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Anwendbarkeit deutschen Arzneimittelpreisrechts auf EU-ausländische Versandapotheken beim Arzneimittelversand an deutsche Endkunden

Anmerkung zu: Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 22.08.2012 - GmS - OGB 1/10 - Veröffentlicht in jurisPR-MedizinR 3/2013 Anm. 1

Leitsatz

Die deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis gelten auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben.


A. Problemstellung

Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hatte aufgrund des Vorlagebeschlusses des I. Zivilsenats des BGH vom 09.09.2010 (I ZR 72/08) darüber zu entscheiden, ob das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gelte.


B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beklagte betreibt eine Präsenzapotheke mit Sitz in den Niederlanden und eine Versandapotheke im Internet, über die sie in deutscher Sprache Medikamente unter Angabe ihrer deutschen Bezeichnung und der Pharmazentralnummer anbietet. Möchte der Kunde ein verschreibungspflichtiges Medikament erwerben, hat dieser der Beklagten das Originalrezept zuzusenden. Die Auslieferung an deutsche Endkunden erfolgt auf Kosten der Kunden durch ein Versandunternehmen.

Unter der Überschrift „Sparen Sie beim Medikamenteneinkauf“ warb die Beklagte im März 2006 gegenüber deutschen Krankenversicherten mit einem Bonussystem. Danach erhielt der Kunde bei verschreibungspflichtigen Medikamenten auf Kassenrezept einen Bonus von 3% des Warenwertes, mindestens 2,50 Euro und höchstens 15 Euro pro verordneter Packung. In einer Beispieltabelle stellte die Beklagte verschiedenen Arzneimittelpreisen die gesetzliche Zuzahlung nach § 61 SGB V (10%, mindestens aber 5 Euro und höchstens 10 Euro), den von ihr gewährten Bonus sowie den Einspareffekt in Prozent gegenüber. Die Verrechnung des Bonus erfolgte entweder direkt mit dem Rechnungsbetrag der Bestellung oder im Rahmen einer künftigen Bestellung, sofern der Bonus höher war als der zu zahlende Betrag.

Die Klägerin ist eine deutsche Apothekenbetreiberin. Sie machte gegen die Beklagte einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch aus den §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG; §§ 1, 3 AMPreisV geltend. Nach ihrer Auffassung verstoße das Bonussystem der Beklagten gegen die Vorschrift des § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG, da diese einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für apothekenpflichtige Arzneimittel vorsehe. Das deutsche Arzneimittelpreisrecht gelte auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel.

Nachdem in Nachfolge auf das Berufungsgericht auch der I. Zivilsenat des BGH diese Rechtsauffassung teilte und die eingelegte Revision der Beklagten zurückweisen wollte, sah er sich jedoch an einer solchen Entscheidung durch ein hiervon abweichendes Urteil des 1. Senats des BSG vom 28.07.2008 (B 1 KR 4/08 R), welcher sich im Ergebnis auch der 3. Senat des BSG (Urt. v. 17.12.2009 - B 3 KR 14/08 R) angeschlossen hat, gehindert (BGH, Beschl. v. 09.09.2010 - I ZR 72/08).

Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes bejahte nun die Anwendbarkeit der deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis auf verschreibungspflichtige Arzneimittel, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben.

Nach der Überzeugung des Gemeinsamen Senats unterwirft das deutsche Preisrecht die im Wege des Versandhandels durch eine Versandapotheke aus dem EU-Ausland an Endverbraucher in Deutschland erfolgende Abgabe der von § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG erfassten apothekenpflichtigen Arzneimittel der im deutschen Recht vorgesehenen Preisbindung. Dies folge aus den §§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 3 Abs. 1 AMPreisV i.V.m. § 78 AMG.

Die Vorschriften, die den einheitlichen Apothekenabgabepreis bestimmen, unterscheiden nicht nach der Abgabe durch eine öffentliche Apotheke im üblichen Apothekenbetrieb oder im Versand oder nach dem Sitz der Apotheke im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Sie sehen vielmehr nach näherer Maßgabe der Arzneimittelpreisverordnung für alle apothekenpflichtigen Arzneimittel, die nicht nach § 78 Abs. 2 Satz 3 AMG ausdrücklich ausgeschlossen sind, einen einheitlichen Apothekenabgabepreis vor, sofern die Abgabe – gleichgültig ob in einer inländischen öffentlichen Apotheke oder im Versand durch eine im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässige Apotheke – im Inland erfolge (vgl. Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung, 4. Aufl., § 17 Rn. 432 ff.; Spickhoff/Heßhaus, Medizinrecht, 2011, § 78 AMG Rn. 1; a.A. Diekmann/Idel, APR 2009, 93, 94).

