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LG Saarbrücken: Fluggesellschaft muss bei Streik nachweisen dass die Verspätung oder Annullierung kausal auf dem Streik beruht

Das LG Saarbrücken hat festgestellt, dass ein Streik (der französischen Fluglotsen) zwar grundsätzlich einen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann, es aber wesentlich darauf ankommt, ob die Annullierung bzw. erhebliche Verspätung streikbedingt eingetreten ist. Das heißt die Airline muss konkret nachweisen, dass die Annullierung/Verspätung kausal auf dem Streik beruht und eben keine unternehmerische Entscheidung im Rahmen einer Umorganisation ist. Ein außergewöhnlicher Umstand liegt auch dann nicht vor, wenn diese Umorganisation aufgrund des Streiks erfolgt, da sich der Streik dann nur mittelbar auf den konkreten Flug auswirkt.

LANDGERICHT SAARBRÜCKEN

Urteil vom 28.06.2019
Aktenzeichen 13 S 17/19

In dem Rechtsstreit

EUflight.de GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer

Klägerin und Berufungsklägerin

- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Diekmann, Feldbrunnenstraße 57, 20148 Hamburg, Gz.: 2057/17-1 -

gegen

TUlfly GmbH, vertreten durch die Geschäftsführung, Flughafenstraße 10, 30855 Langenhagen,

Beklagte und Berufungsbeklagte

- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Pesch & Kollegen, Berliner Allee 7, 30175 Hannover, Gz.: 6267/17W46 -

hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken auf die mündliche Verhandlung vom 28.06.2019 durch den Präsidenten des Landgerichts Freymann, den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Wern und die Richterin am Landgericht Oldenburg

für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 29.08.2018 - 37 C 334/17 (08) - abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 750,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.11.2017 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.


Gründe

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Zahlung eines Ausgleichs nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch. Die Fluggäste Brigitte B., Maurice H. und Liliana H. buchten bei der Beklagten einen Flug von Palma des Mallorca nach Saarbrücken, der für den 11.10.2017 mit einer planmäßigen Ankunftszeit in Saarbrücken von 19.10 Uhr vorgesehen war. Aufgrund eines Fluglotsenstreiks in Frankreich, der am 06.10.2017 für den Zeitraum vom 09.10.2017 bis 11.10.2017 angekündigt worden war, wurden die Überflugrechte für den gesamten Luftraum über Frankreich, das auf der Route des gebuchten Fluges liegt, neu vergeben und erheblich eingeschränkt. Von den Flugausfällen waren eine Vielzahl von geplanten Flügen der Beklagten am 10.10.2017 und 11.10.2017 betroffen. Da es der Beklagten nicht gelang, durch Einkauf von Subchartern die Flugausfälle zu kompensieren, organisierte sie ihren Flugbetrieb um mit der Folge, dass die Maschine, die ursprünglich für den streitgegenständlichen Flug geplant war, zur Kompensation des Ausfalls anderer Flüge eingesetzt wurde und der Flug durch eine andere Maschine nachgeholt wurde. Die Ankunftszeit des streitgegenständlichen Fluges verschob sich dadurch auf den 12.10.2017, 6.04 Uhr. Die Fluggäste haben ihre Ansprüche gegen die Beklagte auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung an die Klägerin abgetreten.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin eine Ausgleichszahlung von 750,- € nebst Zinsen geltend gemacht. Sie ist der Auffassung, die Beklagte könne sich entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht auf außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung berufen, weil der Fluglotsenstreik nicht unmittelbar den streitgegenständlichen Flug betroffen habe.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und meint, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne die Kausalität zwischen dem Streik als außergewöhnlichem Umstand und der streitgegenständlichen Flugverspätung nicht in Abrede gestellt werden. Der Bundesgerichtshof billige insoweit dem Luftfahrtunternehmen einen Ermessensspielraum zu, in dem es seinen Flugbetrieb umorganisieren dürfe.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung nach der Rechtsprechung des BGH gegeben seien. Die Rechtsprechung des EuGH stehe dem nicht entgegen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihren Anspruch weiterverfolgt. Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht gegen die Beklagte ein Anspruch aus Ausgleichszahlung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004, ABI. EU L 46 vom 17.02.2004, S. 1 ff) zu.

