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LG Darmstadt: Fluggäste können von Fluglinien volle Ausgleichszahlung auch bei verspäteten Flügen verlangen

Landgericht Darmstadt, Aktenzeichen: 7 S 29/09
Verkündet am: 03.11.2010

War auch Ihr Flug mehr als drei Stunden verspätet oder wurde annulliert?
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Im Namen des Volkes

U R T E I L

In dem Rechtsstreit

...

Kläger und Berufungskläger

Prozessbevollmächtigte: DIEKMANN Rechtsanwälte, Ballindamm 35, 20095 Hamburg

gegen

Condor Flugdienst GmbH, gesetzlich vertreten durch die Geschäftsführer Ralf Teckentrup und Christoph Debus, Am Grünen Weg 1-3, 65451 Kelsterbach

Beklagte und Berufungsbeklagte

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte T & M Anwaltssozietät, An den Drei Hasen 31, 61440 Oberursel


hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt  durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Wellenreuther, die Richterin am Landgericht Pfannenschmidt und den Richter am Landgericht Jahn aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2010 für Recht erkannt:


Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 09.01.2009, Az: 3 C 1269/08, abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.066,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.09.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert für die erste Instanz wird auf 1.126,64 Euro und für das Berufungsverfahren auf 1.107,11 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.


G R Ü N D E

Der Kläger verlangt aus eigenem Recht und aufgrund der Abtretung durch seine Ehefrau von der beklagten Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung von je 600,00 Euro pro Person, insgesamt also 1.200,00 Euro nach Art. 7 VO (EG) 261/2004, weil der von ihm und seiner Ehefrau gebuchte Flug von Halifax nach Frankfurt am Main am 31.08.2008 nicht um 18.05 Uhr erfolgte, sondern am 01.09.2008 um 11.00 Uhr.

Ferner verlangt der Kläger den Ersatz von Hotel- und Verpflegungskosten in Halifax, Kosten für die Anmietung eines Wagens in Halifax und Verpflegungskosten bei der Rückkunft in Frankfurt am Main.

Der Kläger hat deshalb beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 1.126,64 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.09.2008 zu verurteilen.

Das Amtsgericht Rüsselsheim hat mit Urteil vom 09.01.2009 der Klage in Höhe von 19,53 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit den 27.09.2008 stattgegeben, im Übrigen die Klage abgewiesen.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt, das amtsgerichtliche Urteil ab-zuändern und die Beklagte zur Zahlung von weiteren 1.107,11 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.09.2008 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden, mithin zulässig.

In der Sache hat die Berufung auch überwiegend Erfolg.

Vorab wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff.1 ZPO) sind nicht ersichtlich.

Auf Grund dieser ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen und auch des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz ist die Klage bis auf die geltend gemachten Verpflegungskosten im Steigenberger-Hotel Frankfurt am Main begründet.


1.
Dem Kläger steht aus eigenem und abgetretenem Recht ein Anspruch auf Ausgleichsleistung in Höhe von jeweils 600,00 € für den verspätet durchgeführten Flug von Halifax nach Frankfurt am Main zu.

In seinem Urteil vom 19.11.2009 hat der Europäische Gerichtshof (Az: C-402/07 und C-432/07) entschieden:

„1. Art. 2 Buchst. I sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der— auch erheblichen — Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

2. Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d, h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

3. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände" im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind."

Mit Urteil vom 18.02.2010 (Az: Xa ZR 95/06) hat der Bundesgerichtshof daraufhin in dem von ihm dem EuGH vorgelegten Verfahren entschieden, dass die dortigen Kläger Ausgleichsansprüche nach der EG-VO Nr. 261/2004 geltend machen können. Bei einer großen Verspätung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 FluggastrechteVO stehe dem Fluggast wie bei einer Annullierung des Flugs ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 zu, sofern er sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreiche und die große Verspätung nicht auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn von dem Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Zwar habe eine Annullierung des Flugs im Sinne von Art. 5 der Verordnung nicht stattgefunden. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs könne ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt werde.

Wegen des wesentlich verspäteten Abflugs sei gleichwohl ein Anspruch auf die in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung gegeben.

