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AG Hannover: Witterungsbedingte Verzögerungen im Vorumlauf des betroffenen und deswegen verspäteten Fluges stellen keinen außergewöhnlichen Umstand iSd Fluggastrechteverordnung dar

1. Verspätungen, die im Umlauf eines Fluges am gleichen Tag aufgrund außergewöhnlicher Umstände auftreten, können einen Ausgleichsanspruch nach der FluggastrechteVO ausschließen, weil dann auch für die weiteren Flüge desselben Umlaufs ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen kann. (amtlicher Leitsatz)

2. Eine insoweit entschuldigte Verspätung aus dem Vorumlauf stellt für eine Verspätung im nachfolgenden Umlauf keinen außergewöhnlichen Umstand dar, wenn die Fluggesellschaft aus wirtschaftlichen Erwägungen die Auslastung der Maschinen so eng plant, dass Verspätungen auch im folgenden Umlauf nicht mehr ausgeglichen werden können. (amtlicher Leitsatz)

3. Diese Verspätungen haben ihre Grundlage dann nicht mehr in den nicht zu kalkulierenden Witterungsanomalien, sondern sind allein in dem wirtschaftlich ausgerichteten Planungsverhalten des Luftfahrtunternehmens begründet. (amtlicher Leitsatz)

Amtsgericht Hannover, Urteil vom 01.07.2014 - 538 C 11519/13


In dem Rechtsstreit ... hat das Amtsgericht Hannover - Abt. 538 auf die mündliche Verhandlung vom 17.06.2014 für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger je € 400,00, insgesamt € 800, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2013 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages zu leisten, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.


Tatbestand

Die Kläger machen Ausgleichszahlungen aus der EU-Fluggastrechteverordnung geltend.

Die Kläger buchten bei der Beklagten für den 04.03.2013 den Flug X3 ... von Fuerteventura/Puerto del Rosario - Kanaren nach Köln/Bonn, der um 17:25 Uhr (Ortszeit) in Fuerteventura/Puerto del Rosario - Kanaren abfliegen und am 22:55 Uhr (Ortszeit) in Köln/Bonn landen sollte. Tatsächlich wurden die Kläger erst um 21:35 Uhr ab Fuerteventura/Puerto del Rosario befördert und kamen am 05.03.2013 um 02:20 Uhr in Köln/Bonn an.

Die Kläger sind der Auffassung, dass die Beklagte sich nicht auf außergewöhnliche Umstände wegen der Flugverspätung berufen könne.

Die Kläger beantragen,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, die Flugverspätung sei auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen, die sich durch sämtliche zumutbaren Maßnahmen nicht hätten vermeiden lassen. Durch extreme Witterungsverhältnisse für einen Flug am Vortag von Stuttgart nach Arrecife, bei dem dasselbe Flugzeug im Umlaufverfahren eingesetzt gewesen sei, sei es zu Verzögerungen gekommen, die auch den Flugumlauf am Folgetrag beeinträchtigt hätte.

Planmäßig sei der Flugumlauf mit der hier gegenständlichen Maschine wie folgt geplant und dann tatsächlich gelaufen:




Der für den 03.03.2013 geplante Flug X3 ... von Stuttgart nach Arrecife habe dort wegen starker Windböen von bis zu 45 Knoten nicht landen können und sei nach Fuerteventura umgeleitet worden. Aus diesem Grunde habe der im Umlauf folgende Flug von Arrecife nach Stuttgart nicht planmäßig ausgeführt werden können, weil zunächst ein ungeplanter Flug von Fuerteventura nach Arrecife erforderlich geworden sei. Der ursprünglich für den 03.03.2013 geplante Flug von Arrecife nach Stuttgart habe am 04.03.2013 stattgefunden. Von dort sei die Maschine nach Köln gebracht worden, um wieder nach Fuerteventura zu starten. Die [5] Verspätung, von der auch der Flug der Kläger am 04.03.2013 betroffen war, habe also aus einer witterungsbedingten Verzögerung eines Fluges aus dem Vorumlauf resultiert.

