Mit Urteil vom 18.02.2019 entschied das Verwaltungsgericht (VG) Münster, dass das Produkt „Chia Sesamo Superfood Trio Moringa& Hibiskus Sesam Trio“ nicht die unionsrechtlichen Anforderungen für eine Novel Food- Zulassung erfüllt und infolgedessen nicht in den Verkehr gebracht werden darf.
Grundsätzlich können Lebensmittel im Rahmen der lebensmittelrechtlichen Bestimmungen ohne vorherige Zulassung in den Verkehr gebracht werden. Hiervon bilden die neuartigen Lebensmittel (Novel Foods) allerdings eine Ausnahme.
Gemäß Art. 1 des Durchführungsbeschlusses der Kommission 2013/50/EU vom 22.01.2013 dürfen Chiasamen, als neuartige Lebensmittelzutat, nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn diese in Mengen von nicht mehr als 10% in Backwaren, Frühstückscerealien oder Mischungen aus Früchten, Nüssen, Samen verwendet werden.
Zwar enthalte das streitgegenständliche Produkt nur 10% Chiasamen, allerdings unterfällt es nicht den genannten Produkten.
Das Produkt sei keine Backware, da es kein Getreide enthalte und auch nicht dem Herstellungsvorgang des Backens genüge. Mangels Getreidebestandteile sei es auch keine Frühstückscerealie. Hieran ändere auch die irrtümliche Ansicht einiger Verbraucher, die Chiasamen unter Cerealien fassen, nichts. Ferner sei das Produkt keine Mischung aus Früchten, Nüssen und Samen, da es eben an den geforderten Bestandteilen an Früchten und Nüssen fehle.
Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 18.02.2019, Az. 5 K 773/18
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I. Das Gericht entscheidet auf der Grundlage des Übertragungsbeschlusses vom 14. 12. 2018 gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Insbesondere ist keine Vorlage an den EuGH angezeigt (s.u. IV.).
II. Die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Landrats des Kreises D. in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des LANUV ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
1. Nr. 1 der streitgegenständlichen Verfügung ist rechtmäßig.
a) Ermächtigungsgrundlage von Nr. 1 der streitgegenständlichen Verfügung ist § 39 Abs. 1 LFGB. Hiernach treffen die zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Feststellung oder zur Ausräumung eines hinreichenden Verdachts eines Verstoßes oder zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit oder vor Täuschung erforderlich sind (S. 1). Nach S. 2 Nr. 3 Var. 3 können sie insbesondere das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten.
b) Nr. 1 der streitgegenständlichen Verfügung ist formell rechtmäßig. Der Beklagte ist als Kreisordnungsbehörde zuständig (§ 39 Abs. 1 S. 1 LFGB, § 1 S. 1 a) LFBRVG-NRW, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 OBG NRW). Das Verfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Ein Anhörungsmangel besteht im Ergebnis nicht. Zwar ist die Klägerin vor dem Erlass der Ordnungsverfügung nicht angehört worden. Nach § 28 Abs. 1 VwVfG ist vor dem Erlass eines Verwaltungsakts, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dabei hat die Behörde den beabsichtigten Verwaltungsakt nach Art und Inhalt so konkret zu umschreiben, dass für den Beteiligten hinreichend erkennbar ist, weshalb und wozu er sich äußern können soll und mit welcher in seine Rechte eingreifenden Entscheidung er zu welchem ungefähren Zeitpunkt zu rechnen hat (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 27. 8. 2018 – 1 B 1078/18 –, juris, Rn. 25f. m.w.N.).