Wenn die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für die Annahme einer von der Verordnung erfassten (großen) Verspätung vorliegen würden, stehe dem Fluggast, sofern auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausgleichsleistung erfüllt seien, der in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch zu, wenn er wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreiche. Dann würden die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Anforderungen für einen Ausgleichsanspruch wegen einer wie eine Annullierung zu behandelnden großer Verspätung vorliegen.

Der Bundesgerichtshof hat weiter ausgeführt, dass Zweifel an der Gültigkeit der Fluggastrechteverordnung nicht bestehen, nachdem der EuGH die Gültigkeit bei einer am Grundsatz der Gleichbehandlung (Vergleich der Situation von Fluggästen verspäteter Flüge mit der von Fluggästen annullierter Flüge) orientierten Auslegung ausdrücklich bejaht habe und auch von der Vereinbarkeit seiner Auslegung mit dem Montrealer Übereinkommen ausgegangen sei.

Ausgehend von diesen Grundsätzen schuldet die Beklagte dem Kläger deshalb eine Ausgleichsleistung von je 600,00 Euro.

Die Entfernung von Halifax nach Frankfurt am Main beträgt 5.250 km.

Die Beklagte hat keine ausreichenden Umstände vorgetragen, wonach die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 EG-VO).

Im Schriftsatz vom 06.09.2010, also zwei Tage vor dem Termin zur Berufungshauptver- handlung, hat die Beklagte Folgendes vorgetragen:

Ursache für die Verspätung des Fluges sei ein technischer Defekt der für den Umlauf vor- gesehenen Maschine gewesen. Aufgrund eines geplatzten Hydraulikschlauches zu einer der Bremsen des Hauptfahrwerkes in Anchorage hätten nach der Rückkehr in Frankfurt diverse Hydraulikfilterkontrollen durchgeführt werden müssen. Vier durch Hydraulikflüssigkeit kontaminierte Räder des linken Hauptfahrwerkes hätten gewechselt werden müssen. Schläuche würden grundsätzlich keiner Laufzeitbegrenzung unterliegen, sie würden statt- dessen „on condition" betrieben. Es würden weder behördlicherseits noch herstellerseits vorgeschriebene Wartungsintervalle existieren. Dennoch lasse die Beklagte diese Teile im Abstand von ca. 10 bis 12 Jahren während der jeweiligen Fahrwerksüberholung wechseln. Das Platzen eines Hydraulikschlauches sei als äußerst selten und ungewöhnlich einzustufen.

Dieser Vortrag ist nicht ausreichend, um einen außergewöhnlichen Umstand anzunehmen. Deshalb kann dahinstehen, ob er in der Berufung überhaupt noch zu berücksichtigen war, da er zwei Tage vor dem Termin zur Berufungshauptverhandlung gehalten und von dem Kläger in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 21.09.2010 bestritten wurde.

Technische Probleme, die zu einer Verspätung führen, stellen keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der EG-VO dar, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (vgl. dazu EuGH, a.a.O., Tz. 72; EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az: C-549107, Tz. 34).

Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung lässt zwar offen, ob zu „außergewöhnlichen Umständen" im Sinne der Verordnung auch „unvorhersehbare technische Probleme" des Fluggeräts zählen.

Die Frage wird daher in Rechtsprechung und Literatur kontrovers behandelt.

Nach einer Ansicht können technische Defekte grundsätzlich als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 angesehen werden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 27.05.2010, Az: 7 U 199/09, -juris-; LG Köln, Urteil vom 29.04.2008, Az: 11 S 176/07, abgedruckt in NJW-RR 2008, 1587; LG Berlin, Urteil vom 07.02.2008, Az: 57 S 26/07, abgedruckt in RRa 2008, 89; AG Köln, Urteil vom 05.04.2006, Az: 118 C 595/05, abgedruckt in RRa 2006, 275; AG Frankfurt a. M., Urteil vom 16.02.2007, Az: 30 C 1701/06, abgedruckt in RRa 2007, 137 mit zustimmender Anmerkung Tonner; Urteil vom 24.08.2006, Az: 31 C 1457/06-17, abgedruckt in RRa 2007, 133; Müller-Rostin, NZV 2007, 221 und NZV 2009, 430).