Zudem sei es trotz Bemühungen nicht gelungen, einen Subcharter zu bekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.

Den Klägern steht der geltend gemachte Ausgleichsanspruch nach der EG-Verordnung Nr. 261/2004 (im Folgenden: Fluggastrechte VO) zu. Die Beklagte kann sich nicht auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände bei der streitgegenständlichen Flugverspätung berufen. Sie hat insoweit nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Flugverspätung zu vermeiden (Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung).

Der Anspruch auf Ausgleichszahlung ergibt sich aus der Flugverspätung des streitgegenständlichen Fluges von Fuerteventura nach Köln, Flugnr. X3 ... am 04.03.2013. Dieser hätte planmäßiger um 17:25 Uhr abfliegen und, planmäßige um 21:35 Uhr landen sollen. Tatsächlich ist der Flug jedoch um 22:55 Uhr gestartet und erst am 05.03.2014 um 02:20 Uhr gelandet. Die Ankunft erfolgte somit 3 Stunden und 25 Minuten später als ursprünglich geplant.

Gemäß Urteil des EuGH vom 19.11.2009 (C 402/07, C 432/07) sind Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt und können somit den Artikel 7 der Fluggastrechte VO vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges ein Zeitverlust von 3 Stunden oder mehr erleiden, das heißt, wenn sie ihr Endziel nicht früher als 3 Stunden nach dem von dem Luftfahrtunternehmen im ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichten. Dies ist vorliegend der Fall. Der streitgegenständliche Flug hatte sowohl eine Abflugs- als auch eine Ankunftsverspätung von über 3 Stunden.

Die Beklagte ist nicht gemäß Artikel 5 Abs. 3 der Fluggastrechte VO von der Ausgleichszahlung befreit worden. Gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte VO ist das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet Ausgleichszahlung zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung bzw. die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch nicht dann hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass das Flugzeug, das auf dem streitgegenständlichen Flug habe eingesetzt werden sollen, auf dem Flug am Vortag und im Vorumlauf am 03.03.2014 wegen Witterungsverhältnissen außerplanmäßig von Fuerteventura nach Arrecife umgeleitet worden sei. Die sich daraus ergebende Notwendigkeit erst von dort nach Fuerte-ventura zurück zu fliegen um dann den weiteren Umlauf fortzusetzen habe, auch den Flugumlauf am Folgetag betroffen und zu der in Rede stehenden Verspätung geführt. Zwar kann eine witterungsbedingte Flugumleitung und eine daraus resultierende Flugverzögerung auch der nachfolgenden Flüge des betroffenen Umlaufs einen die Ausgleichszahlungsverpflichtung aufhebenden außergewöhnlicher Umstand darstellen. Vorliegend ist dies jedoch aufgrund der Gesamtumstände anders zu beurteilen.

Die Beklagte hat vorgetragen, dass eine Ersatzmaschine weder in Fuerteventura noch an einem anderen Standort zur Verfügung stand und es der Beklagten auch nicht zuzumuten gewesen sei, ein oder mehrere Flugzeuge auf anderen Flughäfen zu stationieren um solchen Ereignissen vorzubeugen. Weiterhin wäre eine Beschaffung eines anderem Flugzeuges nicht schneller gegangen, da alle Maschinen in im ständigen Einsatz waren, auch Chartermaschinen seien nicht erreichbar gewesen.

Das Gericht hält diese Ausführung der Beklagten hier für nicht geeignet um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Artikel 5 Abs. 3 der Fluggastrechte VO zu begründen. Selbst wenn der Vortrag der Beklagten zu den tatsächlichen und geplanten Umläufen zutreffen sollte, was die Kläger bestritten haben, haben die von der Beklagten behaupteten Witterungsverhältnisse nicht den streitgegenständlichen Flug sondern einen Flug im Vorumlauf der Maschine am Vortag betroffen. Das Risiko, welches die Fluggesellschaft durch den Einsatz eines Fluggerätes auf mehreren Flugstrecken hintereinander in einem engen Zeitplan eingeht und die Umläufe aus eigenen wirtschaftlichen Erwägungen so zeitlich eng taktet, dass sich eintretende Verzögerungen sogar noch bis in den nächsten bzw. übernächsten Tag weiterziehen, kann nicht ohne Weiteres zulasten der späteren Passagiere gewertet werden.

