs. 1 Ziff. 1 – 4 u. 7, § 7 Satz 1 und 8 Satz 1 ApoG) gegen die Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften nach Art. 43, 48 EGV wurde vom Gerichtshof bisher – ebenso wenig wie der Verstoß ähnlicher apothekenrechtlicher Bestimmungen anderer Mitgliedstaaten – nicht festgestellt. Sind an die Nichtanwendung nationalen Rechts die geschilderten besonderen Anforderungen zu stellen, so hätte der Beklagte die angefochtene Erlaubnis nicht erteilen dürfen. Die Klage der Kläger zu 2) bis 4) hätte dann hinsichtlich des unter Ziff. 2) des Klageantrags gestellten Aufhebungsantrags Erfolg.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

gez. von Funck Helling Kiefer