I. Einleitung
Der Versandhandel hat über das Internet und andere moderne Telekommunikationsmittel eine neue Plattform gefunden. Der Sitz eines Versandhändlers spielt auch im europäischen Rahmen eine immer untergeordnetere Rolle. Der Händler kann seine Waren virtuell anbieten und auf gleiche Weise den Vertrag mit dem Kunden schließen, die Lieferung der Waren an den Kunden erfolgt über Logistikunternehmen.
Die rechtlichen Probleme, die beim grenzüberschreitenden Versandhandel bestanden, hat die Europäische Union durch Richtlinien sukzessive abgebaut, beispielsweise die Fernabsatz-Richtlinie oder die E-Commerce-Richtlinie.
Dieser Aufsatz befaßt sich mit den umsatzsteuerlichen Besonderheiten beim grenzüberschreitenden Versandhandel, insbesondere mit der Frage, welche – nationale – Umsatzsteuer bei diesen Geschäften entsteht. Er soll weiter Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen, wie sich Versandhändler durch die Wahl des Firmensitzes über die unterschiedlich hohen Steuersätze Preisvorteile gegenüber ihren Wettbewerbern verschaffen können.
II. Lösung über das Recht der Europäischen Union
Beim grenzüberschreitenden Versandhandel mit Waren innerhalb der Europäischen Union stellt sich die Frage, ob sich aus europäischen Rechtsquellen das anwendbare Umsatzsteuerrecht ergibt.
1. Harmonisierung der Umsatzsteuer in der Europäischen Union
Die Harmonisierung der Umsatzsteuer erfolgte erstmals über die Richtlinie vom 11. April 1967 (67/227/EWG). In der Folgezeit wurde die Richtlinie mehrfach geändert und erweitert, insbesondere durch die Richtlinien vom 09. Dezember 1969 (69/463/EWG) und vom 17. Mai 1977 (77/388/EWG). Gegenstand der Richtlinien ist die Einführung eines gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in der Europäischen Union. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, daß in den Mitgliedsstaaten Regelungen über die Umsatzsteuern getroffen werden müssen, welche die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälschen und den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen im Gemeinsamen Markt nicht behindern. Diese Richtlinien führten zu einer Harmonisierung der nationalen Umsatzsteuergesetze, sie enthalten aber keine unmittelbaren Regelungen, welches Umsatzsteuerrecht beim grenzüberschreitenden Versandhandel anwendbar ist.
a. Harmonisierung der Umsatzsteuer beim elektronischen Geschäftsverkehr
Welches nationale Umsatzsteuerrecht anwendbar ist, könnte sich aus der weiteren Harmonisierung der Umsatzsteuer beim elektronischen Geschäftsverkehr ergeben.
Für die Besonderheiten des elektronischen Geschäftsverkehrs hat die Europäische Union bisher eine Rechtsgrundlage nicht geschaffen. Zwar teilte die Europäische Kommission am 17. Juni 1998 mit, daß ein steuerrechtlicher Rahmen für die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs notwendig wäre („Europäische Initiative für den elektronischen Geschäftsverkehr“ [KOM(97) 157 und KOM(98) 374]). Doch sind die Gedanken über das Stadium einer Diskussionsgrundlage bisher nicht hinausgekommen. Es bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.
b. Harmonisierung der Umsatzsteuer für elektronisch erbrachte Dienstleistungen
Die steuerliche Behandlung der Umsätze aus dem grenzüberschreitenden Versandhandel könnte sich aus der Richtlinie der Europäischen Union vom 07. Mai 2002, 2002/38/EG ergeben, mit der sie die Richtlinie 77/388/EWG änderte.
Die Richtlinie bezieht sich auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen, Art. 9 (2) RL. Sofern diese Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union erbracht werden, gilt ein eingeschränktes Herkunftslandsprinzip.
Werden elektronische Dienstleistungen gegenüber einem anderen Unternehmen erbracht, erfolgt die Besteuerung des Umsatzes am Sitz des anderen Unternehmens; handelt es sich bei dem Kunden um eine Privatperson, wird der Umsatz am Sitz des Anbieters besteuert.
Ob der – internetgestützte – Versandhandel als elektronisch erbrachte Dienstleistung qualifiziert werden kann, ist fraglich. Sollte es sich um eine schlichte Lieferung nach einem elektronisch geschlossenen Vertrag handeln, wäre die Richtlinie nach Art. 9 (2) nicht anwendbar.
Eine Lieferung liegt vor, wenn einem Dritten die Verfügungsmacht über einen Gegenstand verschafft wird (BFH HFR 1999, 408). Dienstleistungen werden demgegenüber nur negativ definiert. Alle Leistungen, die nicht Lieferungen sind, stellen Dienstleistungen dar (§ 3 (9) UStG, Art. 6 (1) RL).
