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AG Nürnberg: Ansprüche aus der FluggastrechteVO können sowohl beim Gericht am Sitz der Airline als auch am Start- und Zielflughafen eingeklagt werden

Das Amtsgericht Nürnberg hat entschieden, dass für Klagen aus der FluggastechteVO nicht nur das Gericht am Sitz der beklagten Fluggesellschaft, sonder auch das Gericht beim Startflughafen und beim Zielflughafen international zuständig ist.

Amtsgericht Nürnberg, Urteil vom 20.10.2015, Az.: 22 C 1502/15


Tatbestand

Die Parteien streiten um Entschädigungszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung.

Der Kläger sowie die Zeugin Stangl buchten bei der Beklagten einen Flug von Bogota über Paris nach Nürnberg mit den Flugnummern AF 423 und AF 1210 mit planmäßiger Ankunftszeit in Nürnberg am 24.11.2014 um 14.50 Uhr. Der Zubringerflug AF 423 von Bogota nach Paris startete erst mit einer Verspätung von 1 Stunde und 35 Minuten, so dass es dem Kläger und der Zeugin Stangl nicht mehr möglich war, den Anschlussflug AF 1210 nach Nürnberg zu erreichen. Der Kläger und die Zeugin Stangl erreichten den Zielort Nürnberg am 24.11.2014 um 21.50 Uhr. Mit Schreiben vom 08.01.2015 wurde die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.200,00 EUR bis 30.01.2015 aufgefordert. Eine Zahlung erfolgte bis dato nicht. Am 06.02.2015 trat die Zeugin Stangl ihre Rechte an den Kläger ab. Die Entfernung von Bogota nach Nürnberg beträgt 9.268 Kilometer.

Der Kläger ist der Ansicht, dass das Amtsgericht Nürnberg gemäß § 29 ZPO örtlich zuständig ist. Der gesetzliche Erfüllungsort sei der Flughafen Nürnberg, an dem die Beklagte die primäre Leistung in Form der Beförderung hätte erbringen müssen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei 1.200,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2015 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Amtsgericht Nürnberg international nicht zuständig sei. Die Brüssel 1 - Verordnung habe für Ansprüche aus grenzüberschreitenden Sachverhalten Vorrang vor der ZPO. Nach Artikel 2 Abs. 1 Brüssel 1 - Verordnung sei die Fluggesellschaft stets an ihrem satzungsgemäßen Sitz zu verklagen. Dieser sei nach Artikel 60 Abs. 1 der Brüssel 1 - Verordnung zu bestimmen. Die Beklagte habe ihren satzungsgemäßen Sitz in Paris und wäre demgemäß auch dort zu verklagen. Da der verspätete Flug zwischen Bogota und Paris stattgefunden habe, käme als Erfüllungsort im Sinne des § 29 ZPO allenfalls der Ankunftsort Paris in Betracht.

Hinsichtlich des weiteren Vortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Vortrag in den mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Amtsgericht Nürnberg ist örtlich zuständig.

1.    

Die Zuständigkeit ergibt sich aus der Brüssel la - Verordnung Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012, welche die Brüssel I - Verordnung Nr. 44/2001 ersetzt. Die Brüssel la - Verordnung ist nach Artikel 66 Abs. 1 auf Verfahren, die am 10. Januar 2015 oder danach eingeleitet werden, anwendbar.
2.    

Eine ausschließliche Zuständigkeit bei Verbrauchersachen nach Artikel 17 Abs. 1 oder Abs. 2 der Verordnung ist mit Hinblick auf Artikel 17 Abs. 3 der Verordnung nicht gegeben.

3.

Die Zuständigkeit bestimmt sich somit nach Artikel 7 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich dieser Verordnung. Diese Regelung ist von Wortlaut und Inhalt her identisch mit Artikel 5 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich der Brüssel I - Verordnung.

a)

Abflug- und Ankunftsort stellen jeweils einen Erfüllungsort i.S.v. Art. 7 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich der Brüssel la - Verordnung dar.

Zur wortgleichen Vorläufervorschrift hat der EuGH in seinem Urteil Rehder gegen Air Baltic vom 09.07.2009, Az: C 204/08 entschieden, dass im Fall einer Beförderung von Personen im Luftverkehr von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage eines mit einer einzigen Luftfahrtgesellschaft geschlossenen Vertrages für eine auf diesen Beförderungsvertrag und die Fluggastrechte-Verordnung Nr. 261/2004 gestützte Klage auf Ausgleichszahlungen nach Wahl des Klägers das Gericht des vertragsgemäßen Abflug- oder Ankunftsortes zuständig ist.

In der Begründung zu diesem Urteil geht der EuGH noch weiter und führt unter Rdnr. 39 aus, dass der Ort des Sitzes oder der Hauptniederlassung der Fluggesellschaft nicht die erforderliche enge Verbindung mit dem Vertrag aufweist und somit keinen Gerichtsstand nach Artikel 5 1 b, 2. Spiegelstrich der Verordnung Nr. 44/2001 begründet. Unter Rdnr. 40 führt er aus, dass vielmehr bei den Dienstleistungen, die in Erfüllung der Verpflichtungen aus einem Beförderungsvertrag erbracht werden, die einzigen Orte, die eine unmittelbare Verbindung zu den genannten Dienstleistungen aufweisen, der Ort des Abfluges und der Ort der Ankunft des Flugzeuges sind. Unter Rdnr. 42 wird ausgeführt, dass es in solchen Fällen nicht möglich ist, anhand wirtschaftliche Kriterien einen gesonderten Teil der Leistung auszumachen, der die an einem bestimmten Ort erbrachte Hauptleistung darstellt, so dass sowohl der Ort des Abfluges als auch der Ort der Ankunft gleichermaßen als die Orte anzusehen sind, an denen die Dienstleistungen hauptsächlich erbracht werden. Unter Rdnr. 44 führt der Gerichtshof ausdrücklich aus, dass folglich ein Kläger, der eine auf die Fluggastrechte-Verordnung gestützte Ausgleichszahlung beansprucht, den Beklagten nach seiner Wahl vor dem Gericht eines dieser Orte verklagen kann.

b)

Ankunftsort ist auch bei einem mehrgliedrigen Flug der Ort des Endzieles.