Dabei verkennt das Gericht nicht, dass ein wirtschaftlicher Betrieb einer Fluggesellschaft nur gewährleistet ist, wenn die Maschinen in ständigem Umlauf mehrere Verbindungen bedienen und deswegen bei der Bewertung von auftretenden außergewöhnlicher Umstände nach der Fluggastrechte VO nicht allein auf den jeweiligen Flug selbst abgestellt werden kann (vgl. LG Hannover, Urteil vom 17.07.2013, 12 S 18/13).

Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt jedoch darin, dass nicht nur ein Vorflug des betroffenen Umlaufs, sondern ein Flug des Vorumlaufs am Vortrag betroffen gewesen ist. Wenn aber die Fluggesellschaft aus wirtschaftlichen Erwägungen die Auslastung ihrer Maschinen und ihrer Flugumläufe so eng hintereinander taktet, dass selbst einen oder mehrere Tag(e) vorher auftretende Verzögerungen nicht mehr zwischen den einzelnen Umläufen aufgefangen werden können, weil das Unternehmen zwischen den Umläufen keine ausreichenden zeitlichen Puffer vorgesehen hat, liegt

für die Flüge des Flugumlaufs am Folgetag ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Verordnung nicht mehr vor. Denn dann ist davon auszugehen, dass das Luftfahrtunternehmen nicht mehr alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Verspätung zu vermeiden. Denn mit den aus unterschiedlichen Gründen immer wieder eintretenden Verzögerungen im Flugumlauf muss das Luftfahrtunternehmen rechnen und für deren Abwendung Vorkehrungen treffen. Nach der Fluggastrechte VO ist das Unternehmen nämlich verpflichtet, unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel die außergewöhnliche Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert ist und die zur Annullierung/Verspätung des Fluges geführt haben (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, NJW 2009, S. 347) Diese können zum einen in dem Vorhalten von Ersatzmaschinen liegen, oder aber in einer zeitlich großzügigeren Planung der Flugumläufe, bei denen entsprechende zeitliche Puffer vorgesehen sind, um eintretende Verzögerungen zwischen den geplanten Umläufen abzufangen.

Unterlässt das Luftfahrtunternehmen eine solche vorsichtige Zeitplanung der Umläufe und taktet diese aus wirtschaftlichen Interessen enger, kann es sich in diesen Fällen nicht mehr darauf berufen, alles ihm mögliche zur Abwendung von Flugverspätungen erforderliche getan zu haben. Der Ausgleichsanspruch der Fluggäste wegen Verspätung ist jedenfalls dann nicht mehr wegen des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände ausgeschlossen. Denn diese liegen dann nicht mehr in den nicht zu kalkulierenden Witterungsanomalien, sondern allein in dem Planungsverhalten des Luftfahrtunternehmens begründet.

Auch wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung davon ausginge, dass es sich bei der Verzögerung des Vorfluges im Vorumlauf um einen außergewöhnlichen Umstand handelte, fehlt es an einem substantiierten Vortrag der Beklagten, wann und wie sie sich für den Ersatz welches/bzw. welcher Flüge um Subchartermaschinen gekümmert hat. Die pauschale Behauptung, ein Subcharter sei nicht erreichbar gewesen, ist insoweit nicht ausreichend. Die Beklagte hätte vielmehr substantiiert darlegen und unter Beweis stellen müssen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihr zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen ihr gegebenenfalls dies nicht zumutbar war auf diese Ressourcen zurückzugreifen (Vergleiche BGH, Urteil vom 14.10.2010, Xa ZR 15/10).

Die Entscheidung über die Nebenforderung beruht auf §§ 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.