Prägendes Element des Versandhandels ist der Verkauf von Waren. Im umsatzsteuerlichen Sinne steht im Vordergrund, dem Käufer die Verfügungsmacht an der Ware zu verschaffen. Selbst wenn neben der Lieferung noch dienstleistungsähnliche Leistungen erbracht werden und es sich um eine gemischte Leistung handelt, ist umsatzsteuerlich die Lieferung als Schwerpunkt des Geschäftes zu sehen (BFH BStBl. 1977, 881; 1981, 197).
Darüber hinaus enthält der Anhang L zu Art. 9 (2) e RL eine exemplarische Aufstellung der elektronischen Dienstleistungen. Den von der Richtlinie umfaßten Dienstleistungen ist gemeinsam, daß ein physischer Warenaustausch nicht stattfindet.
Selbst wenn beim Versandhandel der Vertragsschluß elektronisch erfolgt, schließt sich der physische Transport der Ware vom Unternehmer zum Käufer an. Es handelt sich nicht um ein durchgängig elektronisches Geschäft, welches auf einen physischen Warenaustausch verzichten kann.
Die Richtlinie 2002/38/EG ist auf den grenzüberschreitenden Versandhandel nicht anwendbar.
c. Harmonisierung der Umsatzsteuer durch die E-Commerce-Richtlinie
Das anwendbare Umsatzsteuerrecht könnte sich aus der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vom 08. Juni 2000 (2000/31/EG) „E-Commerce-Richtlinie“ ergeben
Gegenstand der Richtlinie ist die Weiterentwicklung der Dienste der Informationsgesellschaft, welche innerhalb der Europäischen Union aufgrund der nationalen Regelungen behindert war. Zu diesem Zweck normiert die E-Commerce-Richtlinie in Art 3 das „Herkunftslandsprinzip“. Nach dem Herkunftslandsprinzip ist für den Anbieter elektronischer Dienste grundsätzlich allein das nationale Recht maßgeblich, auch wenn er seine Leistungen im Wege des elektronischen Geschäftsverkehrs in einem anderen Mitgliedsstaat erbringt. Die Richtlinie soll verhindern, daß sich Anbieter von grenzüberschreitenden Leistungen mit allen nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten auseinandersetzen und sich an diese halten müssen.
Aus dem Herkunftslandsprinzip könnte man beim grenzüberschreitenden Versandhandel zwar ableiten, daß das Umsatzsteuerrecht am Sitz des Unternehmens maßgeblich ist. Doch findet die E-Commerce-Richtlinie nach Art. 22 Nr. 1 ausdrücklich keine Anwendung auf das Steuerwesen.
d. Zwischenergebnis
Die Rechtsquellen der Europäischen Union enthalten unmittelbar keine Regelungen, aus denen auf das anwendbare Umsatzsteuerrecht beim grenzüberschreitenden Versandhandel mit Waren geschlossen werden könnte.
III. Lösung über das deutsche Umsatzsteuerrecht
Da sich aus den europäischen Rechtsquellen nicht ergibt, welches Umsatzsteuerrecht anwendbar ist, soll der Fall aus nationaler Sicht am Beispiel des deutschen Umsatzsteuergesetzes beurteilt werden. Es wird zugrundegelegt, daß ein Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat im Wege des Versandhandels Waren an Endverbraucher mit Sitz in Deutschland verkauft.
1. Allgemeines
Nach § 1 (1) Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) unterliegen der – deutschen – Umsatzsteuer die Umsätze aus Lieferungen und Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.
Im Rahmen dieser Betrachtung wird unterstellt, daß der Versandhändler ein Unternehmer im Sinne des § 2 (1) 1 UStG ist. Der Versandhandel stellt eine Lieferung gegen Entgelt im Sinne des § 3 (1) UStG dar (s.o.).
2. Ort der Lieferung
Fraglich ist, ob umsatzsteuerlich der Ort der Lieferung im Inland (§ 1 (2) UStG) liegt.
a. Ort der Lieferung nach § 3c UStG
Der Ort der Lieferung könnte sich nach § 3c UStG bestimmen. Ort der Lieferung ist bei einer Versendung oder Beförderung von Gegenständen der Ort, an dem die Lieferung endet, wenn der Abnehmer eine Privatperson ist, § 3c (1), (2) Nr. 1 UStG.
Diese Regelung würde für eine Besteuerung des Umsatzes in Deutschland sprechen. Allerdings greift die Regelung nur, wenn der liefernde Unternehmer den Gegenstand befördert oder er den Auftrag zur Versendung erteilt hat (Bunjes/Geist/von Wallis, UStG, 6. Aufl., § 3c, RN 3).
Sofern der Kunde den Gegenstand abholt oder abholen läßt, richtet sich der Ort der Lieferung nicht nach § 3c (1) UStG, sondern nach § 3 (6) UStG (Bunjes/Geist/von Wallis aaO.). Dies gilt selbst dann, wenn der Unternehmer im Namen und für Rechnung des Kunden einen Dritten mit der Beförderung beauftragt, sofern ihn der Kunde hierzu bevollmächtigte (Bunjes/Geist/von Wallis aaO.). In diesem Fall ist nicht der Unternehmer sondern der Kunde Auftraggeber für die Beförderung.
b. Ort der Lieferung nach § 3 (6) UStG
Nach § 3 (6) 1 UStG gilt die Lieferung als dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand bei Übergabe an den Transportunternehmer befindet (Bunjes/Geist/von Wallis, § 3, RN 67).
