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OLG Köln: Apotheker haftet für grob fehlerhafte Medikamentenabgabe nach den Grundsätzen der Arzthaftung

Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Urteil vom 07.08.2013 (Az. 5 U 92/13) entschieden, dass ein Apotheker nach den Grundsätzen der Arzthaftung beweisen muss, dass ein Schaden nicht auf eine Fehlmedikation beruht, wenn dieser in grob fehlerhafter Art und Weise ein falsches Arzneimittel an einen Patienten abgegeben hat und nicht aufgeklärt werden kann, ob ein gesundheitlicher Schaden des Patienten auf die fehlerhafte Abgabe zurückzuführen ist.

Gründe:


I.

Der Kläger wurde am 2.6.2006  mit einem Down-Syndrom (freie Trisomie 21) und einem Herzfehler (Fallot'sche Tetralogie) geboren. Er wurde zunächst im Marienhospital Bonn und sodann in der Asklepios Klinik Sankt Augustin behandelt und am 6.7.2006 in die ambulante Therapie entlassen, wobei eine Herzoperation für den September 2006 geplant war. Die Asklepios Klinik übersandte dem Beklagten zu 1), der als niedergelassener Kinderkardiologe tätig ist, eine Medikamentenliste für die Behandlung des Klägers. Diese enthielt unter anderem das Medikament Lanitop, ein digitalishaltiges Präparat zur Stärkung der Herzfunktion, mit der auf dieses Medikament bezogenen Angabe "2 x 1 gtt", wobei mit "gtt" Tropfen gemeint sind.

Eine Mitarbeiterin des Beklagten zu 1) bereitete für die Mutter des Klägers noch am 6.7.2006 ein Rezept für den Kläger vor, das der Beklagte zu 1) auch unterschrieb. Dieses wies Namen und Geburtsdatum des Klägers aus und enthielt die Angabe insgesamt dreier Medikamente, darunter auch des Medikamentes Lanitop mit dem Zusatz "50 Tbl." (also Tabletten). Tabletten enthalten die gegenüber Tropfen achtfache Dosierung des Digitaliswirkstoffes und sind als Darreichungsform nur für Erwachsene und Heranwachsende vorgesehen. Die Mutter des Klägers löste das Rezept in der Apotheke des Beklagten zu 2) ein, dem die Situation des Klägers bekannt war und dem auch die Medikamentenliste der Asklepios Klinik vorlag. Seine Mitarbeiterin händigte ihr 50 Tabletten aus, wofür eine Packung, die es nur in der Größe von 100 Tabletten gab, geteilt werden musste. Sie empfahl der Mutter des Klägers, die Tabletten aufzulösen und dem Kläger einzuflößen.

Vom 6.7.2006 bis zum Abend des 9.7.2006 wurde dem Kläger jeweils morgens und abends eine aufgelöste Tablette des Medikamentes Lanitop verabreicht (insgesamt sieben Mal). In der Nacht vom 9. auf den 10.7.2006 traten bei dem Kläger Krämpfe, hohes Fieber und ein aufgeblähtes Abdomen auf. Er wurde notfallmäßig in die Asklepios Klinik Sankt Augustin aufgenommen. Dort kam es zu einem Herzstillstand mit nachfolgender Reanimation über einen Zeitraum von 50 Minuten mit Intubation, Herzdruckmassage und Defibrillation. Eine offene Bauch-Operation wegen akuten Abdomens ergab eine Entzündung weiter Teile des Dünndarms. Ein nekrotisierter Teil des Dünndarms musste entfernt und ein doppelläufiger Anus praeter angelegt werden, der nach einigen Wochen zurückverlegt werden konnte. Über eine Dauer von 11 Tagen war eine künstliche Beatmung erforderlich. Der angeborene Herzfehler wurde am 10.10.2006 operativ korrigiert. Wegen des weiteren Verlaufs der gesundheitlichen Entwicklung des Klägers wird auf die eingereichten Schriftsätze und die beigefügten Anlagen Bezug genommen.

Bei dem Kläger liegt ein erheblicher Entwicklungsrückstand vor, der im einzelnen Gegenstand von im Verlaufe des Rechtsstreits vorgelegten Berichten des Familienzentrums Kleinbüllesheim (Anlage K 34, Bl. 210 ff. d.A.) und der LVR-Klinik Bonn vom 13.3.2012 (Anlage K 37, Bl. 300 ff. d.A.) ist, ausweislich derer er insbesondere im Alter von fünf Jahren noch nicht in der Lage war, zu sprechen, zu laufen oder selbständig zu essen. Auch hierauf wird Bezug genommen.

Auf geltend gemachte Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen des Klägers haben die Beklagten bislang 5.000.- € gezahlt.

Der Kläger hat behauptet, er habe durch den erlittenen Herzstillstand als Folge der Digitalisintoxikation einen hypoxischen Hirnschaden erlitten, der für seinen Entwicklungsrückstand verantwortlich sei. Er hat die Auffassung vertreten, dass beide Beklagten für seine Schäden, insbesondere die Hirnschäden, einzustehen hätten, weil sie jeweils grob fehlerhaft gehandelt hätten. Soweit es Zweifel am Ursachenzusammenhang zwischen dem jeweiligen Fehlverhalten und den bei ihm vorliegenden Schäden gebe, gingen diese zu Lasten der Beklagten.

Er hat beantragt,

  1. die Beklagten zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 200.000.- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 5.1.2007 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 4.739,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
  2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen weiteren, derzeit nicht absehbaren immateriellen Folgeschaden zu ersetzen, der ihm durch das fehlerhafte Handeln der Beklagten am 6.7.2006 entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird,
  3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen weiteren, derzeit nicht absehbaren materiellen Folgeschaden zu ersetzen, der ihm durch das fehlerhafte Handeln der Beklagten am 6.7.2006 entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird, soweit er noch nicht beziffert werden kann und diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Beklagten haben beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

Sie haben bestritten, dass den Beklagten jeweils ein grober Fehler vorzuwerfen sei (dass das Verhalten beider Beklagter als einfacher Fehler anzusehen sei, haben sie nicht bestritten), vielmehr stelle sich das Verhalten beider als "Augenblicksversagen" dar. Für eine Beweislastumkehr sei insofern kein Raum, erst recht nicht hinsichtlich des Beklagten zu 2), auf den die für Ärzte entwickelten Grundsätze keine Anwendung fänden. Sie haben bestritten, dass dem Kläger über die unmittelbaren Folgen der Digitalisvergiftung hinaus ein Schaden entstanden sei, insbesondere sei trotz des Herzstillstandes nicht von einem hypoxischen Hirnschaden auszugehen, für den es keine zwingenden Hinweise gebe. Vielmehr seien der Zustand des klägerischen Gehirns und die darauf beruhende etwaige Entwicklungsverzögerung als Folge der Grunderkrankung des Klägers anzusehen.