Zwar hat der BGH in seinem Urteil vom 13.11.2012, Az: X ZR 12/12, zitiert in Juris, ausdrücklich festgestellt, dass die Anwendbarkeit der Fluggastrechte-Verordnung für jeden Flug gesondert zu prüfen ist, wenn eine Flugreise aus zwei oder mehr Flügen besteht, wenn die Flüge von derselben Fluggesellschaft durchgeführt werden und als Anschlussverbindung gemeinsam gebucht werden können. Inhaltlich hat sich hier der BGH aber nur mit der Frage beschäftigt, ob die Fluggastrechte-Verordnung auch auf einen Flug angewendet werden kann, welcher vollumfänglich im Ausland durchgeführt wird.

In seinem Urteil vom 07.05.2013, Az: X ZR 127/11 hat der BGB deshalb weiter ausdrücklich aufgeführt, dass für die Berechnung einer Verspätung nach der Fluggastrechte-Verordnung das Erreichen des Endzieles ausschlaggebend ist; dies gilt nach dem BGH auch dann, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass infolge der Flugverspätung ein selbst nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallender oder selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst wird.

Daraus ergibt sich zweifelsfrei im Umkehrschluss, dass bei einem Flug, welcher - durch eine einzige in einem Mitgliedsstaat ansässige Fluggesellschaft - von einem Drittstaat aus durchgeführt wird, es nur auf die Verspätung am Endziel ankommt; dies erst recht, wenn der zum Endziel führende Anschlussflug in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.

Wird so die anspruchsbegründende Verspätung berechnet, lässt sich davon dann auch nicht mehr die Frage der Zuständigkeit nach dem Erfüllungsort abkoppeln.

Dies liefe zudem der zitierten Entscheidung des EuGH in Rehder gegen Air Baltic zuwider. Diese Entscheidung ließe allenfalls die Überlegung zu, dass bei einem mehrgliedrigen Flug der Abflugort in einem Drittstaat nicht als Erfüllungsort nach der Brüssel-la-Verordnung angesehen werden kann. Ein vertragsgemäßer Ankunftsort in einem Mitgliedstaat muss aber nach dieser Entschei¬dung zuständigkeitsbegründend nach der Brüssel-la-Verordnung sein.

c)

Die hiesige Konstellation muss auch nicht noch höchstrichterlich geklärt werden.

Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite betrifft der Vorlagebeschluss des BGH vom 18.08.2015, Az: X ZR 2/15 eine andere Fallkonstellation: Die gestellten Vorlagefragen befassen sich mit der Frage, ob Artikel 5 Nr. 1 a) der Brüssel I - Verordnung dahingehend auszulegen ist, dass der Begriff Ansprüche aus einem Vertrag auch einen Anspruch erfasst, der gegenüber einem ausführenden Luftfahrtunternehmen verfolgt wird, welches nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggastes ist.

Hier wurden aber sämtliche Flüge durch Air France und nicht im Wege des Codesharing durch andere Gesellschaften durchgeführt.

Auch die zweite Vorlagefrage des BGH betrifft nicht vorliegende Fallkonstellation: Die Vorlagefrage geht dahin, ob bei einer aus mehreren Flügen bestehenden Flugverbindung der Abflugort der ersten Teilstrecke ebenfalls als Erfüllungsort gemäß Artikel 5 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich der Brüssel 1-Verordnung 44/2001 als Erfüllungsort anzusehen ist, auch wenn die Flugverbindung von unter-schiedlichen Luftfahrtunternehmen durchgeführt worden ist und sich die Klage gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen einer anderen Teilstrecke richtet, auf der es zu einer großen Verspätung gekommen ist.

Wie bereits ausgeführt wurde in vorliegender Fallkonstellation der Flug durch eine Fluggesellschaft und nicht durch unterschiedliche Luftfahrtunternehmen durchgeführt.

d)

Auch aus Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes wäre es system- und zweckwidrig, wenn bei Flügen in Drittstaaten oder aus Drittstaaten zurück Entschädigungsleistungen regelmäßig vor Gerichten in anderen Mitgliedsstaaten erfochten werden müssten.
 
Es entspricht der typischen Konstellation, dass Flüge in Drittstaaten nicht unmittelbar vom Mitgliedsstaat des Verbrauchers aus, sondern über andere Mitgliedsstaaten durchgeführt werden. Der Verbraucher wäre somit regelmäßig an für ihn im Ausland befindliche Gerichte zu verweisen. Durch die Fluggastrechte-Verordnung sollen aber gerade die Schutzstandards für den Verbraucher erhöht werden, um die Fluggastrechte zu stärken (Erwägungsgrund Nr. 4), und die den Fluggästen entstehenden Ärgernisse und Unannehmlichkeiten verringert werden (Erwägungsgrund Nr. 12).

2.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Dem Kläger stehen analog Artikel 7 Abs. 1 c) der Fluggastrechte-Verordnung bei einer Verspätung von über 3 Stunden und einer Entfernung von über 3.500 Kilometern eine Entschädigung von 600,00 EUR je Passagier zu.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 ZPO