Sofern die Übergabe der Waren an den Transportunternehmer in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erfolgt, ist deutsches Umsatzsteuerrecht nicht anwendbar; es findet allein eine Besteuerung des Umsatzes in dem anderen Mitgliedsstaat statt.
c. Zwischenergebnis
Ein Versandhändler kann durch Wahl seines Geschäftssitzes und des Ortes, an dem er die Ware an den Transportunternehmer übergibt, Einfluß auf die Höhe der Umsatzsteuer nehmen, sofern der Kunde den Transportunternehmer beauftragt und bezahlt. Über einen niedrigeren Umsatzsteuersatz kann sich der Versandhändler Preisvorteile gegenüber seinen Wettbewerbern verschaffen. Diesen Unterschied kann der Versandhändler über niedrigere Preise an die Kunden weitergeben oder die eigene Gewinnmarge erhöhen.
Beispielsweise beträgt die deutsche Umsatzsteuer auf Nahrungsmittel entweder 7% (ermäßigter Satz) oder 16% (normaler Satz). Die Umsatzsteuer in den Niederlanden beträgt demgegenüber einheitlich 6% oder in Österreich einheitlich 10%. Arzneimittel werden in Deutschland mit 16% besteuert, in Finnland beträgt der Steuersatz dagegen 8% und in den Niederlanden grundsätzlich sogar nur 6% (KOM (2001), 599, Anhang 2).
IV. Konsequenzen des § 42 AO
§ 42 AO sieht ein Verbot von mißbräuchlichen Gestaltungsmöglichkeiten vor. Rechtsfolge des § 42 AO ist, daß der Steueranspruch so entsteht, wie er ohne die mißbräuchliche Gestaltung entstanden wäre.
Sollte es sich um eine mißbräuchliche Gestaltung handeln, würde auf den Umsatz auch die deutsche Steuer entstehen.
Die „einfache“ Steuerumgehung oder Steuervermeidung ist weder verboten noch strafbar (BFH BStBl. 1983, 534); es steht jedermann frei, Steuern zu vermeiden und Gestaltungen zu wählen, die eine möglichst geringe Steuerbelastung nach sich ziehen (BVerfGE 9, 237 [249]; BFH BStBl. 1996, 214). Selbst das erkennbare Bestreben, Steuern zu sparen, macht eine rechtliche Gestaltung nicht unangemessen (BFH BStBl. 1998, 539); dies gilt selbst dann, wenn die Gestaltung allein aus einer steuerlichen Motivation gewählt worden ist (BFH BStBl. 1993, 253).
Erst die mißbräuchliche Gestaltung führt zu der Sanktion des § 42 AO (BFH BStBl. 1988, 942). Die Gestaltung ist unangemessen, wenn sie überhaupt keinem wirtschaftlichen Zweck dient oder wenn ein vernünftiger wirtschaftlicher Grund fehlt (BFH BStBl. 1991, 607). Maßgeblich ist, ob verständige Beteiligte die Gestaltung in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung gewählt hätten (BFH BStBl. 1992, 54).
Der BFH hat eine mißbräuchliche Gestaltung angenommen bei der „Vorschaltung „ eines Angehörigen in einem Anschaffungsvorgang (BFH BStBl. 1991, 607) oder bei der Beeinflussung von Stichtagswerten (Entnahme eines Wirtschaftsguts vor dem Bewertungsstichtag und erneute Einlage unmittelbar nach dem Stichtag), BFH BStBl. 1985, 494.
Diese Grundsätze indizieren für ein steueroptimiertes Versandmodell, daß eine zulässige Steuervermeidung vorliegt und nicht eine unzulässige Gestaltung. Dem Modell liegen vernünftige wirtschaftliche Gründe zugrunde, da der Versandhändler aufgrund der niedrigeren ausländischen Umsatzsteuer seine Kostenstruktur verbessern und die Kostenvorteile an die Kunden weitergeben oder die eigene Marge erhöhen kann.
V. Verbindliche Auskunft
Trotz der vorstehenden Indizien verbleibt eine Ungewißheit, wie die Steuerverwaltung die Frage der Umsatzsteuerpflicht bewertet. Diese Ungewißheit kann über eine verbindliche Zusage beseitigt werden. Eine verbindliche Zusage führt nach BdF BStBl. I 1987, 474; 1990, 146 zu einer Selbstbindung der Verwaltung.
Über den Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zusage wäre die Rechtsauffassung der Steuerverwaltung zu klären, nämlich ob sie von einer Besteuerung des Umsatzes in Deutschland oder in dem anderen Mitgliedsstaat ausgeht. Durch eine verbindliche Auskunft erhält der Versandhändler Rechtssicherheit und kann anhand der Auskunft eine verläßliche, wirtschaftliche Planung aufstellen.
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