Die Kammer hat nach sachverständiger Beratung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Kececioglu, einen Kinderkardiologen, der Klage hinsichtlich der begehrten Feststellungen uneingeschränkt stattgegeben, den Zahlungsanträgen daneben insoweit, als ein Schmerzensgeld (mit Rücksicht auf die vorgerichtlich gezahlten 5.000.- €) von 195.000.- € und vorprozessuale Kosten in Höhe von 2.513,28 € zuerkannt wurden. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass den Beklagten neben der Darmschädigung und seiner Behandlung, dem Herzkreislaufstillstand, den Wiederbelebungsmaßnahmen und der künstlichen Beatmung auch ein hypoxischer Hirnschaden des Klägers mit der dadurch verursachten motorischen und sprachlichen Entwicklungsverzögerung zuzurechnen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei es überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger im Zuge der 50-minütigen Wiederbelebungsmaßnahmen einen hypoxischen Hirnschaden erlitten habe. Dies ergebe sich aus einem für einen hypoxischen Schaden sprechenden MRT-Befund ebenso wie aus dem klinischen Bild. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit reiche für die Zurechnung aus, da es sich hierbei um einen Sekundärschaden handele - Primärschaden sei die Digitalisintoxikation als solche. Dass die anlagebedingten Vorschäden des Klägers ebenfalls zu seinem Entwicklungsrückstand mit beigetragen hätten, sei unschädlich, da jede Mitursächlichkeit zur Haftung führe. Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil vom 9.5.2012 Bezug genommen.

Hiergegen haben die Beklagten form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie weiter die Abweisung der Klage erstreben. Sie sind der Auffassung, das Gericht habe die Beweislastregeln verkannt. Es sei nicht § 287 ZPO anwendbar, vielmehr hätte es dem Kläger oblegen, hinsichtlich des Eintritts eines hypoxischen Hirnschadens den Vollbeweis des § 286 ZPO zu erbringen. Es entspreche allgemeiner Auffassung, dass der Schaden vom Kläger zu beweisen sei und zwar nach dem Beweismaß des § 286 ZPO. Insoweit sei nicht die Frage der Kausalität betroffen und gehe es schon gar nicht um die Frage haftungsausfüllender Kausalität, sondern um Fragen des Haftungsgrundes, nämlich des Eintritts eines konkreten Schadens. Das Gericht habe sich auch keineswegs nur auf die Feststellungen eines kardiologischen Sachverständigen stützen dürfen, denn die Frage, ob ein hypoxischer Hirnschaden eingetreten sei, falle in das Fachgebiet eines Neuropädiaters. Soweit wiederum von dem zu Unrecht unterstellten hypoxischen Hirnschaden auf die Entwicklungsstörung geschlossen werde, werde § 287 ZPO in doppelter Weise zu Lasten der Beklagten angewandt. Auch hätte die Kammer nicht ohne weitere Begutachtung zur Frage der künftigen Entwicklung des Klägers ein Schmerzensgeld in der erkannten Größenordnung, die ohnehin zu hoch sei, ausurteilen dürfen. Das Bestreiten eines jeweils groben Fehlers halten sie aufrecht. Ferner bestreiten sie eine erhebliche Entwicklungsverzögerung des Klägers.

Der Kläger, der die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft in erheblichem Maße sein erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens beider Seiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist unbegründet, soweit es die gesamtschuldnerische Haftung beider Beklagten dem Grunde nach betrifft. Zu klären bleibt noch der genaue Umfang des Schmerzensgeldesbetrages und davon abhängig auch der Umfang der Höhe der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Das hindert indes nicht den Erlass eines Grundurteils, soweit der bezifferte Schaden betroffen ist, und eines Teilurteils, soweit es um den Feststellungsausspruch geht, denn insoweit kann der weitere Prozessverlauf nicht zu Feststellungen führen, die in Widerspruch stehen mit der hier getroffenen Grund- und Teilentscheidung.
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1. Haftung des Beklagten zu 1)

Die Verurteilung des Beklagten zu 1) ist dem Grunde nach – sowohl aus dem Gesichtspunkt der schuldhaften Verletzung des Behandlungsvertrages als auch unter dem Gesichtspunkt deliktischer Haftung (§§ 280, 611, 823 BGB) - zu Recht erfolgt, denn der Beklagte zu 1) hat durch einen groben Behandlungsfehler die Gesundheit des Klägers in erheblichem Maße geschädigt und damit sowohl seine allgemein deliktischen als auch seine vertraglichen Pflichten verletzt. Soweit es um die vertragliche Haftung geht, mag dabei dahinstehen, ob ein unmittelbarer Behandlungsvertrag mit dem Kläger (vertreten durch seine Eltern) zustande gekommen ist oder ein echter Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) – sicherlich nicht ein Vertrag mit den Eltern des Klägers nur mit "Schutzwirkung" zugunsten des Klägers, wie es bei der Kammer anklingt, denn primäre vertragliche Pflicht war die Behandlung des Klägers. Für die Frage der haftungsrechtlichen Folgen kommt es darauf nicht an.

a)

Dass der Beklagte zu 1), indem er dem Kläger ein Rezept ausgestellt hat, das das digitalishaltige Medikament Lanitop in einer für den Kläger falschen Darreichungsform (Tabletten anstatt Tropfen) und vor allem in einer achtfachen Überdosierung enthielt, die von einem Kinderarzt zu fordernde ärztliche Sorgfalt verletzt hat, mithin ein Behandlungsfehler vorliegt, ist zwischen den Parteien nicht streitig und seitens des Beklagten zu 1) ausdrücklich zugestanden (§ 288 ZPO). So hat der Beklagte zu 1) etwa in der Klageerwiderung ausdrücklich eingeräumt, dass ihm ein Behandlungsfehler zur Last falle (Bl. 73 d.A.) oder im Schriftsatz vom 7.2.2012 vortragen lassen (dort Bl. 264 d.A.), es stehe außer Frage, dass ihm im Hinblick auf die Überdosierung ein Vorwurf zu machen sei. Er hat ferner wörtlich im Rahmen der mündlichen Anhörung durch die Kammer von einem "Versehen" gesprochen. Bestritten hat er nur die Einordnung dieses Fehlers als grob. Das aber hat nur Bedeutung für die Frage der Schadensursächlichkeit, nicht für die Frage des Behandlungsfehlers als Ausgangspunkt der Haftung.

b)

Der Kläger hat in der Folge dieses Fehlers schwere gesundheitliche Schäden erlitten. Für die Darlegung und den Nachweis eines gesundheitlichen Schadens ist, wie zwischen den Parteien nicht umstritten ist und wie es einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur entspricht, grundsätzlich und ausnahmslos der klagende Patient zuständig (etwa BGH, Urt. v. 1.10.1985, VersR 1986, 183; Urt. v. 7.2.2012, BGHZ 192, 298 ff.). Eine Schädigung liegt vor, wenn sich der gesundheitliche Zustand des Patienten nach der Behandlung schlechter darstellt als vor der Behandlung, bzw., wenn der aufgrund einer lege-artis-Behandlung sicher eingetretene Heilungserfolg (den der Arzt indes nicht etwa als solcher schuldet) ausbleibt. Dies gilt auch für Patienten, die – gemessen an einem nach objektiv medizinischen Gesichtspunkten gesunden Menschen – durch eine Grunderkrankung oder, wie hier, durch angeborene, genetisch bedingte Behinderung gesundheitlich vorgeschädigt sind. Auch hier muss eine objektive Schlechterstellung gegenüber einem Verlauf ohne schädigende Handlung vorliegen. Kann ein Schaden nicht sicher festgestellt werden, geht dies zu Lasten des Patienten.