Für dieses Ergebnis sprechen auch der Zweck und die Systematik der gesetzlichen Vorschriften über den einheitlichen Apothekenabgabepreis sowie ihre Entstehungsgeschichte.

Nach der Überzeugung des Gemeinsamen Senats steht die in Rede stehende Anwendung deutschen Arzneimittelpreisrechts auch nicht in Widerspruch zum primären Unionsrecht.

Ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit i.S.d. Art. 34 AEUV liege nicht vor.

Die Arzneimittelpreisvorschriften des deutschen Rechts seien, auch wenn sie auf den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland anwendbar sind, in Entsprechung der diesbezüglich einschlägigen Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 11.07.1974 - C-8/74 „Dassonville“) keine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne dieser Bestimmung. Vielmehr seien die deutschen Vorschriften über den einheitlichen Apothekenabgabepreis lediglich Verkaufsmodalitäten im Sinne der Rechtsprechung des EuGH.

Zudem wäre die Regelung, wonach deutsches Arzneimittelpreisrecht auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt, im Übrigen auch nach Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gerechtfertigt.

Der dem deutschen Gesetzgeber zuerkannte Wertungsspielraum (EuGH, Urt. v. 19.05.2009 - C-171/07, C-172/07 „Apothekerkammer u.a./Saarland“) sei nicht dadurch überschritten, dass er verschreibungspflichtige Arzneimittel im Interesse der sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung einer umfassenden Preisbildung unterstellt hat, um so der Gefahr eines ruinösen Preiswettbewerbs unter Apotheken entgegenzuwirken, eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung zu sichern und die Gefahr eines Fehl- oder Mehrgebrauchs von Medikamenten zu mindern (BT-Drs. 17/9341, S. 66). Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 11.12.2003 (C-322/01 „Deutscher Apothekerverband e.V./0800 DocMorris N.V. u.a.“).

Von einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV sah der gemeinsame Senat in der vorliegenden Sache ab.


C. Kontext der Entscheidung

Mit seiner Entscheidung unterzog der Gemeinsame Senat die zwischen dem I. Zivilsenat des BGH sowie dem 1. Senat des BSG streitgegenständliche Frage der Anwendbarkeit deutschen Arzneimittelpreisrechts auf EU-ausländische Versandapotheken, welche Arzneimittel an deutsche Endkunden versenden, einer grundsätzlichen Klärung. Im Ergebnis entsprach der Gemeinsame Senat damit der Rechtsauffassung des I. Zivilsenat des BGH. Dieser wollte das deutsche Preisrecht bereits im Jahre 2009 auch auf EU-ausländische Versandhandelsapotheken anwenden, sofern diese Endkunden in Deutschland versorgen.

Ferner entspricht der Gemeinsame Senat mit seiner Entscheidung dem Vorgehen des Gesetzgebers, welcher bereits im Wege des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (AMGuaÄndG v. 19.10.2012, BGBl I 2012, 2192) über eine Ergänzung des § 78 Abs. 1 AMG um Satz 4 die territoriale Ausweitung des deutschen Arzneimittelpreisrechts normiert hatte.


D. Auswirkungen für die Praxis

Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe mehr darzustellen vermag als nur eine vorübergehende Klärung der ihm vorgelegten Frage. Insbesondere hinsichtlich der unionsrechtlichen Bedeutung der Fragestellung kann endgültige Rechtssicherheit nur durch eine Entscheidung des EuGH im Rahmen einer Vorlage nach Art. 267 AEUV erzielt werden. Aufgrund dessen wird die Prognose gewagt, dass die Frage der Anwendbarkeit der deutschen Arzneimittelpreisvorschriften auf Versandapotheken, welche ihren Sitz im EU-Ausland haben, nach wie vor ohne abschließende Antwort ist.

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