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Sonstige Rechtsgebiete


OLG Hamburg: Bankhaus Delbrück hat mit Verkauf von Lehman-Zertifikaten die Pflichten gegenüber dem Anleger verletzt

OLG Hamburg, Beschluss vom, Az.: 6 U 71/10

Hanseatisches Oberlandesgericht

Az.: 6 U 71/10

Beschluss

In dem Rechtsstreit

- Kläger und Berufungsbeklagter -

Prozessbevollmächtigte: DIEKMANN Rechtsanwälte, Feldbrunnenstraße 57, 20148 Hamburg

gegen

Delbrück Bethmann Maffei AG
- Beklagte und Berufungsklägerin -

Prozessbevollmächtigte:

erlässt das Hanseatische Oberlandesgericht - 6. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Buchholz, die Richterin am Oberlandesgericht Agger und die Richterin am Landgericht Kaufmann am 14.09.2011 folgenden Beschluss:

Die Parteien werden nach Beratung der Sache im Senat darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gem. § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 ZPO gegeben sind.

Zu Recht hat das Landgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 37.424,00 Euro nebst Zinsen verurteilt. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein entsprechender Schadensersatzanspruch zu. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung. Die Berufungsbegründung der Beklagten enthält keine Gesichtspunkte, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen.

Der Senat folgt dem Landgericht darin, dass die Beklagte ihre Pflicht zur vollständigen Unterrichtung über alle Umstände und Risiken, die für die Anlageentscheidung von Bedeutung sind, verletzt hat.

Zutreffend hat das Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass die Beratung über eine Kapitalanlage sich in Bezug auf das Anlageobjekt auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen hat, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des Börsen- oder Fondsmarktes) und den speziellen Risiken, die sich aus den individuellen Gegebenheiten des Anlageobjektes (Kurs-, Zins- und Währungsrisiko etc.) ergeben. Für den Umfang der Beratung ist insbesondere von Bedeutung, ob die beratende Bank das Anlageobjekt in ein von ihr zusammengestelltes Anlageprogramm aufgenommen und sie dieses zur Grundlage ihrer Beratung gemacht hat. Nimmt sie ausländische Papiere in ihr Programm auf, hat sie sich — auch anhand ausländischer Quellen — über die Güte dieser Papiere zu informieren und sie einer eigenen Prüfung zu unterziehen. Die Beratung der Bank muss richtig und sorgfältig, dabei für den Kunden verständlich und vollständig sein, die Bank muss zeitnah über alle Umstände unterrichten, die für das Anlagegeschäft von Bedeutung sind (vgl. BGH NJW 1993, 2433, zitiert nach juris, dort Tz. 18 und 19; BGH NJW 2008, 3700, zitiert nach juris, dort Tz. 12; Palandt-Grüneberg BGB 70. Aufl. § 280 Rn. 49).

Dass das streitgegenständliche Zertifikat von der Beklagten in deren Anlageprogramm aufgenommen worden war, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sie selbst eine Produktinformation (Anl. K 1) erstellt und den Erwerb des Zertifikats aktiv empfohlen hat. Die Beklagte hat den Kläger aber im Rahmen der Telefongespräche vom 14. und 17. Juli 2008 sowie mit dem zwischenzeitlich übermittelten Fax (Produktinformationsflyer) nicht über alle für die Anlageentscheidung wesentlichen Umstände informiert. Für die Sicherheit der Anlage war das sog. Emittentenrisiko von erheblicher Bedeutung. Die Beklagte traf daher nicht nur die Verpflichtung, den Kläger über die grundsätzliche Bedeutung des Emittentenrisikos bei einem Zertifikat der hier vorliegenden Art aufzuklären. Vielmehr war die Beklagte darüber hinaus verpflichtet, den Kläger über alle Umstände aufzuklären, die für die Beurteilung des Umfangs des Emittentenrisikos im konkreten Falle (also für die Beurteilung des Insolvenzrisikos der Emittentin bzw. der Garantin) von Bedeutung waren. Zu diesen Umständen gehört auch das Rating (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Juni 2011, Az.: 6 U 110/10). Auf eine Verschlechterung in den Einstufungen des Ratings muss hingewiesen werden (Palandt-Grüneberg aa0.). Dies ist vorliegend nicht geschehen. Die Beklagte hat dem Kläger vielmehr den Produktinformationsflyer (Anl. K 1) übermittelt, auf welchem unter der Rubrik „Bonität der Emittentin" für die Lehman Brothers Holding Inc. ein Rating von „A+" ausgewiesen war, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass die Rating-Agentur Standard & Poor‘s das Rating für die Lehman Brothers Holding Inc. zwischenzeitlich, nämlich bereits Anfang Juni 2008, von „A+" auf „A" heruntergestuft hatte. Die Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, dass der Inhalt des Produktinformationsflyers nicht fehlerhaft gewesen sei, weil dieser in der linken unteren Ecke den ausdrücklichen Hinweis „Stand: Mai 2008" enthalten habe. Vorzuwerfen ist der Beklagten nämlich nicht die Übersendung eines fehlerhaften Flyers, sondern der Umstand, dass der Kläger nicht auf eine zwischenzeitliche Herabstufung des Ratings hingewiesen worden ist.