Davon zu trennen ist jedoch die Frage, ob eine festgestellte Verschlechterung (bzw. ausgebliebene Verbesserung, die bei ordnungsgemäßem Handeln sicher hätte eintreten müssen) des Gesundheitszustandes Folge des schädigenden Verhaltens oder Folge der Grunderkrankung ist. Ist beides denkbar, liegt die Beweislast bei dem, der die Kausalität zu beweisen hat, denn es handelt sich um eine Frage der Kausalität. Um eine Kausalitätsfrage handelt es sich auch dann, wenn sich zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses noch keine schadensbedingte Folge äußerlich zeigt oder hinreichend sicher feststellen lässt, im weiteren Verlauf sich dann aber ein Schadensbild manifestiert, dessen Ursache sowohl die Grunderkrankung bzw. die Grundbehinderung sein kann als auch das schädigende Ereignis. Es liegt dann nicht bei dem geschädigten Patienten, den (negativen) Beweis zu erbringen, dass der objektiv vorliegende Schaden sich nicht als Fortentwicklung seines Grundleidens darstellt, sofern ihm nicht ohnehin die Beweislast für die Kausalität obliegt. Wäre dies anders, würden die Grundsätze der Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität (etwa bei groben Behandlungsfehlern) in zahllosen Fällen leer laufen.

Der Kläger hat durch die Verabreichung des Medikamentes Lanitop unterschiedliche Schäden erlitten, die teilweise streitig sind, teilweise nicht. Auch die Beklagten bestreiten nicht, dass der damals fünf Wochen alte Kläger durch die achtfache Überdosierung mit dem Medikament "Lanitop" erhebliche unmittelbare gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten hat, nämlich Krämpfe, Schmerzen, hohes Fieber, Erbrechen sowie schließlich einen Herzstillstand mit einer über 50 Minuten andauernden Reanimation. Ebenfalls ist unstreitig, dass die Intoxikation ganz beträchtliche Folgen im Hinblick auf den Dünndarm mit sich brachte, nämlich eine unzureichende Blutversorgung mit Nekrotisierung, das Krankheitsbild eines akuten Abdomens und eine offene Bauchoperation mit Teilentfernung des Dünndarms und temporärer Anlage eines Anus praeter. Weitere unstreitige Folge der Intoxikation war eine Sepsis.

Von den Beklagten bestritten ist eine hypoxische Hirnschädigung des Klägers als Folge des Herzstillstandes und der langen Zeit bis zur endgültigen Reanimation des Klägers. Dass der Kläger eine organische Hirnschädigung aufweist, wird als solches nicht (jedenfalls nicht hinreichend) bestritten. Die Frage, ob es sich bei der Hirnschädigung um eine "hypoxische" handelt, ist indes eine Frage der Kausalität, nicht eine des Schadens. Die Beklagten heben im Rahmen der Berufungsbegründung ausschließlich darauf ab, dass die Kammer zu Unrecht von einem hypoxischen Hirnschaden ausgegangen sei. Dass sich bei der MRT-Untersuchung des Klägers (Befundbericht der Jancker Klinik Bonn vom 23.8.2011, Bl. 208 d.A.) im Gehirn Vernarbungen (Gliosen) gezeigt haben, die ihrerseits mit einer hypoxischen Schädigung gut vereinbar, wenn auch nicht beweisend sind, bestreiten sie nicht. Sie können auch nicht bestreiten, dass in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Intoxikation des Klägers sich bei ihm eine ausgeprägte Microcephalie entwickelt hat (bei einem bis dato gerade für ein Downkind eher überdurchschnittlichen Kopfumfang) und dass sich die EEG-Werte nach dem Zwischenfall als hochgradig pathologisch darstellten (all dies ergibt sich aus dem aus Sicht des Senates jenseits aller Zweifel stehenden Gutachten des Prof. Dr. Schulte, dessen hohes Maß an Kompetenz, Seriosität und Neutralität dem Senat seit vielen Jahren bekannt ist). Gleiches gilt für das seitens des Privatsachverständigen Prof. Dr. Schulte als sicher angenommene neurologische Durchgangssyndrom. All dies sind eindeutige Belege für eine organische Hirnschädigung, mögen es auch keine hinreichenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Belege für das Vorliegen eines sauerstoffmangelbedingten Hirnschadens sein.

Dass eine erhebliche Hirnschädigung bei dem Kläger vorliegt (unabhängig von deren Ursache), belegt schließlich die bei dem Kläger festgestellte deutliche Entwicklungsverzögerung. Sie ergibt sich zum einen überaus anschaulich und detailliert aus dem Entwicklungsbericht des städtischen Familienzentrums Kleinbüllesheim (Anlage K 34 zum Schriftsatz vom 3.10.2011, Bl. 210). Danach ist hinsichtlich aller denkbaren Kriterien eine deutliche bzw. schwere Entwicklungsverzögerung festzustellen. Nur beispielhaft sei hier erwähnt, dass der Kläger danach mit fünf Jahren weder laufen noch Sprechen noch selbständig Nahrung zu sich nehmen konnte. Es handelt sich dabei, wie sich aus dem Bericht ebenso wie aus der seitens des Klägers vorgelegten Literatur ergibt, um einen Entwicklungsstand, der weit hinter dem eines durchschnittlichen gleichaltrigen Kindes, und auch weit hinter dem eines gleichaltrigen durchschnittlichen Kindes mit Down-Syndrom liegt. Die Entwicklungsstörung ergibt sich zum anderen aus dem Arztbericht des Kinderneurologischen Zentrums der LVR-Klinik Bonn vom 13.3.2012 (Anlage K 37 vom 26.3.2012, Bl. 300 ff. d.A.), in dem Chefarzt Dr. Hollmann zusammenfassend von "schwersten Entwicklungsstörungen" berichtet. Schließlich hat der gerichtliche Sachverständige, Prof. Dr. Kececioglu, im Rahmen seiner mündlichen Erläuterung des Gutachtens ausgeführt, dass der Kläger gemessen an der durchschnittlichen Entwicklung eines Kindes mit Down-Syndrom eine in etwa verdoppelte Entwicklungszeit aufweise, der Rückstand des Klägers somit "beachtlich" sei.