Zur Begründung wird angeführt, nicht haltbar sei die Behauptung, technische Mängel hätten - von Außenwirkungen abgesehen - ihre Ursache immer in mangelnder oder mangelhafter Wartung, Bedienungsfehlern oder Ähnlichem. Trotz Einhaltung der vorgeschriebenen Wartungsintervalle lasse es sich zuweilen. nicht verhindern, dass ein Einzelteil vor der nächsten fälligen Wartung defekt wird, z. B. wegen vorzeitiger Materialermüdung oder wegen übermäßiger Beanspruchung. Flugzeuge seien besonders komplexe technische Geräte, bei denen durchaus flug- oder sicherheitstechnisch bedeutsame Bauteile von plötzlichen oder unvorhersehbaren technischen Defekten betroffen sein könnten. Auch verbiete sich eine Heranziehung der englischen Begriffe, denn in Deutschland sei die deutsche Fassung der Verordnung maßgebend. Somit dürften zu „Flugsicherheitsmängeln" alle Mängel, insbesondere aber technische Mängel zu zählen sein, die sich negativ auf die sichere Durchführung des Fluges auswirken könnten. Es müsse jedoch ein „unerwarteter Flugsicherheitsmangel" sein, der zudem auch durch Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätte verhindert werden können (vgl. Müller-Rostin, a.a.O.)

Nach anderer Ansicht ist das zur Annullierung eines Fluges führende Vorliegen eines technischen Defekts nicht geeignet, den Entlastungsbeweis im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu führen (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.2009, Az: 22 S 215/08, abgedruckt in BeckRS 2009, 23735 = RRa 2009, S. 186 ff; AG Frankfurt a.M., Urteil vom 03.02.2010, Az: 29 C 2088/09, abgedruckt in BeckRS 2010, 11001; AG Köln, Urteil vom 10.03.2010, Az: 132 C 304/07, -juris-; Schmid, NJW 2006, 1841, 1844). Denn technische Probleme hätten - von Außeneinwirkungen wie Vogelschlag oder Hagel abgesehen - ihre Ursache immer in mangelnder, mangelhafter oder hinausgeschobener Wartung, in Bedienungsfehlern der Piloten oder Ähnlichem und lägen daher allein in der besonderen Risikosphäre eines Luftfahrtunternehmens. Insbesondere seien sicherheitsrelevante Bauteile oder Instrumente stets mehrfach an Bord, um sicherzustellen, dass das Flugzeug noch sicher fliegen könne, wenn eines davon einmal ausfällt (Redundanz). Ein „außergewöhnlicher Umstand" könne bei technischen Problemen aber auch aus einem anderen Grund nicht angenommen werden: Im Erwägungsgrund 14 der Verordnung finde sich eine Auflistung von „außergewöhnlichen Umständen", darunter auch die „unerwarteten Flugsicherheitsmängel" („unexpected flight safety shortcoming"). Dem gegenüber stehe die Lufttüchtigkeit („airworthiness") eines Flugzeugs. Dazu bestimme § 25 LuftB0, dass ein Flugzeug stets in einem solchen technischen Zustand sein müsse, dass es sicher fliegen kann. Nicht lufttüchtig sei ein Flugzeug immer dann, wenn technische Mängel aufträten, z. B. ein Reifen oder das Fahrwerk beschädigt sei oder ein Leck in der Treibstoffanlage auftrete oder ein Triebwerkschaden festgestellt werde. Wenn aber der Erwägungsgrund 14 der Verordnung nur auf „unerwartete Flugsicherheitsmängel" („unexpected flight safety shortcomings"), nicht aber auf die Lufttüchtigkeit abstelle, ergebe sich, dass dieser Begriff gerade nicht technische Mängel eines Flugzeugs erfasse (vgl. Schmid a.a.0, S. 1844, 1845 m. w. N.).

Die Kammer schließt sich im Grundsatz der letztgenannten Ansicht an.

Das Risiko, dass an dem Fluggerät selbst ein Defekt auftritt, fällt nämlich grundsätzlich in die betriebliche Sphäre der Beklagten. Die Beklagte hat im vorliegenden Fall keine Gründe vorgetragen, wonach dieses technische Problem seine Ursache in von der Beklagten nicht beherrschbaren Umständen hatte. Allein die Seltenheit eines derartigen Defekts und/oder der zeitliche bzw. logistische Aufwand zur Beseitigung dieses Mangels, vor dessen Behebung offenbar aus zwingenden Sicherheitsgründen nicht gestartet werden durfte, entlastet den Luftfrachtführer nach Art. 5 Abs. 3 der genannten EG-VO nicht.