Dieser Mangel ist jedoch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW durch Nachholung im Laufe des erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens geheilt worden. Nach dieser Vorschrift ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die – wie hier – nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG NRW nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Handlungen nach § 45 Abs. 1 VwVfG NRW – und damit auch die Nachholung i.S.v. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW – können gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW bis zum Abschluss der ersten Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Steht eine Nachholung der Anhörung durch einen Widerspruch und dessen Würdigung in Rede, so tritt Heilung durch diese Nachholung nur ein, wenn eine vollwertige Gewährung des Rechts aus § 28 VwVfG NRW sichergestellt wird. Dies ist der Fall, wenn aus der Begründung des angefochtenen Bescheids alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen i.S.d. § 28 VwVfG NRW erkennbar sind, so dass der Betroffene Stellung nehmen kann, und wenn die im Widerspruchsverfahren vorgebrachten (erheblichen) Tatsachen von der Erstbehörde oder der zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts befugten Widerspruchsbehörde berücksichtigt worden sind (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 27. 8. 2018 – 1 B 1078/18 –, juris, Rn. 28f. m.w.N.). Eine Nachholung durch Schriftsätze kann auch noch im gerichtlichen Verfahren erfolgen, sofern die Behörde zu erkennen gibt, dass sie die Einwände des Betroffenen umfassend abarbeitet und ihre Entscheidung inhaltlich erneut überdenkt. Dies ist vorliegend der Fall, wie die Ausführungen in der Klageerwiderung durch den Landrat des Beklagten belegen.
Jedenfalls kann die Aufhebung der Ordnungsverfügung nicht allein deshalb beansprucht werden, weil sie unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, weil im vorliegenden Fall offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 46 VwVfG NRW). Dies gilt unbeschadet des Umstandes, dass es sich bei der getroffenen Entscheidung um eine solche handelt, die im Ermessen des Beklagten liegt. Die entscheidungserheblichen Umstände waren dem Beklagten aufgrund der vorherigen Ausführungen der Klägerin im Verwaltungsverfahren und im Verfahren 5 K 1483/17 hinlänglich bekannt, sodass nach einer etwaigen Anhörung eine von der getroffenen Entscheidung abweichende Entscheidung nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden konnte. Die schriftlich erlassene Verfügung ist ordnungsgemäß begründet (§ 39 Abs. 1 VwVfG NRW); auf die inhaltliche Richtigkeit der Begründung kommt es nicht an.
c) Nr. 1 der streitgegenständlichen Verfügung ist materiell rechtmäßig.
aa) Die Klägerin hat mit dem Inverkehrbringen (vgl. § 3 Nr. 1 LFGB: Inverkehrbringen im Sinne des Art. 3 Nr. 8 VO (EG) Nr. 178/2002) des Erzeugnisses „Chia Sesamo Superfood Trio Moringa & Hibiskus“ Sesam Trio“ (vgl. § 2 Abs. 1 LFGB: Erzeugnisse sind Lebensmittel, einschließlich Lebensmittelzusatzstoffe, Futtermittel, kosmetische Mittel und Bedarfsgegenstände) gegen Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 11. 2015 verstoßen; es ist zu befürchten, dass die Klägerin auch künftig hiergegen verstoßen wird.
aaa) Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2015/2283 – die VO (EG) Nr. 258/97 ist ab dem 1. 1. 2018 aufgehoben (vgl. Art. 34) – dürfen nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in den Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden. Nach Art. 1 des Durchführungsbeschlusses der Kommission vom 22. 1. 2013 (C (2013) 123) darf Chiasamen gemäß der Spezifikation in Anhang I in der Union als neuartige Lebensmittelzutat für die in Anhang II aufgeführten Verwendungszwecke (nicht mehr als 10 % in Backwaren, Frühstückscerealien oder Mischungen aus Früchten, Nüssen und Samen) in Verkehr gebracht werden. In derselben Weise ist die Zulassung von Chiasamen in der sog. Unionsliste auf der Grundlage der Durchführungsverordnung (EU) 2017/2470 der Kommission vom 20. 12. 2017 (ABl. L 351/72) festgehalten.