Der Senat geht aufgrund der vorliegenden Berichte und deren sachverständiger Bewertung von einer klaren und eindeutigen Entwicklungsstörung aus. Den Inhalt der Berichte bestreiten die Beklagten auch nicht mit Substanz. Das bloße Bestreiten mit Nichtwissen genügt nicht, um deren Inhalt in ernstliche Zweifel zu ziehen. Auch der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 14.6.2013 stellt kein beachtliches Bestreiten einer signifikanten Entwicklungsverzögerung dar. Soweit die Beklagten, die sich eine ungewöhnlich lange Frist zur Stellungnahme zum gerichtlichen Vergleichsvorschlag vor dem Hintergrund der Einholung weiterer ärztlicher Erkundigungen erbeten und sie entsprechend erhalten haben, nunmehr allein den aus dem Internet erlangten Brief der Mutter des Klägers an seine Physiotherapeutin vorlegen können, in dem diese sich erfreut und glücklich zeigt, dass ihr Kind nunmehr (im Alter von 6 Jahren!) die ersten Schritte getan hat, um zu bestreiten, dass tatsächlich eine nennenswerte Entwicklungsverzögerung vorliege, erscheint dem Senat dies (ebenso wie den Vertretern des Klägers) als schlicht befremdlich, jedenfalls aber nicht als tauglichen Einwand gegen den Inhalt der detaillierten Berichte, eher als deren Bestätigung.

c)

Der Beklagte zu 1) kann nicht beweisen, dass die festgestellten Schäden nicht auf dem von ihm zu verantwortenden Behandlungsfehler beruhen. Die Beweislast trifft jedoch ihn, denn der Behandlungsfehler ist als grober Behandlungsfehler einzustufen, und die daraus resultierende Beweislastumkehr erfasst die hier in Rede stehenden Schäden. Nach allgemeiner Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, die auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen wird, trifft den Behandler bei einem groben Behandlungsfehler das Risiko der Unaufklärbarkeit des Kausalzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und Primärschaden, wenn der Fehler aus objektiver medizinischer Sicht geeignet war, den Schaden herbeizuführen, es sei denn, der Kausalzusammenhang ist im konkreten Fall als äußerst unwahrscheinlich anzusehen (statt vieler: BGH Urteil vom 27.4.2004, BGHZ 159, 48 ff., 53).

aa)

Der Fehler des Beklagten zu 1) ist als grober Fehler anzusehen. Grob ist ein Fehler, wenn der Behandler einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte Behandlungsgrundsätze begangen hat, und dieser Verstoß aus objektiver medizinischer Sicht nicht mehr als verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Die Wertung als grob ist dabei originär richterliche Aufgabe, muss allerdings auf der Grundlage sachverständiger Erkenntnisse getroffen sein (BGH, Urt. v. 25.11.2003, NJW 2004, 1452)

Der Sachverständige Prof. Dr. Kececioglu hat als zum Beklagten zu 1) fachgleicher Gutachter die Fehlmedikation als groben Behandlungsfehler bezeichnet. Diese klipp und klar (und in Kenntnis der Elemente der Definition eines groben Fehlers) getroffene Aussage ist erfolgt, nachdem der Sachverständige die Wirkungen des Medikamentes und die Auswirkungen einer Überdosierung ausführlich erläutert hat. Dass es sich danach bei der Verabreichung einer achtfachen Digitalis-Dosis gegenüber der medizinisch indizierten um einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte Behandlungsregeln handelt, ist nicht weiter diskussionswürdig. Es handelt sich aber auch um einen Verstoß, der objektiv (!) unverständlich ist und der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Da es hier um einen objektiven medizinischen Maßstab geht, verbietet sich eine Parallele zu den Grundsätzen, die bei grober Fahrlässigkeit Anwendung finden. Insofern ist der Einwand des Beklagten zu 1) nicht beachtlich, dass es sich bei seinem Fehlverhalten um ein typisches "Augenblicksversagen" (unkritisches Unterschreiben eines von der Hilfskraft vorbereiteten Rezeptes) gehandelt habe. Entscheidend ist, dass es um die Verordnung eines hoch gefährlichen Medikamentes geht, bei dem alle damit Befassten ein Höchstmaß an Sorgfalt obwalten lassen müssen. Wer prinzipiell lebensgefährliche Medikamente verschreibt, muss sich der Bedeutung dieses Tuns bewusst sein und seine volle Aufmerksamkeit hierauf konzentrieren (was dem Arzt auch nicht aus medizinisch nachvollziehbaren Gründen erschwert wäre). Weder der für den niedergelassenen Arzt typische Praxis-Stress noch Ablenkung oder Routine können ein solches Versehen entschuldigen. Gerade bei einem solchen Medikament darf dergleichen "schlechterdings nicht unterlaufen", anders ausgedrückt: in solchen Momenten darf der Arzt nicht versagen.

bb)

Der Behandlungsfehler war auch grundsätzlich geeignet, die unter b) aufgeführten Schäden des Klägers einschließlich eines hypoxischen Hirnschadens herbeizuführen. Um dem Behandler bei Vorliegen eines groben Fehlers die Beweislast für die Kausalität zwischen Handlung und Primärschaden aufzuerlegen, genügt die generelle Eignung des Behandlungsfehlers, den eingetretenen Schaden zumindest mitverursacht zu haben, es sei denn, die (Mit-)Ursächlichkeit sei trotz genereller Eignung gänzlich unwahrscheinlich (BGH in std. Rechtsprechung, etwa Urt. v. 16.11.2004 – NJW 2005, 427 m.w.N.). Bei den hier zugrunde zu legenden Primärschäden ist davon auszugehen, dass die Digitalisintoxikation generell geeignet war, sie zu bewirken, und dass dies im konkreten Fall auch keineswegs gänzlich unwahrscheinlich ist.

Im Hinblick auf die ohnehin nur am Rande interessierenden primären Folgen der Vergiftung wie Krämpfe, Schmerzen, hohes Fieber, Erbrechen sowie Herzstillstand besteht zwischen den Parteien über die Kausalzusammenhänge kein Streit. Hinsichtlich der Nekrotisierung des Dünndarms geht der Senat ebenfalls davon aus, dass der Zusammenhang mit der Intoxikation nicht streitig ist (streitig ist allenfalls, ob die notwendige Darmteilresektion Folgen für das künftige Leben des Klägers haben kann, was allerdings nur Bedeutung hat für die Beurteilung haftungsausfüllender Kausalität für spätere Schäden). Er ergäbe sich im übrigen auch hinreichend sicher aus den vorliegenden Gutachten, und zwar sowohl aus dem gerichtlichen als auch den privat eingeholten Gutachten beider Seiten. Dass die Digitalisvergiftung zumindest generell geeignet war, eine Dünndarmnekrose zu bewirken, und dies eine keineswegs gänzlich unwahrscheinliche Folge, steht außer Zweifel, ergibt sich auch unter anderem mit überzeugender Klarheit aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Kececioglu.

