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BGH: Fluggesellschaft muss bei Vogelschlag beim Start beweisen dass sie alle ihr möglichen Maßnahmen unternommen hat um eine Verspätung zu verhindern

a) Eine große Verspätung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück und befreit damit von der Verpflichtung zu einer Ausgleichsleistung, wenn sie durch dem Luftverkehrsunternehmen in der gegebenen Situation (hier: nach Startabbruch infolge Vogelschlags) mögliche und zumutbare Maßnahmen nicht vermieden werden konnte.
b) Das Luftverkehrsunternehmen muss Art, Umfang und zeitlichen Ablauf der konkreten Maßnahmen darlegen, die es nach dem Eintritt des Ereignisses getroffen hat, um den Flug so bald wie möglich durchzuführen.

BGH, Urteil vom 16. September 2014 - X ZR 102/13

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2014 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das am 24. Juli 2013 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen


Tatbestand:

Der Kläger verlangt aus eigenem und abgetretenem Recht die Leistung von Ausgleichszahlungen in Höhe von 1.200 € gemäß § 7 Abs. 1 Buchst. c, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/01 (ABl. EU L 46 vom 17. Februar 2004, S. 1; nachfolgend: Verordnung oder Fluggastrechteverordnung).

Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich und seine Lebensgefährtin einen Flug von Hamburg nach Hurghada (Ägypten). Das Flugzeug sollte am 31. Oktober 2011 um 6.20 Uhr in Hamburg starten. Der Start erfolgte mit einer Verspätung von etwa 40 Minuten. Während des Startvorgangs wurde beim Steigflug ein Triebwerk des Flugzeugs durch einen Vogelschwarm beschädigt; das Flugzeug musste in Hamburg notlanden. Die Passagiere wurden schließlich um 15.30 Uhr mit einem Ersatzflugzeug nach Hurghada befördert, wo sie etwa neun Stunden später als geplant ankamen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der er die geltend gemachten Ansprüche weiterverfolgt.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe kein Anspruch auf die begehrten Ausgleichszahlungen zu. Ein durch Vogelschlag verursachter Turbinenschaden, der den Abbruch des Starts oder die Notlandung des Flugzeugs erzwinge, könne außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung begründen. Vogelschlag wirke von außen auf den Flugverkehr ein und sei von dem Luftfahrtunternehmen nicht zu beherrschen. Die Beklagte habe noch ausreichend dargelegt, dass die von ihr ergriffenen Maßnahmen zunächst Untersuchung des Flugzeugs und schließlich Einsatz der Ersatzmaschine - geeignet gewesen seien, um die Verspätung möglichst gering zu halten.

II. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend und von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, dass ein durch Vogelschlag verursachter Turbinenschaden, der den Abbruch des Starts oder die Notlandung des Flugzeugs erzwingt, geeignet ist, außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung zu begründen, die einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung ausschließen können. Diese Frage hat der Senat bereits entschieden (BGH, Urteil vom 24. September 2013 X ZR 160/12, NJW 2014, 861 = RRa 2014, 25 mwN).

2. Ebenso zutreffend hat das Berufungsgericht auf die Verspätung bei Ankunft des Ersatzflugzeugs in Hurghada abgestellt und sich nicht gesondert mit der vierzigminütigen Abflugverspätung des beim Start beschädigten Flugzeugs auseinandergesetzt. Maßgeblich für den Anspruch auf Ausgleichszahlung ist der Umfang der eingetretenen Ankunftsverspätung (EuGH, Urteil vom 19. November 2009 C-402/07, Slg. 2009, I-10923 = NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 - Sturgeon/Condor, und Urteil vom 23. Oktober 2012 C-581/10, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 - Nelson/Lufthansa; BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 Xa ZR 95/06, NJW 2010, 2281 = RRa 2010, 93; Urteil vom 7. Mai 2013 X ZR 127/11, NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237), den das Berufungsgericht von den Parteien unbeanstandet mit neun Stunden festgestellt hat.

3. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht zudem angenommen, dass Gegebenheiten wie der in Rede stehende Vogelschlag nur dann außergewöhnliche Umstände, auf die die Annullierung oder große Verspätung zurückgeht, begründen, wenn das Luftverkehrsunternehmen trotz Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen die Annullierung oder große Verspätung nicht verhindern kann oder sie auch mit diesen Maßnahmen nicht hätte verhindern können (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia Rn. 22; BGHZ 194, 258 Rn. 11).

Zu Art und Umfang in Betracht kommender zumutbarer Maßnahmen hat sich der Senat in zwei Entscheidungen vom 12. Juni 2014 (X ZR 121/13, juris = MDR 2014, 1130 und X ZR 104/13, juris) geäußert. Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich danach nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia Rn. 40, 42; Urteil vom 12. Mai 2011 C294/10, NJW 2011, 2865 = RRa 2011, 125 Eglītis und Ratnieks/Air Baltic Rn. 30). Es kommt zum einen darauf an, welche Vorkehrungen ein Luftverkehrsunternehmen nach guter fachlicher Praxis treffen muss, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs geringfügige Beeinträchtigungen das Luftverkehrsunternehmen außer Stande setzen, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und den Flugplan im Wesentlichen einzuhalten. Zum anderen muss das Luftverkehrsunternehmen, wenn eine mehr als geringfügige Beeinträchtigung tatsächlich eintritt oder erkennbar einzutreten droht, alle ihm in dieser Situation zu Gebote stehenden Maßnahmen ergreifen, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass hieraus eine Annullierung oder große Verspätung resultiert. Hingegen begründet die Fluggastrechteverordnung keine Verpflichtung der Luftverkehrsunternehmen, ohne konkreten Anlass Vorkehrungen wie etwa das Vorhalten von Ersatzflugzeugen zu treffen, um den Folgen außergewöhnlicher Umstände begegnen zu können (im Einzelnen hierzu BGH, Urteil vom 12. Juni 2014 X ZR 121/13, juris Rn. 21 bis 25).