Das Landgericht ist aufgrund der Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Zeuge den Kläger nicht über diese Herabstufung informiert hatte. Auf Nachfrage des Gerichts hatte der Zeuge im Rahmen seiner Vernehmung erklärt, dass „seinerzeit kein (...) up- oder downgrade hinsichtlich Lehman vorhanden" gewesen sei, er jedenfalls nichts darüber wisse (vgl. Protokoll der Sitzung vom 28. Januar 2010, BI. 101ff. d.A.). Die Information der Beklagten in Form der Übermittlung des Flyers war unter diesen Umständen jedenfalls unvollständig. Mangels eines anders lautenden Hinweises der Beklagten konnte und musste der Kläger anhand des Produktinformationsflyers im Zusammenhang mit den Telefongesprächen vom 14. und 17. Juli 2008 davon ausgehen, dass die dort enthaltenen Informationen (Stand: Mai 2008) nach wie vor aktuell seien. Dass demgegenüber das Rating zwischenzeitlich herabgestuft worden war, hätte die Beklagte dem Kläger daher im Rahmen ihrer Pflicht zur vollständigen Beratung — zusätzlich — mitteilen müssen. Die Beklagte kann deshalb auch nicht mit dem Einwand durchdringen, sie habe die Rating-Angabe im Produktinformationsflyer gar nicht ändern können, da zum damaligen Zeitpunkt auch die Rating-Angabe im maßgeblichen Wertpapierprospekt noch nicht angepasst gewesen sei; eine Änderung nur des Flyers sei nicht möglich gewesen, da dies zu einer haftungsrelevanten, weil widersprüchlichen Darstellung geführt hätte. Wie bereits oben ausgeführt, ist der Beklagten nicht die Übersendung eines fehlerhaften Flyers vorzuwerfen, sondern der mangelnde Hinweis auf die zwischenzeitlich erfolgte Herabstufung des Ratings durch die Agentur Standard & Poor‘s. Ob eine Anpassung des Flyers an die tatsächlichen Gegebenheiten in Widerspruch zu den Angaben im maßgeblichen Wertpapierprospekt gestanden hätte, ist daher unerheblich. Schließlich kann die Beklagte auch nicht mit Erfolg einwenden, dass eine rechtliche Einstandspflicht für die Angaben auf dem Flyer nicht bestehe, da ausweislich des Flyers eine „Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit" der dort zusammengestellten Informationen ausdrücklich nicht übernommen worden sei und der Flyer im Übrigen den Hinweis enthalte, dass dieser „weder ein Angebot noch eine Beratung, Empfehlung oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf irgendeiner Finanzanlage" darstelle. Denn die Beklagte hatte sich des Flyers — worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat — nach ihrem eigenen Vortrag zur Erfüllung ihrer Pflichten aus dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Beratungsvertrag gerade bedient. Dies geschah, indem „die Anlageempfehlung unter Zuhilfenahme des Produktflyers, welcher dem Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits gegenständlich zur Verfügung stand, mit dem Kläger besprochen" wurde (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 29. Oktober 2009, Seite 4, BI. 72 d.A.). Im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Beratungsvertrages stellt jedoch der von der Beklagten auf dem Flyer formularmäßig angebrachte Ausschluss der Gewährleistung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Informationen eine nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unzulässige Einschränkung der Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung einer sogenannten Kardinalpflicht dar (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2000, III ZR 62199, NJW-RR 2000, 998, zitiert nach juris, Tz. 28; BGH, Urteil vom 15.06.2000, III ZR 305/98, NJW 2000, 3275, zitiert nach juris, Tz. 13). Eine Freizeichnung von einer der wesentlichen Pflichten aus dem Beratungsvertrag, nämlich der Pflicht zur Übermittlung vollständiger und richtiger Informationen, ist damit gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, da sie den Vertragszweck gefährdet und daher eine unangemessene Benachteiligung des Klägers darstellt. Gegenstand des Beratungsvertrages war es nämlich gerade, den Kläger im Hinblick auf die von ihm zu treffende Anlageentscheidung richtig und vollständig zu informieren.