Es steht ferner für den Senat fest, dass die hier eindeutig im Vordergrund stehenden Hirnschäden des Klägers eine in diesem Sinne mögliche und nicht gänzlich unwahrscheinliche Folge der Digitalisvergiftung bzw. des daraus resultierenden Herzstillstandes mit einer wiederum daraus resultierenden Sauerstoffunterversorgung des Gehirns sind. Der Herzstillstand des Klägers und die Reanimationsbemühungen dauerten 50 Minuten an. Dass dies zu einer ganz erheblichen Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff und damit zu gravierenden Schäden des Gehirns führen kann, hält der Senat schon für allgemein bekannt. Jedenfalls aber ist es gerichtsbekannt, denn der Senat, der seit vielen Jahren schwerpunktmäßig Arzthaftungsfälle bearbeitet, ist bereits mit zahlreichen Fällen von Sauerstoffunterversorgung von Patienten, insbesondere auch von Neugeborenen und Kleinkindern konfrontiert worden, bei denen die Auswirkungen eines Herzstillstandes auf das Gehirn von entscheidender Bedeutung waren. Von daher ist dem Senat bekannt, dass bereits eine sehr kurzzeitige Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr für das kindliche Gehirn beträchtliche negative Auswirkungen haben kann. Auf diese zumindest möglichen Folgen weisen aber vor allem in völliger Eindeutigkeit die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ebenso hin wie diejenigen des neuropädiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Schulte und nicht zuletzt auch diejenigen des Sachverständigen der Beklagten, Prof. Dr. Schneeweiß, der eine dauerhafte Hirnschädigung des Klägers zwar für eher unwahrscheinlich hält, aber damit keineswegs ausschließt, während die beiden anderen Gutachter eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines hypoxischen Hirnschadens annehmen. So hat der gerichtliche Sachverständige ausgeführt, dass schon bei einer Reanimationszeit von fünf Minuten die Besorgnis einer Unterversorgung der Durchblutung des Gehirns und des Sauerstoffmangels bestehe und mit Hirnschäden zu rechnen sei. Eine Zeitdauer von 50 Minuten sei als sehr lang anzusehen und die Erwartung eines hypoxischen Hirnschadens damit entsprechend größer. Er hat sich dabei auch durch den MRT-Befund der Jancker-Klinik bestätigt gesehen, der Vernarbungen ausweist, welche wiederum mit der Annahme eines frühkindlichen hypoxischen Hirnschadens vereinbar sind. Er hat ferner den deutlichen Entwicklungsrückstand des Klägers nicht auf den angeborenen Herzfehler des Klägers zurückführen wollen, sondern auf die Fehlmedikation (S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 4.4.2012, Bl. 305 d.A.), was wiederum voraussetzt, dass er einen hypoxischen Hirnschaden des Klägers zugrunde legt, wobei für den Senat von besonderer Bedeutung ist, dass dieser Sachverständige als Kinderkardiologe einen Zusammenhang zwischen angeborenem Herzfehler und Entwicklungsrückstand weitgehend ausschließt. Hinsichtlich der sehr eingehenden Ausführungen des (Privat-)-Sachverständigen Prof. Dr. Schulte nimmt der Senat Bezug auf das Gutachten vom 18.12.2007 (Anlage K 1 zur Klageschrift). Besonders herauszuheben sind dabei die Ausführungen, wonach der seinerzeit festgestellte EEG-Befund mit einem sog. Burst-Suppressionsmuster ein speziell für dieses Lebensalter sehr typischer Befund für eine durchgemachte zerebrale Hypoxie darstelle, ohne diese jedoch beweisen zu können (S. 15/16 der Anlage K 1).

Weiterer Beweiserhebung zu der Frage, ob der Behandlungsfehler generell geeignet war, einen hypoxischen Hirnschaden zu verursachen, bzw., ob ein solcher Kausalverlauf gänzlich unwahrscheinlich ist, bedarf es nicht. Wie oben dargelegt, ist diese Frage nicht streitig, jedenfalls aber nicht weiter beweisbedürftig und jedenfalls durch die vorliegenden Gutachten ausreichend geklärt. Die Beklagten haben nicht behauptet und können nicht behaupten, dass durch die lange Reanimationspflichtigkeit ein Hirnschaden nicht eingetreten sein kann. Insofern bedarf es daher auch weder einer weiteren fachradiologischen Begutachtung noch einer weiteren speziell neuropädiatrischen.

cc)

Es handelt sich auch um Primärschäden, für die die Umkehr der Beweislast gilt. Dies gilt für die unmittelbar aufgetretenen Folgen der Digitalisvergiftung, wie oben (vgl. b) und c) bb)) dargestellt, einschließlich der Nekrotisierung des Dünndarms, ohne dass dies noch weiterer Begründung bedarf. Es gilt aber auch im Hinblick auf den - möglicherweise hypoxisch verursachten – organischen Hirnschaden.

Die Feststellung, dass es sich hierbei um einen Primärschaden handelt, ist notwendig zu treffen. Die Annahme des Landgerichts, es genüge, dass sich die festzustellende Entwicklungsverzögerung als Sekundärschaden darstelle, für die das Beweismaß des § 287 ZPO gelte, und dass dieser sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Schadensereignis zurückführen lasse, ist so nicht zutreffend. Sie übersieht zum einen, dass von einem Sekundärschaden nur gesprochen und er dem Schädiger nur zugerechnet werden kann, wenn zwischen Behandlungsfehler, eingetretenem Primärschaden und daraus resultierendem Sekundärschaden eine ununterbrochene Kette feststellbar ist. Die bloße Feststellung, dass ein bestimmter Sekundärschaden "überwiegend wahrscheinlich" auf dem Fehler beruhe, genügt nicht (vgl. etwa BGH NJW 1988, 1948). Sie übersieht zum anderen, dass bestimmte Folgeschäden sich als typische Folge eines bestimmten Primärschadens darstellen können, was wiederum bedeutet, dass auch der Sekundärschaden an der Beweislastumkehr des Primärschadens teilnimmt (vgl. etwa BGH NJW 1978, 1683). In diesem Sinne kommt dem Vorliegen eines hypoxischen Hirnschadens mehrfache Bedeutung zu und kann diese Frage nicht offen bleiben.

Ein Primärschaden liegt vor bei dem "ersten Verletzungserfolg" (OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.5.2008, VersR 2009, 831; vgl. ferner BGH, Urt. v. 12.2.2008, NJW 2008, 1381). Was dabei als "erster" Verletzungserfolg anzusehen ist, kann nur anhand des konkreten Einzelfalls unter Beachtung einer natürlichen, nicht zu künstlicher Aufspaltung neigenden Betrachtungsweise entschieden werden. Setzt ein Behandlungsfehler etwa eine ganze Kette von Reaktionen im menschlichen Körper in Gang, so kann eine Abgrenzung zu einem Folgeschaden erst erfolgen, wenn die "Kettenreaktion" zum Stillstand gekommen ist. Im Fall des Klägers ist eine solche Kette von Reaktionen in Gang gesetzt worden. Das Einbringen von einer Überdosis Digitalis in den Körper hat einerseits zu Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Krämpfen, Temperaturanstieg usw. geführt, andererseits zu einer Minderdurchblutung des Darms, die unmittelbar zu dessen partiellem Absterben führte. Vor allem hat sie unmittelbar zu einem Herzstillstand geführt, was ebenfalls unmittelbar, das heißt ohne Zäsur und ohne jedes Dazwischentreten weiterer Ursachen, zu einer Störung der Sauerstoffzufuhr im Gehirn geführt hat. Danach ist es – so die aufgrund des groben Fehlers vorzunehmende Unterstellung – zu einer Schädigung des Gehirns durch Absterben von Hirnzellen gekommen. Dieser Vorgang kann nicht in einzelne Bestandteile aufgespalten, sondern nur einheitlich betrachtet werden. Er hat sich in zeitlicher Hinsicht in wenigen Stunden vollzogen, und er stellt sich als ein ununterbrochenes, kontinuierlich fortschreitendes Geschehen dar.