4. Zu Recht rügt die Revision jedoch, dass das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, die seine Annahme tragen könnten, die Beklagte habe das ihr in der gegebenen Situation Mögliche und Zumutbare unternommen, um die große Verspätung des vom Kläger gebuchten Flugs zu vermeiden.

a) Dem Berufungsurteil ist hierzu zu entnehmen, die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, dass nach der Notlandung durch eigens eingeflogene Techniker festgestellt worden sei, dass sowohl Reifen als auch Bremsen des Hauptfahrwerks sowie Teile des Triebwerks ausgewechselt werden mussten. Es sei gerichtsbekannt, dass hierfür eine aufwendige Untersuchung erforderlich sei. Ein Ersatzflugzeug habe die Beklagte in Hamburg nicht bereithalten müssen, und sie sei auch nicht gehalten gewesen, unverzüglich nach der Notlandung ein Flugzeug eines anderen Luftverkehrsunternehmens zu chartern. Die Entscheidung, eine geeignete Ersatzmaschine von einem anderen Flughafen nach Hamburg zu beordern, setze vorherige Ermittlungen zu den verfügbaren personellen und sachlichen Kapazitäten voraus. Dass eine frühere Beförderungsmöglichkeit bestanden habe, lasse sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen.

b) Dies erschöpft sich im Wesentlichen in abstrakten Erwägungen zu der Beklagten zumutbaren Maßnahmen und lässt nicht erkennen, welche konkreten Anstrengungen die Beklagte tatsächlich unternommen hat, um die Durchführung des infolge der Notlandung (weiter) verspäteten Flugs sicherzustellen. Die Feststellungen des Berufungsgerichts erlauben mithin nicht die Schlussfolgerung, dass die Beklagte alles ihr nach der Notlandung Mögliche und Zumutbare zur Abwendung der drohenden großen Verspätung getan hat.

Die dem Luftverkehrsunternehmen möglichen Maßnahmen stehen auch nicht zur Darlegungslast des Fluggastes. Vielmehr muss das Luftverkehrsunternehmen Art, Umfang und zeitlichen Ablauf der konkreten Maßnahmen darlegen, die es nach dem Eintritt des Ereignisses, das außergewöhnliche Umstände begründen kann, getroffen hat, um eine drohende große Verspätung des Flugs zu vermeiden. Nur dann kann der Fluggast hierzu Stellung nehmen und das Gericht beurteilen, ob das Luftverkehrsunternehmen die im Einzelfall gebotenen Maßnahmen getroffen hat.

III. Das Berufungsurteil ist hiernach aufzuheben, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.

Bei zutreffender Beurteilung hätte das Berufungsgericht die Beklagte gemäß § 139 Abs. 1 ZPO auf den unzureichenden Sachvortrag hinweisen und ihr Gelegenheit zu ergänzenden Ausführungen geben müssen. Hierzu besteht nach Zurückverweisung der Sache im wiedereröffneten Verfahren Gelegenheit.

IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Die Beklagte hat mit der Revisionserwiderung vorsorglich geltend gemacht, sie hätte auf einen Hinweis des Berufungsgerichts vorgetragen, sie habe sich unmittelbar nach der erneuten Landung gegen 8 Uhr im Hinblick auf die durchzuführende aufwendige Untersuchung um ein Ersatzflugzeug bemüht und wegen des Charterns eines Ersatzflugzeugs erfolglos bei mehreren Luftverkehrsunternehmen sowie Brokern angefragt. Sie habe daraufhin um 9.16 Uhr entschieden, ihr nächstes verfügbares eigenes Flugzeug nach Hamburg zu beordern, das um 10.37 Uhr aus Brasilien kommend in Frankfurt am Main gelandet sei. Dieses Flugzeug sei nach Abruf einer Crew aus der Personalreserve und Vorbereitung für den Weiterflug um 13.30 Uhr in Frankfurt abgeflogen und um 14.32 Uhr in Hamburg gelandet.

Mit einem entsprechenden Vortrag hätte die Beklagte ausreichend dargelegt, welche Maßnahmen sie in der konkreten Situation ergriffen hat. Sollte das Berufungsgericht entsprechende Feststellungen treffen, erscheint ausgeschlossen, dass es der Beklagten möglich gewesen wäre, mit zumutbaren Maßnahmen eine große Verspätung des Flugs abzuwenden. Dabei wird keiner Erörterung bedürfen, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass das Flugzeug bereits vor dem Vogelschlag mit einer Verspätung von 40 Minuten gestartet war. Denn nach den behaupteten Gesamtumständen hätte sich eine große Verspätung auch dann nicht vermeiden lassen, wenn die Zeitspanne von 40 Minuten von der unvermeidbaren Gesamtverzögerung in Abzug gebracht wird.

Vorinstanzen:
AG Rüsselsheim, Entscheidung vom 16.11.2012 - 3 C 1960/12 -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 24.07.2013 - 7 S 242/12 -