1. Zu Recht ist das Erstgericht allerdings zunächst davon ausgegangen, dass bei Annullierung oder - wie hier der Fall - großer, d.h. drei Stunden oder mehr betragender Verspätung von Flügen die Verpflichtungen der Luftfahrtunternehmen gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 gelten sollen (EuGH; st. Rspr.; vgl. Urteil vom 19.11.2009 - C-402/07 und C-432/07, NJW 2010, 43; zuletzt Urteil vom 17.04.2018 - C-195/17, NJW 2018, 1592, jeweils m.w.N.).

2. Soweit das Erstgericht weiter davon ausgegangen ist, die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen sei von der Zahlung der Ausgleichsleistung nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung befreit, weil ein außergewöhnlicher Umstand vorliege, die große Verspätung auf diesen außergewöhnlichen Umstand zurückgehe und das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Folgen der Annullierung oder großen Verspätung ergriffen habe, hält dies berufungsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung durch Vorkommnisse begründet werden, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftverkehrsunternehmens und von ihm tatsächlich nicht beherrschbar sind (st. Rspr.; vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2017 - C-315/15, NJW 2017, 2665). Solche Umstände können nach Erwägungsgrund 14 der Fluggastrechteverordnung insbesondere bei Streiks eintreten, die den Betrieb eines ausführenden Luftverkehrsunternehmens beeinträchtigen (EuGH, Urteil vom 17.04.2018 - C-195/17, NJW 2018, 1592; ebenso BGH, Urteil vom 04.09.2018 - X ZR 111/17, NJW 2019, 300 m.w.N.). Dies entbindet allerdings nicht von der Verpflichtung, im Einzelfall zu prüfen, ob die allgemeinen Anforderungen an außergewöhnliche Umstände erfüllt sind (EuGH, Urteil vom 17.4.2018 aaO; ebenso BGH, Urteil vom 04.09.2018 aaO).

b) Zwar ist es danach nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht den (externen) Streik der französischen Fluglotsen für grundsätzlich geeignet gehalten hat, außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung zu begründen. Allerdings lassen sich die weiteren Erwägungen, mit denen das Amtsgericht den Ausschluss eines Ausgleichs für die eingetretene Verspätung begründet hat, nicht mit der insoweit einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Einklang bringen.

aa) Der EuGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein Streik auch dann, wenn er sich als solcher nicht vermeiden lässt, nicht unbedingt und automatisch einen Grund für die Befreiung von der Ausgleichspflicht darstellt (vgl. nur EuGH, Urteil vom 17.04.2018 aaO m.w.N.). Entscheidend ist insoweit, ob die Annullierung bzw. analog die große Verspätung - wie hier - streikbedingt ist, d.h. wenn der Streik zu Folgen führt, die sich mit zumutbaren Maßnahmen nicht abwenden lassen, und wenn diese Folgen die Annullierung bzw. analog die große Verspätung rechtlich oder tatsächlich notwendig machen (vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2017 - C-315/15, NJW 2017, 2665). Dieser Rechtsprechung ist der Bundesgerichtshof zuletzt noch einmal ausdrücklich beigetreten (BGH, Urteil vom 04.09.2018 aaO m.w.N.).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16.04.2014 - X ZR 102/13, MDR 2015, 74; LG Frankfurt, Urteil vom 29.10.2015 - 2-24 S 68/15, RRa 2016, 19), schon keine hinreichenden Gründe für eine „streikbedingte“ Verspätung dargelegt. Denn die eingetretene Verspätung beruht - unstreitig - nicht darauf, dass sich der Streik unmittelbar auf den streitgegenständlichen Flug ausgewirkt hat.

Die (rechtserhebliche) Ursache für die eingetretene Verspätung liegt vielmehr darin, dass der Flug, obwohl er trotz des Streiks hätte durchgeführt werden können, aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung zur Umorganisation des Flugbetriebs nicht planmäßig stattfinden konnte. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich allein durch den Streik der Fluglotsen in Frankreich zu einer Umorganisation ihres Flugbetriebs veranlasst sah, mithin die Verspätung nur mittelbar durch den Streik bedingt war. Auch kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem Einsatzwechsel der Maschine zur Kompensation des Ausfalls anderer Maschinen um eine vertretbare Maßnahme der Umorganisation handelte.

Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Unionsgesetzgeber nicht beabsichtigt, dass die Ausgleichsleistung aus Gründen, die mit dem Eintreten „außergewöhnlicher Umstände“ (lediglich) zusammenhängen, ausgeschlossen werden kann. Die „außergewöhnlichen Umstände“ dürfen sich, wie aus Erwägungsgrund 15 der Verordnung hervorgeht, nur auf „ein einzelnes Flugzeug an einem bestimmten Tag“ beziehen (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2012 - C-22/11, NJW 2013, 361). Dementsprechend hat es der EuGH nicht ausreichen lassen, wenn einem Fluggast die Beförderung verweigert wird, weil Flüge infolge derartiger Umstände, die einen vorhergehenden Flug betrafen, umorganisiert wurden. Er hat dies damit begründet, dass der Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ dazu dient, die Verpflichtungen des Luftfahrtunternehmens zu begrenzen oder diese sogar von den Verpflichtungen zu befreien, wenn sich das betreffende Vorkommnis auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2012 aaO).

Entsprechend dieser Rechtsprechung des EuGH wird auch in der deutschen Instanzrechtsprechung eine Ausgleichspflicht bejaht, wenn - wie hier der Fall – ein Flug nicht unmittelbar durch die „außergewöhnlichen Umstände“ betroffen ist, sondern nur deswegen annulliert bzw. mit großer Verspätung durchgeführt wird, weil das Luftfahrtunternehmen sich aufgrund der „außergewöhnlichen Umstände“ zu einer Umorganisation seines Flugbetriebs entschlossen hat (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 29.10.2015 - 2-24 S 68/15, RRa 2016, 19; AG Hannover, Urteil vom 20.05.2016 - 511 C 11581/15, RRa 2016, 294; AG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2017 - 51 C 482/16, RRa 2018, 133; AG Charlottenburg, Urteil vom 04.05.2017 - 203 C 40/17, zit. nach juris; zustimmend Boehe, RRa 2017, 210; vgl. auch AG Düsseldorf, Vorlagebeschluss vom 10.07.2017 - 41 C 26/17, zit. nach juris; a.A. AG Geldern, Urteil vom 07.10.2016 - 17 C 55/16, zit. nach juris; AG Königs Wusterhausen, Urteil vom 27.04.2017 - 4 C 1960/16, zit. nach juris).

Die Kammer tritt dieser Auffassung mit der Argumentation des Gerichtshofs bei. Maßgeblich für die Kammer ist dabei nicht nur die Erwägung, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung als Ausnahmetatbestand eng auszulegen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17.04.2018 aaO; Führich, MDR 2018, 769, 770), sondern auch die Schwierigkeit einer sinnvollen Beschränkung des Ausnahmetatbestandes bei nur (mittelbaren) Beeinträchtigungen wie vorliegend, die nur durch eine Überprüfung der (unternehmerischen) Entscheidung des Luftfahrtunternehmens zur Umorganisation des gesamten Flugbetriebs gewährleistet werden könnte (so BGH, Urteil vom 21.08.2012 - X ZR 138/11, BGHZ 194, 258), was indes mit einer ständigen Gefahr der Aushöhlung des Verbraucherschutzes verbunden wäre. Einem Luftfahrtunternehmen kann aber in der maßgeblichen unionsrechtlichen Auslegung der Verordnung durch den EuGH nicht erlaubt werden, den Kreis der Fälle, in denen es berechtigt wäre, einem Fluggast die Beförderung zu verweigern, erheblich zu erweitern. Dies hätte zwangsläufig zur Folge, dass ein solcher Fluggast völlig schutzlos gestellt wäre, was dem Ziel der Verordnung zuwiderlaufen würde, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste durch eine weite Auslegung der ihnen zuerkannten Rechte sicherzustellen (so ausdrücklich EuGH, Urteil vom 04.10.2012 aaO).

3. Die Zinsentscheidung beruht auf § 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.08.2012 - X ZR 138/11, BGHZ 194, 258 (im Anschluss auch LG Frankfurt, Urteil vom 11.05.2017 - 2-24 S 136/16, RRa 2017, 237 mit ablehnender Anmerkung Boehe aaO), gebietet keine Zulassung der Revision, weil die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 04.10.2012 - C-22/11, NJW 2013, 361, danach ergangen ist (so auch AG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2017 aaO). Eine entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 04.10.2012 liegt nicht vor. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.06.2014 - X ZR 121/13, zit. nach juris betrifft insoweit eine andere Fallgestaltung, da dort das den verzögerten Flug durchführende Flugzeug von den „außergewöhnlichen Umständen“ (dort: Pilotenstreik) in dessen Vorumlauf tatsächlich betroffen war (so richtig AG Hannover, Urteil vom 20.05.2016 aaO).

Vorinstanz:
Amtsgericht Saarbrücken, Urteil vom 29.08.2018 Aktenzeichen 37 C 334/17 (08)