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LG Darmstadt: Fluglotsenstreik stellt aussergewöhnlichen Umstand iSd VO (EG) 261/2004 dar

LG Darmstadt, Urteil vom 03.07.2013 - 7 S 238/12

Leitsatz:

Fluglotsenstreik ist außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 EG-VO Nr. 261/2004; keine Vorverlegung des betroffenen Fluges und keine Annullierung anderer Flüge erforderlich, um die gebuchten Passagiere rechtzeitig vor Streikbeginn nach Kreta zu bringen. (amtlicher Leitsatz)


Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 02.11.2012 (3 C 902/10) wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 1.200,-- Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Kläger verlangt mit dem am 22.12.2011 zugestellten Mahnbescheid und der vorliegenden Klage von der beklagten Charterfluggesellschaft für sich sowie aus abgetretenem Recht auch für seine beiden Mitreisenden A und B Ausgleichsleistungen nach Art. 7 der EG-VO Nr. 261/2004 in Höhe von jeweils 400,-- im Zusammenhang mit einem für den 05.10.2011 mit Abflug um 05:25 Uhr gebuchten und dann um ca. 19 Stunden verspätet durchgeführten Flug von Frankfurt a. M. nach Heraklion (Kreta/Griechenland). Nach Eingang eines von der Beklagten ausgestellten Schecks über 200,-- hat der Kläger Zahlung von 1.200,-- nebst Zinsen abzüglich am 15.03.2012 gezahlter 200,-- sowie von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 155,30 nebst Zinsen begehrt. Die Beklagte hat u. a. eingewandt, dass die Verspätung durch einen Fluglotsenstreik in Griechenland verursacht worden sei. Insoweit wird ergänzend gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff.1 ZPO) sind nicht ersichtlich. Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Amtsgericht Rüsselsheim mit Urteil vom 02.11.2012 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei wegen des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes gemäß Art 5 Abs. 3 der EG-VO Nr. 261/2004 nicht zur Zahlung der geltend gemachten Ausgleichspauschale wegen Flugverspätung verpflichtet, weil ein Streik der Fluglotsen am 05.10.2011 den gesamten griechischen Luftraum betroffen habe und deshalb auch der Flughafen in Heraklion nicht planmäßig habe angeflogen werden können. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt mit dem Antrag, das amtsgerichtliche Urteil abzuändern und nach den erstinstanzlichen Klageanträgen zu entscheiden. Zur Begründung wird vorgetragen, im Hinblick auf den hier vorrangig zu beachtenden Verbraucherschutz habe die Beklagte, die wegen der Lage in Griechenland jederzeit mit Streikmaßnahmen habe rechnen müssen, ihren Flugplan anders organisieren müssen, etwa durch Vorverlegung dieses Fluges oder Annullierung eines anderen Fluges. Der Kläger hat zudem die Zulassung der Revision angeregt.