Das von der Klägerin vertriebene Produkt erfüllt nicht die in der Unionsliste festgelegten Bedingungen. Zwar enthält es nur 10 % Chiasamen, es ist aber weder Backware noch Frühstückscerealie noch eine Mischung aus Früchten, Nüssen und Samen. Zur Begründung wird zunächst auf die Ausführungen auf S. 2 und 3 des Berichts des CVUA-N1. Vom 21. 12. 2016 Bezug genommen, welchen sich das Gericht aufgrund eigener Überzeugungsbildung anschließt. Zur ergänzenden Begründung, dass das Produkt weder Backware (1) noch Frühstückscerealie (2) noch eine Mischung aus Früchten, Nüssen und Samen (3) ist, wird auf Folgendes hingewiesen:
(1) Das Produkt ist keine Backware, weil es kein Getreide enthält. Sesamsamen und Chiasamen sind keine Getreidekörner (Getreidefrucht), sondern Fortpflanzungskörper der Samenpflanzen. Der Begriff „Backware“, den das Gericht anzuwenden hat, stellt zum einen den Ausgangspunkt der Auslegung dar; zum anderen ist der Wortlaut dabei nicht zu überschreiten. Hierfür spricht auch die eindeutige Formulierung in Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2015/2283, wonach nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen in Lebensmitteln verwendet werden dürfen. Auf die Frage, ob von dem Produkt gesundheitliche Gefahren ausgehen können, kommt es hierbei nicht an.
Der Begriff der Backware setzt nach allgemeinem Sprachverständnis neben dem Herstellungsvorgang des Backens einen Anteil an Getreide und/oder Getreideerzeugnissen voraus. Es ist für die Begriffsprägung allein nicht ausreichend, dass ein Produkt – welchen Inhaltsstoffs auch immer – erhitzt wird. Das allgemeine Sprachverständnis wird u.a. belegt durch die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs. Diese beschreiben die allgemeine Verkehrsauffassung zur Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von mehr als 2.000 Lebensmitteln. In den Leitsätzen sind die Charakteristika am Markt befindlicher Lebensmittel niedergelegt. Die Leitsätze geben den redlichen Herstellungs- oder Handelsbrauch ebenso wie die berechtigte Verbrauchererwartung wieder. So werden z.B. nach den Leitsätzen für Feine Backwaren vom 17./18.12.1991, zuletzt geändert am 8. 1. 2010 (BAnz. Nr. 16 v. 29. 1. 2010) feine Backwaren aus Teigen oder Massen hergestellt. Die Teige oder Massen werden unter Verwendung von Getreide und/oder Getreideerzeugnissen bereitet. Getreide sind die Brotgetreidearten Weizen, Roggen, Dinkel und Triticale und die Nicht-Brotgetreidearten Buchweizen, Gerste, Hafer, Hirse, Mais und Reis. Klassische, das Begriffsverständnis prägende Beispiele einer Backware sind zudem Brote und Brötchen. Auch diese werden ganz oder teilweise aus Getreide und/oder Getreideerzeugnissen hergestellt (vgl. Leitsätze für Brot und Kleingebäck vom 19. 10. 1993, zuletzt geändert am 19. 9. 2005 (BAnz. Nr. 184 vom 28. 9. 2005). Dass dieses Begriffsverständnis unzutreffend ist, hat die anwaltlich vertretene Klägerin nicht durch einen entsprechenden Beweisantrag zu entkräften versucht. Das Gericht hatte auch keinen Anlass für eine entsprechende Aufklärung von Amts wegen. Insbesondere steht das „Guidance document describing the food categories in Part E of Annex II to Regulation (EC) No 1333/2008 on Food Additives“ dem geschilderten Begriffsverständnis der „Backware“ jedenfalls nicht entgegen.
(2) Das Produkt ist keine Frühstückscerealie, weil es kein Getreide enthält. Der Begriff der Cerealie steht nach allgemeinem Sprachverständnis für Getreidefrucht oder Getreideflocke (lateinisch: cerealia, hergeleitet von Ceres, der römischen Göttin des Ackerbaus). Dahingegen kommt es entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ansicht nicht darauf an, ob einige Verbraucher eventuell auch Chiasamen unter Cerealien fassen würden. Der Irrtum einzelner ist nicht geeignet, das allgemeine Begriffsverständnis in Frage zu stellen.
