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Novellierung des europäischen Prozessrechts durch die EuGVVO

Europäisches Prozeßrecht gehört nicht zum Standard der anwaltlichen Beratung. Dennoch hat es in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, da immer mehr Lebenssachverhalte einen europäischen Bezug bekommen haben.

Doch welches Gericht ist für ein „europäisches“ Verfahren zuständig? Und wie kann man europäische Titel vollstrecken? Diese Fragen beantwortete das EuGVÜ, das seit Ende 1994 in Deutschland gilt. Nunmehr hat der europäische Gesetzgeber das Übereinkommen abgelöst und mit der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, Abl. Nr. L012 vom 16.01.2001) eine neue Grundlage geschaffen. Die EuGVVO trat am 01.03.2002 in Kraft.

Die EuGVVO entspricht weitgehendst dem EuGVÜ. Allerdings ist die EuGVVO nicht im Verhältnis zu Dänemark anwendbar, Streitigkeiten mit dänischem Bezug richten sich weiterhin nach dem EuGVÜ.

Nachfolgend werden die wesentlichen Änderungen gegenüber dem alten Recht dargestellt:

I.

Nach der EuGVÜ bereitete es Schwierigkeiten, den Sitz einer juristischen Person oder Gesellschaft zu bestimmen. Art. 53 EuGVÜ definierte den Sitz nicht, vielmehr hatte das Gericht den Sitz nach dem jeweiligen internationalen Privatrecht zu lösen. Dies führte – je nach Mitgliedsstaat – zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zum Teil knüpfen einige Staaten an den satzungsmäßigen Sitz an, andere an den tatsächlichen Sitz.

Diese Rechtsunsicherheit beseitigt Art. 60 (1) EuGVVO. Gesellschaften und juristische Personen haben ihren Sitz entweder an ihrem satzungsmäßigen Sitz, am Sitz der Hauptverwaltung oder am Sitz der Niederlassung.

Im Ergebnis führt die neue Regelung zu einem Wahlrecht des Klägers, wenn sich diese drei Sitze bei einer Gesellschaft voneinander unterscheiden. Ob damit nicht neue Probleme entstehen, muß sich in der Praxis erst noch zeigen.

II.

Das alte Recht definierte den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes als den Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Damit war der Erfüllungsort grundsätzlich nach dem jeweiligen internationalen Privatrecht zu bestimmen.

Diese Begriffsbestimmung übernahm Art. 5 Nr. 1 EuGVVO wortgleich, erweiterte sie jedoch um eine gesetzliche Vermutung. Erfüllungsort ist beim Verkauf beweglicher Sachen der Ort, wohin die Sache nach dem Vertrag geliefert wurde oder hätte geliefert werden müssen. Verkauf im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO meint nicht nur Kaufverträge, sondern bezieht sich auf sämtliche Erwerbsverträge.

Beispiel: Ein deutsches Unternehmen verkauft eine Ware an einen holländischen Kunden und liefert die Ware an den Kunden in Madrid. Erfüllungsort ist Madrid. Kommt es gar nicht erst zur Lieferung, so bleibt Madrid der Erfüllungsort, da die Ware dorthin hätte geliefert werden müssen.

Wenn der Vertrag eine Dienstleistung zum Gegenstand hat, ist der Erfüllungsort der Ort, an dem die Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht wurde oder hätte erbracht werden müssen. Diese Regelung gilt aber nicht bei Ansprüchen aus Arbeitsverträgen, Art. 18 f. EuGVVO.

Beispiel: Ein französisches Händler beauftragt einen italienischen Kunstsachverständigen, für ihn bei einer Auktion in Wien ein Gemälde zu ersteigern. Erfüllungsort ist Wien, da der Sachverständige dort das Geschäft für den Händler besorgt und seine Dienstleistung erbringt.


III.

Neu eingeführt wurde der Verbrauchergerichtsstand in den Art. 15 f. EuGVVO. Er gilt zum einen für kreditfinanzierte Erwerbsverträge, Art. 15 (1) a) und b) EuGVVO. Zum anderen kann sich der Verbraucher auf diesen Gerichtsstand berufen, wenn das Unternehmen in dem Mitgliedsstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, gewerblich tätig wird oder seine gewerbliche Tätigkeit auf diesen Mitgliedsstaat ausrichtet.

Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der Verbraucher für eigene Klagen gegen das Unternehmen das zuständige Gericht wählen, Art. 16 EuGVVO. Er kann die Klage entweder an seinem Wohnsitz oder am Sitz des Unternehmens einreichen. Dagegen kann das Unternehmen nur am Wohnsitz des Verbrauchers klagen.

Beispiel: Ein belgischer Verbraucher kauft in Brüssel ein Fahrzeug der B-AG mit Sitz in München. Diese ist in Belgien gewerblich tätig. Er kann die Klage entweder an seinem Wohnsitzgericht in Brüssel oder am Unternehmenssitz in München einreichen.

Beispiel: Ein französisches Unternehmen verkauft über das Internet Bücher. Es bietet den Versand der Bücher nach Deutschland an. Eine unmittelbare, gewerbliche Tätigkeit in Deutschland findet nicht statt. Da es das Angebot jedoch auch nach Deutschland ausrichtet, kann der Verbraucher entweder in Frankreich oder in Deutschland klagen.

IV.

Nach Art 27 Nr. 2 EuGVÜ erkannte das Gericht einen ausländischen Titel nicht an, wenn dem Beklagten die ursprüngliche Klage nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt wurde, daß er sich verteidigen konnte. Diese Regelung hatte in der Praxis erhebliche Bedeutung und begünstigte den Titelschuldner. Selbst wenn der Titelschuldner nur das rechtsmittelfähige Versäumnisurteil erhielt und ein Rechtsmittel nicht einreichte, konnte er die Anerkennung des Titels in einem anderen Mitgliedsstaat verhindern. Nach der Rechtsprechung des EuGH war ein Versäumnisurteil kein verfahrenseinleitendes Schriftstück und der Beklagte sollte nach dem Sinn der EuGVÜ Gelegenheit haben, sich vor Erlaß eines Urteils zu verteidigen.

Art. 34 Nr. 2 EuGVVO regelt nunmehr, daß das Gericht den Titel anerkennen muß, wenn der Titelschuldner zumindest in einem späteren Stadium von der Klage erfuhr, z.B. durch ordnungsgemäße Zustellung des Versäumnisurteils, ohne sich zu verteidigen oder ein Rechtsmittel einzulegen.


V.

Die EuGVVO stärkt die Position des Titelgläubigers ferner durch ein rein formales Anerkennungsverfahren in 1. Instanz, Art. 38 f. EuGVVO. Der Antragsteller muß nur eine Ausfertigung des Titels (Art. 53 EuGVVO) sowie die Bescheinigungen nach Art. 54 f. EuGVVO vorlegen. Liegen diese Voraussetzungen vor, muß das Gericht den Titel unverzüglich für vollstreckbar erklären, ohne daß es die Art. 34 und 35 EuGVVO prüft oder dem Titelschuldner rechtliches Gehör gewährt, Art. 41 EuGVVO. Nach dem Wortlaut der Verordnung darf das Gericht in 1. Instanz noch nicht einmal prüfen, ob der Inhalt des Titels dem ordre public widerspricht, Art. 34 Nr. 1, 41 EuGVVO!

Diese Regelung verhilft dem Titelgläubiger zu einer umgehenden Vollstreckbarerklärung seines Titels, mit der er zunächst die Sicherungsvollstreckung betreiben kann, Art. 47 (3) EuGVVO.

Dem Titelschuldner wird Rechtsschutz erst im Rahmen des Rechtsbehelfverfahrens gewährt. Das Rechtsmittel ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung einzulegen, Art. 43 (5) EuGVVO. Das Gericht 2. Instanz kontrolliert die Vollstreckbarerklärung anhand der Art. 34 und 35 EuGVVO, ohne allerdings die ausländische Entscheidung in der Sache selbst zu überprüfen.

VI.

Insgesamt tragen die Änderungen gegenüber der EuGVÜ den Problemen Rechnung, die sich in der Praxis in den letzten Jahren gezeigt haben. Zuständigkeiten sind nicht mehr über das internationale Privatrecht zu lösen, sondern sind unmittelbar geregelt. Darüber hinaus wurde die Stellung eines Titelgläubigers im Anerkennungsverfahren erheblich gestärkt. Allerdings wird auch die EuGVVO nur ein Zwischenschritt bleiben. Bereits jetzt arbeiten Ausschüsse der Europäischen Union an einem „europäischen Urteil“, aus dem ohne ein weiteres Verfahren in allen Mitgliedsstaaten vollstreckt werden soll.