Es geht dabei auch nicht um subjektive Vorwerfbarkeit oder gar Vermeidbarkeit des Defekts, sondern allein darum, dass sich hier das unternehmerische Risiko des Ausfalls eines „Arbeitsgeräts" realisiert hat. Sollte es sich um einen vom Flugzeughersteller zu vertretenden Konstruktionsfehler, Material- oder Fabrikationsfehler handeln, bestehen möglicherweise Rückgriffsansprüche der Beklagten diesem gegenüber, den für den konkreten Flug gebuchten Passagieren kann dies im hier entscheidungserheblichen Innenverhältnis nicht entgegengehalten werden. Der Begriff der „außergewöhnlichen Umstände" wird in der Verordnung selbst nicht definiert, sondern nur in Ziff. 14 der Erwägungsgründe mittels einer Aufzählung (politische lnstabilität, schlechte Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel und Streiks) präzisiert. Nach Auffassung des EuGH kann zwar auch ein technischer Defekt einen unerwarteten Flugsicherheitsmangel darstellen, weil ein solcher die Lufttüchtigkeit der Maschine beeinträchtigen kann. Im Zusammenhang mit einem solchen technischen Defekt kann sich die Fluggesellschaft jedoch nur dann auf außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der EG-VO berufen, wenn dieser nicht im Rahmen der normalen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens aufgetreten ist und von diesem auch nicht beherrschbar war (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az: C-549/07, Tz. 23; BGH, Urteil vom 12.11.2009, Az: Xa ZR 76/07). Dabei bemisst sich das Kriterium der Beherrschbarkeit insbesondere danach, ob der betreffende Vorgang unmittelbar in den betrieblichen Ablauf der Fluggesellschaft fällt. An ihr fehlt es, wenn der Fehler oder das Problem aus einer völlig anderen und deshalb von dem Unternehmen selbst nicht beherrschbaren Sphäre stammt (EuGH a.a.O., Tz. 26). Mithin ist die Beherrschbarkeit an die Verantwortung für den Vorgang zu knüpfen, weshalb es unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der fraglichen EG-VO maßgeblich darauf ankommt, in wessen Verantwortungsbereich dieser Vorgang fällt (so auch AG Frankfurt a.M., Urteil vom 03.02.2010, 29 C 2088/09, abge¬druckt in BeckRS 2010, 11001). Für das Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände" ist danach - unabhängig von der Kategorisierung als „technischer Defekt" oder „unerwarteter Sicherheitsmangel" - entscheidend, ob das zugrundeliegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis darstellt oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft völlig entzogen ist. Der hier von der Beklagten geschilderte technische Defekt am Fluggerät selbst fiel eindeutig in die betriebliche Sphäre der Beklagten und damit in ihren Einfluss- und Verantwortungsbereich.

Damit hat die Klage hinsichtlich der Hauptforderung in Höhe von 1.200,00 Euro Erfolg.

2.

Das Amtsgericht hat von den Hotel- und Verpflegungskosten, die in Halifax angefallen sind, die Hotelkosten in Höhe von 169,69 € rechtskräftig zugesprochen.

Soweit das Amtsgericht die Verpflegungskosten in Höhe von 75,11 € nicht zugesprochen hat, hat die Berufung des Klägers teilweise Erfolg. Das Amtsgericht hat zwar insoweit zu Recht beanstandet, dass der Kläger und seine ihn begleitende Ehefrau das Essen auf dem Zimmer eingenommen haben, was zu einer Erhöhung der Kosten geführt hat. Andererseits musste sich der Kläger und seine Ehefrau verpflegen, so dass die Kammer in Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils für die beiden Abendessen einen Betrag von jeweils 30,00 kanadischen Dollar im Wege der Schadensschätzung anerkannt hat (§ 287 ZPO) und für das am nächsten Morgen eingenommene Frühstück entsprechend der vorgelegten Rechnung einen Betrag von 33,00 kanadischen Dollar. Dies ergibt dann einen Gesamtbetrag von 93,00 kanadischen Dollar, umgerechnet 61,26 € für Verpflegungskos-ten.