Auf die Frage, ob sich die Entwicklungsstörung ihrerseits als Primär- oder als Sekundärschädigung darstellt, kommt es demgegenüber an dieser Stelle nicht an. Wichtig ist hier nur, dass sie, sollte sie als Sekundärschaden aufzufassen sein, an einer Primärschädigung (hypoxischer Hirnschaden) anknüpft. Im übrigen könnte die Rechtsprechung des BGH (hier insbesondere Urteil vom 21.7.1998, NJW 1998, 3417) durchaus dafür sprechen, die Entwicklungsstörungen des Klägers nur als das äußere Erscheinungsbild (und damit als bloßes Symptom) der hypoxischen Hirnschädigung anzusehen und damit auch dies als Primärschaden aufzufassen. Diese Frage lässt der Senat allerdings derzeit unentschieden, da zu der Frage der Entwicklungsstörung zunächst weitere Tatsachengrundlagen geschaffen werden sollen.

d) Haftungsfolgen

Der Beklagte zu 1) ist aufgrund der feststehenden Schädigung und des nicht zu widerlegenden Kausalzusammenhangs zum Ersatz von materiellen Schäden verpflichtet. Diese sind bislang nicht beziffert, sondern Gegenstand des Feststellungsantrags. Da für diesen ausreicht, dass materielle Schäden in der Zukunft möglich sind, was hier sowohl hinsichtlich der Darmoperation als auch vor allem hinsichtlich des organischen Hirnschadens der Fall ist, ist er begründet und die Berufung schon deshalb ohne weiteres zurückzuweisen. Er ist auch nicht auf die Erstattung künftiger Schäden zu begrenzen, denn der Kläger ist nicht gehalten, bei einem noch nicht abgeschlossenen Schadensverlauf Vergangenheitsschäden zu beziffern.

Der Kläger hat ferner Anspruch auf Schmerzensgeld (§ 253 BGB). An der Bezifferung sieht sich der Senat derzeit noch gehindert. Maßgeblich für die Bemessung ist wegen der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs vor allem eine Prognose, wie sich der Schaden des Klägers in der Zukunft auswirken wird, welche Entwicklungsmöglichkeiten und welche Heilungschancen er hat. Maßgeblich für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist auch, welche Mindestbeeinträchtigungen er aufgrund seiner geburtsbedingten Schädigung in jedem Fall erlitten hätte, also ob und inwieweit sich die behandlungsfehlerbedingten Schäden von den behinderungsbedingten abgrenzen lassen. Dabei werden zwar Zweifel über das Ausmaß der durch den Behandlungsfehler verursachten Anteile am Hirnschaden des Klägers (Primärschaden) zu Lasten der Beklagten gehen und es wird damit der für den Kläger bestmögliche denkbare Ausgangspunkt hinsichtlich des Primärschadens zugrunde zu legen sein. Diesen allein anhand der vorliegenden Unterlagen und des bislang vorliegenden gerichtlichen Sachverständigengutachtens zuverlässig zu ermitteln, sieht sich der Senat außerstande. Dies gilt umso mehr, als – dies rügen die Beklagten zu Recht – bislang nur die gutachterliche Äußerung eines Sachverständigen vorliegt, der für die Beurteilung von Hirnschäden, insbesondere aber zur Beurteilung von anlagebedingten Vorschäden bei einem Kind mit Down-Syndrom, nicht hinreichend sachkompetent ist, worauf er selbst hingewiesen hat. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Begutachtung durch Prof. Dr. Schulte, dessen Qualifikation als Neuropädiater zwar nicht in Frage steht, der allerdings den Kläger zu einem Zeitpunkt begutachtet hat, in dem nach eigenem Bekunden eine verlässliche Aussage über die Frage des Ob und des Inwieweit der Schadensfolgen und des Anteils der Vorschädigung noch nicht möglich war. Insoweit soll – nach Rechtskraft dieser Entscheidung zum Haftungsgrund - ein neuropädiatrisches Gutachten eingeholt werden.

Der Senat sieht sich auch gehindert, schon jetzt einen Mindestbetrag auszuweisen. Zwar ist nach jetzigem Wissensstand davon auszugehen, dass die Schädigung des Klägers weit über das Maß eines durchschnittlich veranlagten Kindes mit Down-Syndrom hinausgeht, erst recht also weit über das Maß dessen hinausgeht, was bei einem für den Kläger günstigen Verlauf zu erwarten wäre. Sollte sich dies auch für die konkrete Situation des Klägers im Hinblick auf seine Vorschäden als nicht weiter aufklärbar darstellen, wäre die vom Kläger als Mindestbetrag begehrte, vom Landgericht zuerkannte und vom Kläger im Berufungsverfahren nicht weiter angegriffene Schmerzensgeldsumme nicht zu beanstanden, würde vielmehr auch vom Senat als (jedenfalls!) angemessen angesehen. Da der Senat aber zum Umfang des Anteils der Vorschäden und zu den Perspektiven des Klägers keine hinreichende Beurteilungsgrundlage hat, erscheint die Festlegung eines Mindestbetrages derzeit als untunlich.

Die Schäden, die nicht Hirnschäden sind, insbesondere die den Darm betreffenden Folgen, rechtfertigen im Übrigen bereits für sich genommen ein Schmerzensgeld, das über die durch die Beklagten bislang gezahlten 5.000.- € hinaus geht. Da diesen Beschwerden, ungeachtet ihrer Schwere, gegenüber der Hirnschädigung nur untergeordnete Bedeutung zukommen wird und die Bemessung des Schmerzensgeldes auf einer Gesamtbetrachtung beruht, ist auch insoweit eine Festlegung eines Mindestbetrages derzeit nicht tunlich.