Nicht entscheidend ist im Übrigen, ob die Herabstufung des Ratings geringfügig war und sich das Rating nach wie vor im Bereich „A" (wenn auch ohne den Zusatz „+") befand. Denn es geht vorliegend nicht um eine fehlerhafte Bewertung oder Empfehlung der Anlage durch die Beklagte, sondern um die erforderliche vollständige Mitteilung von Tatsachen. Die Bank schuldet bei der Anlageberatung zum einen die zutreffende, vollständige und verständliche Mitteilung von Tatsachen, darüber hinaus auch eine fachmännische Bewertung. Die Pflichtverletzung der Beklagten besteht darin, dass sie den Kläger nicht über die Tatsache der Herabstufung des Ratings von „A+" auf „A" im Juni 2008, welche nach Herstellung des Produktinformationsflyers im Mai 2008 erfolgt war, informiert hat. Ob die Beklagte das Zertifikat (wegen des immer noch bestehenden „A"-Ratings) weiterhin zum Kauf empfehlen durfte, ist im vorliegenden Falle nicht maßgeblich.

Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten kausal für den Erwerb der Zertifikate geworden ist. Für den Kläger streitet vorliegend die Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens. Steht danach eine Aufklärungspflichtverletzung fest, muss der Aufklärungspflichtige beweisen, dass der Anleger die Anlage auch bei richtiger Aufklärung erworben, den unterlassenen Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, welche grundsätzlich für alle Aufklärungsfehler eines Anlageberaters gilt (BGH, Urteil vom 12.05.2009, XI ZR 586/07, NJW 2009, 2298, zitiert nach juris, Tz. 22), hat die Beklagte nicht widerlegt. Sie hat insbesondere nicht vorgetragen, dass der Kläger auch nach entsprechender Aufklärung Zertifikate von Emittenten erworben hat, deren Rating kurz zuvor herabgestuft worden war. Dem Einwand der „überholenden Kausalität" vermag der Senat daher nicht zu folgen. Allein der Umstand, dass der Kläger den Zeugen angesichts der immer weiter in den Focus der Öffentlichkeit rückenden US-Bankenkrise am 14. August 2008 gefragt hat, ob es sinnvoll sei, das Zertifikat weiter zu halten oder zu verkaufen (vgl. Klagschrift Seite 9, BI. 9 d.A.), lässt die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entfallen. Denn das Verhalten des Klägers zeigt lediglich, dass ihm aufgrund der Berichterstattung in der Presse das allgemeine Emittentenrisiko bei Zertifikaten ins Bewusstsein gekommen war. Es führt aber keineswegs zu der Annahme, dass der Kläger das Zertifikat im Juli 2008 auch dann erworben hätte, wenn er zuvor auf die Herabstufung des Ratings der Lehman Brothers Hol- ding Inc. hingewiesen worden wäre. Selbst wenn der Kläger Mitte August 2008 in Kenntnis der Presseberichterstattung über die US-Bankenkrise den Entschluss gefasst hat, die im Juli 2008 erworbenen Zertifikate nicht zu verkaufen, so lässt dies keine Rückschlüsse darauf zu, wie der Kläger sich bei gehöriger Aufklärung durch die Beklagte im Juli 2008 verhalten hätte. Die Situation ist insofern nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen der Anleger — unbeeindruckt von der zwischenzeitlich erfolgten Aufklärung über Risikofaktoren — weitere vergleichbare Anlagen tätigt und dadurch zum Ausdruck bringt, dass die vorherige Verletzung der Aufklärungspfiicht nicht schadensursächlich geworden ist (vgl. OLG Köln, Urteil vom 01.07.1994, NJW-RR 1995, 112, zitiert nach juris, Tz. 10). Denn die Entscheidung, bereits erworbene Zertifikate (mit Kursverlusten) abzustoßen, ist nicht vergleichbar mit der Entscheidung zum Neuerwerb. Im Übrigen trägt die Beklagte nicht einmal vor, dass dem Kläger bei dem Gespräch vom 14. August 2008 die Herabstufung des Ratings der Lehman Brothers Holding Inc. überhaupt bekannt war.

Ein Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht ist schließlich ebenfalls nicht gegeben. Aus dem vom Kläger als Anlage BB 4 eingereichten Schreiben vom 2. Dezember 2009 geht hervor, dass eine Anmeldung der Forderung gegenüber dem Insolvenzverwalter der Garantiegeberin erfolgt ist.

Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Der Senat hält sich an die bereits ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung, durch die die wesentlichen Rechtsfragen dieses Falles bereits geklärt sind. Auch eine Abweichung zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte ist nicht ersichtlich.

Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.

Es wird im Übrigen empfohlen, zur Vermeidung weiterer nicht unerheblicher Kosten die Berufung zurückzunehmen.


VORINSTANZ

LG Hamburg, Az.: 313 O 95/09