3.

Die für die Fahrt vom Hotel in Halifax zum Flughafen aufgewandten Mietwagenkosten in Höhe von umgerechnet 49,84 € hat das Amtsgericht rechtskräftig zugesprochen.

4.
Soweit der Kläger Kosten geltend macht für Getränke, die er und/oder seine Ehefrau nach der Landung in Frankfurt am 02.09.2008 im Steigenberger Airport Hotel in Frankfurt ein- genommen haben, hat das Amtsgericht zutreffend einen Ersatzanspruch verneint. Die notwendigen Betreuungsleistungen wurden dem Kläger und seiner Ehefrau in Form von Essen und Unterkunft in Frankfurt am Main gewährt.

Damit kann der Kläger von der Beklagten insgesamt 1.480,79 € verlangen (Ausgleichs- leistungen 1.200,00€, Hotelkosten in Halifax 169,69€, Verpflegungskosten in Halifax 61,26 €, Mietwagenkosten in Halifax 49,84 €).

Abzüglich der vorprozessual von der Beklagten bereits gezahlten 395,00 € und abzüglich der bereits im amtsgerichtlichen Urteil erfolgten Verurteilung über 19,53€ ergibt sich somit eine weitere Forderung des Klägers über 1.066,26 €.

Der Kläger kann Verzugszinsen in der gesetzlichen Höhe ab 27.09.2008 verlangen.

Mit Schreiben vom 18.09.2008 hat der Kläger die Beklagte zur Zahlung mit Fristsetzung bis zum 26.09.2008 aufgefordert. Aufgrund dieser befristeten Mahnung ist die Beklagte mit Ablauf des 26.09.2008 in Verzug geraten (§§ 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 ent-sprechend BGB).

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Beldagte zu tragen, da die Zuviel-forderung des Klägers verhältnismäßig gering war und keine höheren Kosten verursacht hat (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung, aber mit Abwendungsbefugnis, ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO in Verbindung mit § 711 ZPO.

Die Bemessung des Gegenstandswertes folgt dem Umfang der Anfechtung des amtsge-richtlichen Urteils bzw. dem bezifferten Rechtsmittelantrag.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Wie oben dargestellt, wird die Frage der Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 EG-VO 261/2004 auf technische Defekte des Fluggerätes nicht einheitlich beantwortet.

Auf die gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 07.02.2008 eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung der Verordnung vorgelegt, nämlich zum Haftungsausschluss für eine Fluggesellschaft bei Flugannullierungen infolge eines technischen Defekts des Flugzeuges (BGH, EuGH-Vorlage vom 14.10.2008, Az: X ZR 35/08). Das Vorlageverfahren hat sich dann erledigt, weil die Revision beim Bundesgerichtshof vor einer Entscheidung des EuGH zurückgenommen wurde. Von daher sind die in dem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs vom 14.10.2008 gestellten Fragen bisher so noch nicht abschließend beantwortet worden.

Die Fragen des Bundesgerichtshofs im Vorlageersuchen vom 14.10.2008 haben sich auch nicht durch die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 22.12.2008, Az: C-549/07, das in einem anderen Vorlageverfahren ergangen ist, erledigt. So ist nach ,einer in der Literatur vertretenen Ansicht in der Entscheidung des EuGH nicht berücksichtigt worden, dass trotz vorgenommener vorschriftsmäßiger Wartung innerhalb des Zeitraums bis zum nächsten vorgeschriebenen Wartungsereignis ein technisches Problem auftreten kann, welches beispielsweise vom Kapitän bei der Überprüfung seiner Instrumente oder beim Rundgang um das Flugzeug vor dem nächsten Start entdeckt wird, sich also nicht „bei Wartungsarbeiten" gezeigt hat (vgl. dazu Müller-Rostin, NZV 2009, S. 430, 431) oder ein Defekt an einem Teil aufgetreten ist, das keiner Wartung unterliegt. Für den deutschen Rechtskreis sind diese Fragen so noch nicht durch den Bundesgerichtshof als dem zuständigen Revisionsgericht ent- schieden worden.