2. Haftung des Beklagten zu 2)

Auch der Beklagte zu 2) ist dem Kläger – gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 1) zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verpflichtet. Auch er hat im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB schuldhaft seine vertraglichen Pflichten (aus dem Kaufvertrag über das Medikament, unabhängig davon, ob dieser originär, aber mit Schutzwirkung zugunsten des Klägers, mit den Eltern des Klägers, oder in deren Vertretung mit ihm selbst zustande gekommen sein sollte), verletzt und zugleich eine rechtswidrige Körperverletzung des Klägers begangen. Kausalitätszweifel gehen, wie bei dem Beklagten zu 1), zu Lasten des Beklagten zu 2).

a)

Den Beklagten zu 2) ebenso wie seine Angestellten, für deren Verschulden er nach §§ 278, 831 BGB einzustehen hat, traf die Pflicht, die Abgabe des Medikamentes Lanitop an die Eltern des Klägers zu unterlassen bzw. zu verhindern, jedenfalls aber die Eltern des Klägers auf die Fehlmedikation durch den Beklagten zu 1) hinzuweisen, und vor dem Gebrauch des Medikamentes zu warnen, ggf. den Verkauf bis zur Klärung der Angelegenheit (Rückfrage beim Beklagten zu 1)) zu verweigern. Schon einen normalen Verkäufer treffen vertraglich wie deliktisch allgemeine Warn- und Hinweispflichten im Hinblick auf die mit dem Kaufgegenstand einhergehenden Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit des Käufers. Einen Apotheker treffen darüber hinaus auch berufsrechtlich Beratungspflichten hinsichtlich der von ihm abgegebenen Medikamente, die über die allgemeinen vertraglichen Warn- und Hinweispflichten eines Verkäufers hinausgehen. Jedem Apotheker und jedem Angestellten einer Apotheke muss bekannt sein, ob ein gefährliches Herzmedikament in einer bestimmten Darreichungsform für Erwachsene oder für Kleinkinder und Säuglinge bestimmt ist. Ein blindes Vertrauen auf die Verordnung des Arztes darf es nicht geben, denn auch ein Arzt und sein Personal können irren bzw. ihnen kann ein folgenschweres Versehen unterlaufen. Der Apotheker muss sich vielmehr eigene Gedanken über die Richtigkeit und Sinnhaftigkeit der Verordnung machen. Im Zweifel muss der Apotheker beim Arzt nachfragen, und die Angestellte des Apothekers muss entweder beim Arzt oder ihrem Chef bzw. einem anderen Apotheker nachfragen. Den Apotheker treffen insoweit entsprechende Organisations-, Instruktions- und Überwachungspflichten hinsichtlich seines Personals.

Durch die unkritische Befolgung der ärztlichen Verordnung und die Abgabe des Medikamentes an die Mutter des Klägers hat die Angestellte des Beklagten zu 2) die sie treffenden Pflichten verletzt. Sie hätte das Medikament, das so nur für Erwachsene oder Heranwachsende bestimmt war, nicht zur Behandlung eines Säuglings abgeben dürfen. Da der Name und das Geburtsdatum des Patienten, für den das Mittel bestimmt war, klar und eindeutig aus dem Rezept hervorging, wusste sie, dass es um einen Säugling ging; sie wusste es ferner aus den unstreitigen Gesprächen mit der Mutter. Sie musste sich denken, dass hier etwas nicht stimmen konnte, hat sich diese Gedanken aber offensichtlich nicht gemacht. Sie hätte die Abgabe unter allen Umständen zunächst verweigern müssen und entweder beim Beklagten zu 1), dessen Praxisräume sich im gleichen Haus befanden, oder beim Beklagten zu 2) erkundigen müssen. Dieses Fehlverhalten muss der Beklagte zu 2) sich hinsichtlich der vertraglichen Pflichten nach § 278 BGB zurechnen lassen, hinsichtlich der deliktischen Haftung nach § 831 BGB (zu einer möglichen Entlastung hinsichtlich Auswahl, Unterrichtung und Überwachung der Angestellten fehlt jeglicher Vortrag).

Der Beklagten zu 2) hat seinerseits versäumt, seine Angestellte im Hinblick auf den Fall des Klägers richtig zu instruieren. Der Kläger und seine Situation waren ihm, wie er selbst in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, bekannt. Er hatte insbesondere die Medikamentenliste bzw. den Medikamentenplan der Kinderklinik vorliegen und er hatte seinen Mitarbeiter Milde - ebenfalls Apotheker - mit der säuglinggerechten Erstellung der Medikamente beauftragt. In dieser Situation oblag es ihm, etwaige übrige Mitarbeiter entsprechend zu informieren.

Dass er einen eigenen Fehler begangen hat oder jedenfalls einen Fehler seiner Bediensteten sich zurechnen lassen muss, sieht der Beklagte zu 2) offenbar ebenso, denn er bestreitet das Vorliegen eines objektiven Fehlers seinerseits ausdrücklich nicht, ebenso wenig bestreitet er, dass ihm ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen sei und deshalb "dem Grunde nach … die Haftung zwischen den Parteien unstreitig" sei (so ausdrücklich die Klageerwiderung S. 2 oben, Bl. 56 d.A.)

b)

Im Hinblick auf die Ursächlichkeit dieses Fehlers für die vorliegenden, oben dargelegten Schäden des Klägers gelten die gleichen Grundsätze wie hinsichtlich des Beklagten zu 1). Auch hier gehen sämtliche Zweifel im Hinblick auf den Kausalzusammenhang zwischen Fehlverhalten und Primärschaden zu seinen Lasten, denn der ihm unterlaufene bzw. zuzurechnende Fehler ist als grober Fehler einzustufen, und die insoweit für Ärzte entwickelten Grundsätze gelten auch für ihn als Apotheker.

aa)

Bei der Frage, ob das fehlerhafte Verhalten als ein grobes Versäumnis einzustufen ist, gelten ebenso wie bei einem Arzt rein objektive Maßstäbe. Es handelt sich um berufsbezogene Pflichten, die sich am Standard der Berufsgruppe orientieren, nicht an individuellen Fähigkeiten. Schon deshalb ist es auch hier nicht sachgerecht, das Gewicht eines Fehlers daran zu messen, ob hier ein "Augenblicksversagen" vorliegt, wie der Beklagte zu 2) meint. Davon abgesehen vermag der Senat in dem hier maßgeblichen Fehlverhalten weder der Angestellten noch des Beklagten zu 2) ein irgendwie geartetes Augenblicksversagen zu erkennen, denn weder der Beklagte zu 2) selbst noch die Angestellte, die das Medikament ausgehändigt hat, können geltend machen, quasi für den Bruchteil einer Sekunde unaufmerksam gewesen zu sein (was etwa der Fall wäre, wenn infolge einer Ablenkung ein falsches Medikament gegriffen würde). Der ganze Ablauf der Aushändigung des Medikamentes war vielmehr so, dass sich die Verkäuferin Zweifel an der Richtigkeit der Verordnung und eine Hinterfragung und Überprüfung förmlich aufdrängen mussten. Das Medikament passte nicht, es war eines für Erwachsene. Die Packungsgröße passte nicht aus einer Packung mit 100 Tabletten entnahm sie vielmehr einzelne Blister, um die verordnete kleine Menge erzielen zu können, was wiederum mit sich brachte, dass die Mutter des Klägers nicht einmal mehr einen Beipackzettel erhielt – ein (zumal für ein Herzmedikament) ganz und gar ungewöhnlicher Vorgang. Die Darreichungsform passte nicht, die Angestellte und die Mutter des Klägers stellten vielmehr Überlegungen dahin an, wie man Tabletten einem Säugling einflößen könne, was letztlich zur Notwendigkeit des Mörserns führte. Auch dies dürfte sich als (angesichts der Möglichkeit und Üblichkeit von säuglingsgerechten Darreichungsformen) ein in einer Apotheke eher ungewöhnlicher Vorgang darstellen. All dies bedeutet nicht nur, dass von einem Augenblicksversagen keine Rede sein kann, sondern dass auch keineswegs nur von einem einfachen Verstoß gegen die Pflichten eines Apothekers gesprochen werden kann, vielmehr von einem überaus gravierenden. Entscheidende Bedeutung kommt aber hier dem gleichen Umstand zu, der auch für den Beklagten zu 1) maßgeblich war: es handelte sich um ein hochgefährliches Medikament, bei dem ein wie auch immer geartetes Versehen unter allen Umständen verhindert werden musste, was bedeutet, dass die Aufmerksamkeit und die Sorgfalt bei der Abgabe in ganz besonderer Weise gewahrt und beachtet werden musste, was nicht geschehen ist. Ein derart folgenschweres Versehen darf in einer Apotheke schlechterdings nicht passieren.