(3) Das Produkt ist keine Mischung aus Früchten, Nüssen und Samen, sondern eine Mischung, die nur aus Samen (Sesam und Chia) und Rohrohrzucker besteht. Wäre in der Zulassungsentscheidung der Kommission etwas anderes gemeint gewesen, hätte dort formuliert sein müssen „Mischung aus Früchten, Nüssen oder Samen“, was aber nicht der Fall ist. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Verwendung von „und“ anstatt „oder“ zwischen den Worten „Nüssen“ und „Samen“ um ein Redaktionsversehen handelt, sind nicht ersichtlich.
bbb) Den Beweisanträgen der Klägerin war nicht nachzugehen. Die Klägerin hat den Antrag gestellt, Beweis zu erheben „zur Tatsache, dass das „Guidance document describing the food categories in Part E of Annex II to Regulation (EC) No. 1333/2008 on Food Additives.“
1. keine Rechtsauffassung und keine sachlich-fachliche Auffassung der Europäischen Kommission dokumentiert und zwar
2. insbesondere nicht zur Frage, ob „Backwaren“, wie sie im Anhang II des Durchführungsbeschlusses der Kommission vom 22. 1. 2013 genannt sind, neben Sesam, Chiasamen und Zucker zwingend auch Getreideanteile umfassen;
3. insbesondere nicht zur Frage, ob „Frühstückscerealien“ nicht als Riegel geformt und ohne Getreideanteil mit anderen Zutaten wie Sesam und Chia, in den Begriff des Anhangs II fallen;
4. insbesondere nicht zur Frage, ob der Begriff der „Mischungen...“ in deren Anhang II die Mischung von Sesam und Chia, auch in der gegebenen Form als Riegel erfasst oder nicht erfasst;
5. es sich vielmehr bei dem in der jüngsten Fassung vom Juni 2017 vorliegenden Papier um eine Arbeitsanregung an dem Dienststellenbereich der Kommission (commition Sevices) handelt, die nur und ausschließlich der fachlichen Begriffsbildung im Bereich des Zulassungswesens der Lebensmittelzusatzstoffe und gerade nicht der neuartigen Lebensmittel zu dienen bestimmt ist, weil die Zulassung von Zusatzstoffen unter dem Gerichtspunkt der Unverzichtbarkeit für die Erreichung eines bestimmten Zwecks erfolgt, während es sich bei den Kategorien von Lebensmitteln in den Zulassungsentscheidungen der Kommission ausschließlich um solche handelt, die von der Begründung durch den jeweiligen Antragsteller vorgegeben und durch keine sachlichen Gründe sonst vorgegeben sind, was zur Folge hat, dass hier das Ziel, die Zulassung eng auszulegen nach Kommissionsauffassung nicht gilt;
6. die Kommission dies in der Einleitung des Papiers durch den Vermerk klarstellt, es solle „be noted that de food categories have been created with the sole purpose of listing the authorized additives and their use“. Es handle sich um etwas, was spezifisch für das Stoffzulassungsrecht entwickelt wurde und damit keine Anleitung für die Lebensmittelbezeichnung gebe und keine Verkehrsauffassung dokumentiere;
7. die Klarstellung, dass was als Bestandteil einer Kategorie genannt ist, in allen anderen Kategorien prorata im Sinn der carry over vorhanden sein dürfe (zweitletzter S. auf der ersten Seite) in analoger Anwendung auf die Zulassung neuartiger Lebensmittelzutaten nichts anderes bedeutet, dass, wenn Chia zu 10 % in den vorstehend unter (2), (3) und (4) genannten Lebensmittelkategorien vorhanden sein dürfe, dies für den gebackenen Riegel ebenso gilt, wie er hier verfahrensgegenständlich ist;
8. wobei berücksichtigt werden kann, dass es für die Frage, ob Chiasamen mit einem Anteil von 10 % in einem solchen Produkt gesundheitlich unbedenklich ist, nicht darauf ankommen kann, dass Getreidebestandteile zusätzlich im Produkt vorhanden oder abwesend sind.“
Zudem hat die Klägerin beantragt, Beweis zu erheben zur Tatsache, dass das „Guidance“ Papier für den Annex II der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 in der Kategorienbeschreibung für Backwaren abweichend von der Darstellung der CVUA-N1. vom 21. 12. 2016 verändert worden sei und dass die Vorgabe nun in der Fassung vom Juni 2017 so formuliert sei, dass „Bakery wares“ in „der Regel“ mit Getreidemehlen hergestellt würden und dass die Lesart der CVUA-N1., es sei gemeint, dass nur Gebackenes, das überwiegend aus einer Getreidezutat hergestellt sei, von dieser Kategorie erfasst sein soll, falsch sei.