Die Beklagte verteidigt das amtsgerichtliche Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden, mithin zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil das Amtsgericht die Klage zu Recht und auch mit zutreffender Begründung abgewiesen hat. Aufgrund der in erster Instanz ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen und auch des weiteren Vorbringens im Berufungsverfahren ist die Klage insgesamt nicht begründet. Die Flugverspätung erfolgte aus Umständen, die die Beklagte auch dann nicht hätte vermeiden können, wenn von ihr alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung). Nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung können Streikmaßnahmen von Beschäftigten sowohl des Luftfrachtführers selbst als auch von Drittfirmen oder aber staatlicher Stellen, soweit er zu Behinderungen des Flugverkehrs führt, einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der EG-VO Nr. 261/2004 und Nr. 14 der Erwägungsgründe dieser Fluggastrechteverordnung darstellen, der zu einer Haftungsbefreiung des auf Ausgleichszahlung in Anspruch genommenen ausführenden Luftfahrtunternehmens führt (BGH, Urteil vom 21.08.2012, Az. X ZR 138/11). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen des Haftungsausschlusses lagen hier vor. Schon nach den Aufzeichnungen der Kammer, die wegen der regelmäßigen Befassung mit derartigen Verfahren entsprechende nach Flugdaten sortierte Listen führt, fand an dem hier streitgegenständlichen 05.10.2011 ein ganztägiger Generalstreik in Griechenland einschl. Fluglotsen + Bodenpersonal statt. Der vom Kläger mit seiner Familie gebuchte Flug hätte also, wenn er denn pünktlich um 05:25 Uhr in Frankfurt gestartet wäre, nicht bis zum Zielflughafen in Kreta durchgeführt werden können. Bei einer sich aus den vorgelegten Reiseunterlagen ergebenden Flugzeit von 4 Stunden hätte der Flug vielmehr, um noch rechtzeitig vor Streikbeginn in Kreta zu landen und abgefertigt zu werden, jedenfalls vor 20:00 Uhr bereits am 04.10.2011, also noch am Vortag und mindestens neuneinhalb Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit, in Frankfurt starten müssen. Der in Andernach wohnhafte Kläger hätte in diesem Fall, ebenso wie alle anderen für diesen Flug gebuchten Passagiere aus der gesamten Bundesrepublik, eine entsprechend noch wesentlich frühere Anreise zum rechtzeitigen Check-In organisieren müssen, wobei er über seinen Reiseveranstalter [...] bzw. das Buchungsportal [...] überhaupt erst mit E-Mail vom 04.10.2011 um 15:50 Uhr über die erforderlich gewordene Änderung informiert worden ist. Abgesehen davon hätte der Beklagten bereits zu diesem Zeitpunkt ein geeignetes Flugzeug in Frankfurt zur Verfügung stehen müssen, was angesichts des bekanntermaßen eng gestrickten Flugplans der Charterfluggesellschaften eher unwahrscheinlich sein dürfte. Völlig unklar wäre zudem, ob die Beklagte für einen derartigen unplanmäßig frühen Flug überhaupt einen entsprechenden Slot und damit eine Starterlaubnis in Frankfurt und/oder eine Landeerlaubnis in Heraklion bekommen hätte. Soweit in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, die Fluggesellschaft müsste darlegen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihr zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihr ggf. nicht zumutbar war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen (BGH, Urteil vom 14.10.2010, Az. Xa ZR 15/10, Tz. 29), hat die Beklagte hier noch ausreichend dargelegt, wie es zu der Flugverspätung kam und welche Anstrengungen sie unternommen hat, diese Verspätung möglichst gering zu halten. Der vom Amtsgericht hierzu ausführlich vernommene Zeuge C hat geschildert, dass nach Bekanntwerden des beabsichtigten Streiks bei einem Krisenmeeting der hierfür zuständigen Mitarbeiter der Beklagten Überlegungen zu etwaigen Flugplanänderungen für die vom Ausstand voraussichtlich betroffenen Flüge angestellt und teilweise auch umgesetzt worden sind, wobei diese beiden vorverlegten Flüge nach Kos und damit auf eine andere griechische Insel gingen. Danach wurde auch geprüft, nur die Hinflüge nach Griechenland vorzeitig durchzuführen und vor Beginn des Streiks dort noch landen zu lassen. Wenn eine derartige Entscheidung für den hier streitgegenständlichen Flug dann nicht getroffen worden ist, kann dies angesichts der geschilderten zeitlichen und organisatorischen Probleme einer solchen erheblichen Vorverlegung und des drohenden unkalkulierbaren Verbleibs der betroffenen Maschine auf griechischem Boden nicht beanstandet werden. Der an das St. Floriansprinzip erinnernde Vorschlag des Klägervertreters, anstelle des hier fraglichen Flugs einen anderen Flug zu streichen bzw. verspätet durchzuführen und damit die von dem griechischen Streik gar nicht betroffenen Passagiere dieses anderen Fluges warten zu lassen, um stattdessen den Kläger und seine Mitreisenden wunschgemäß zu befördern, bedarf nach den vorstehend geschilderten Umständen keiner näheren Erörterung. Mit anderen Worten: Nach Überzeugung der Kammer musste die Beklagte nicht ihren gesamten Flugplan umgestalten, nur um die Familie des Klägers trotz des Streiks rechtzeitig bzw. sogar vorzeitig nach Kreta zu bringen, schon gar nicht musste sie einen anderen Flug annullieren zulasten der dortigen Passagiere. Nach alledem war die zulässige Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO, wobei eine Sicherheitsleistung nicht anzuordnen und wegen § 713 ZPO auch keine Abwendungsbefugnis einzuräumen war. Die Bemessung des Gegenstandswertes folgt dem Umfang der Anfechtung des amtsgerichtlichen Urteils bzw. dem bezifferten Rechtsmittelantrag, wobei sowohl die Zinsen als auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten als Nebenforderung gemäß § 4 Abs. 1 ZPO außer Betracht zu bleiben hatten. Eine Verminderung um die gezahlten 200,-- oder auf eine entsprechende Kostenposition kam nicht in Betracht, weil es sich hier um eine streitige Erledigungserklärung des Klägers handelte, der die Beklagte nicht zugestimmt hat. Die Revision war nicht zuzulassen, da die vorliegende Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Vielmehr handelt es sich um eine tatrichterlich zu treffende Einzelfallentscheidung, ob unter den hier gegebenen konkreten Umständen eine Haftungsbefreiung über Art. 5 Abs. 3 der EG-VO Nr. 261/2004 gegeben ist. Für den Fall des Streiks ist dies, wie dargelegt, ohnehin bereits höchstrichterlich entschieden.