bb)

Die bei der Arzthaftung anerkannte Umkehr der Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden gilt auch für die Haftung des Apothekers.

Diese Frage ist bislang in Literatur und Rechtsprechung – soweit ersichtlich – nicht geklärt. Vereinzelte Stimmen in der Literatur sprechen sich indes für eine Anwendung der entsprechenden Grundsätze aus (Lippert in Wenzel, Medizinrecht 2. Aufl. Kap. 16, Rn. 41; wohl auch Rosenberger in Wenzel, aaO, Kap. 7, Rn. 411). Soweit dies begründet wird, geschieht es unter Hinweis darauf, dass die Gründe für die Beweislastverschiebung auch in diesen Fällen zum Tragen kämen. Der Gesetzgeber hat auch im Zusammenhang mit den – hier noch nicht anwendbaren – Vorschriften des neuen Patientenrechtegesetzes (§§ 630 a ff. BGB) zu dieser Frage keine klare Stellung bezogen. Er hat zwar, wie sich aus dem Wortlaut von § 630 a BGB ("Behandler") ergibt, und im übrigen in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt wird (BT-Drucksache 17/10488 S. 18), das Vertragsverhältnis zwischen einem Patienten und einem Apotheker nicht als Behandlungsverhältnis eingestuft, so dass die Vorschriften des § 630 h BGB unmittelbar auch nach neuem Recht keine Anwendung finden. Er hat aber umgekehrt damit auch keineswegs zum Ausdruck gebracht, dass für eine Beweislastumkehr insoweit kein Raum sei (für die Fälle des ebenfalls nicht von den §§ 630 a ff. erfassten Tiermediziners enthält die Gesetzesbegründung sogar den ausdrücklichen Hinweis, dass die Rechtsprechung nicht gehindert sei, die für Ärzte geltenden Beweislastregeln auf diesen zu übertragen). Im Gegenteil sieht der Senat die sehr weitgehende Einbeziehung von medizinischen Berufen aller Art (etwa Logopäde und Masseure) in die für Ärzte entwickelten Grundsätze eher als Ausdruck des Bestrebens, im Zweifel dem Schutz des Patienten Vorrang zu geben. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa Urt. v. 16.5.2000, BGHZ 144, 296 ff. für Hebammen) und der Oberlandesgerichte (etwa OLG Oldenburg, VersR 1997, 749 für Pflegepersonal) - die soweit ersichtlich sich zur Frage etwaiger Beweislastumkehr bei Schäden, die durch die Abgabe von Medikamenten verursacht worden sein können, noch nicht Stellung genommen haben – spricht eher für eine Ausdehnung der Grundsätze auf Apotheker als dagegen.

Die Anwendung der Grundsätze des groben Behandlungsfehlers auf vergleichbar schwerwiegende Fehler des Apothekers ist geboten, weil die Sach- und Interessenlage in einer Weise gleichgelagert ist, dass eine unterschiedliche Handhabung nicht gerechtfertigt wäre. Grund für die seit vielen Jahrzehnten anerkannten Beweiserleichterungen, die letztlich eine Beweislastumkehr bedeuten, im ärztlichen Bereich ist, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen gerade durch den Fehler besonders verbreitert bzw. verschoben wird (BGH, Urt. v. 21.9.1982, BGHZ 85, 212 und vielfach). Grund ist also nicht die Schwere des dem Arzt zu machenden Vorwurfs, sondern die Erschwerung des Nachweises des Kausalzusammenhangs durch den Fehler. Das wiederum hängt zusammen mit der Komplexität medizinischer Abläufe und Zusammenhänge, die sich häufig einem eindeutigen Nachweis von Ursache und Wirkung entziehen. Dass es hier keinen qualitativen Unterschied zwischen dem Fehler eines Arztes und dem eines Apothekers gibt, liegt auf der Hand und wird in besonderer Weise deutlich am vorliegenden Fall, wo sich für beide Fehler exakt dieselben Kausalitätsprobleme stellen. Der Arzt hat die falschen Tabletten verschrieben, der Apotheker hat sie pflichtwidrig abgegeben. Dass der Beklagte zu 1) hierfür haften soll, weil er sich hinsichtlich der Kausalität entlasten muss, während der Beklagte zu 2) von der Haftung frei ist, weil insoweit der Kläger die Beweislast trägt, wäre ein offensichtlich unbilliges, dem Gerechtigkeitsempfinden grob widersprechendes Ergebnis. Dies gilt umso mehr, als auch im Bereich der Arzneimittelhaftung (§ 84 AMG) entsprechende Beweiserleichterungen gesetzlich verankert sind. So regelt § 84 Abs.2 Satz 1 AMG eine Kausalitätsvermutung, dass der Schaden durch das Medikament verursacht worden ist, wenn dieses nach den Gegebenheiten des Falles geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Wenn bei einem engen – möglicherweise nicht sinnvoll trennbaren – Zusammenwirken von Arzt, Apotheker und Medikament bei Arzt und Medikament Beweiserleichterungen eingreifen, dies aber ausgerechnet bei dem Apotheker nicht der Fall wäre, würde dies eine nicht verständliche Systemwidrigkeit bedeuten. Schließlich besteht auch zwischen dem Berufsbild und dem Ausbildungsgang eines Arztes und eines Apothekers eine sehr enge Verwandtschaft und Ähnlichkeit (so zielen beide Berufe auf die Heilung des Menschen ab, für beide ist ein ähnliches Studium und eine Approbation notwendig), die ebenfalls für eine Gleichbehandlung sprechen.

c)

Hinsichtlich aller übrigen Voraussetzungen, insbesondere hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen einer Beweislastumkehr, des eingetretenen Schadens und hinsichtlich der Haftungsfolgen wird Bezug genommen auf die entsprechenden Ausführungen beim Beklagten zu 1).

3. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten. Eine vorläufige Vollstreckbarkeit kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Die Revision war zuzulassen, da Fragen grundsätzlicher Bedeutung angesprochen sind (insbesondere hinsichtlich der Anwendung der Grundsätze zum "groben Behandlungsfehler" auf den Apotheker).