Diese Beweisanträge waren abzulehnen, weil sie sich einschließlich ihrer unterschiedlichen Untergliederungen nicht auf Tatsachen beziehen. Gegenstand der Beweisaufnahme sind Tatsachen, d.h. Vorgänge oder Zustände (Sachverhalte) der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Teile der Rechtsanwendung hingegen sind als solche keine geeigneten Beweistatsachen, sondern nur diejenigen Tatsachen und Erfahrungssätze, die der Subsumtion zugrunde liegen oder die die rechtliche Bewertung beeinflussen können (vgl. Trüg/Habetha, in: Münchner Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 21).
Die ausdrücklich auf das Guidance document bezogenen Beweisanträge der Klägerin beziehen sich nach dieser Maßgabe nicht auf Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich wären, sondern auf die rechtliche Bewertung tatsächlicher Ereignisse, hier im Kern des von der Klägerin bezeichneten Guidance documents und dessen Verständnis. Die Frage, ob bestimmte Dokumente rechtliche Auswirkungen haben und falls ja, welchen Inhalts diese sind, ist jedoch eine solche der Rechtsanwendung. Im Übrigen wäre der Beweisantrag auch deswegen abzulehnen, weil der Inhalt des Guidance documents für die hier zu entscheidende Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist.
bb) Die Klägerin ist verantwortlich im Sinne der §§ 12 Abs. 2, 17 Abs. 1 OBG NRW, da sie durch das Inverkehrbringen des Produkts gegen die o.g. Bestimmungen verstößt.
cc) Der Beklagte darf die Maßnahmen ergreifen, die zur Verhinderung künftiger Verstöße erforderlich sind und kann hierfür das Inverkehrbringen von Erzeugnissen verbieten. Ermessensfehler im Sinne des § 114 S. 1 VwGO sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Landrat des Beklagten ausweislich der Ausführungen auf S. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erkannt, dass ihm Ermessen zusteht.
2. Nr. 2 der streitgegenständlichen Verfügung ist rechtmäßig.
a) Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Nr. 2 der Ordnungsverfügung (Androhung eines Zwangsgeldes) sind §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 und 63 VwVG NRW.
b) Nr. 2 der Ordnungsverfügung ist formell rechtmäßig (§ 56 Abs. 1 VwVG NRW, § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW, § 63 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 VwVG NRW).
c) Die sich ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Bestandskraft der Regelung in Nr. 1 der Ordnungsverfügung beziehende Nr. 2 der Ordnungsverfügung ist materiell rechtmäßig. Insbesondere ist die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses der Klägerin an der Nichtbefolgung der Anordnung gemäß § 60 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 5 VwVG NRW nicht zu beanstanden. Ermessensfehler im Sinne des § 114 S. 1 VwGO sind weder dargelegt noch ersichtlich.
III. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig.
Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlichrechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (Vgl. BVerwG, Urt. v. 30. 11. 2011 – 6 C 20.10 –, juris, Rn. 11f.).
Hieran fehlt es. Der Sachverhalt ist nicht bereits übersehbar. Bereits aus der Antragstellung wird deutlich, dass die Klägerin für den Fall des Unterliegens mit ihrem Hauptbegehren eine Handlungsanleitung seitens des Gerichts für ihr noch nicht konkretisiertes weiteres Tätigwerden erhalten will. Dies wird auch belegt durch die Antwort der für die Klägerin an der mündlichen Verhandlung teilnehmenden G. X. auf die Frage des Gerichts, ob die Klägerin eine Änderung des Produktionsprozesses mit Blick auf die Verwendung von Getreide in den Sesamriegeln erwäge. Sie hat ausgeführt, dass sie sich das anschauen würden, wie sie das ändern müssten. Eine konkrete Änderung des Sachverhalts in Richtung einer beabsichtigten Beifügung von Getreide liegt mithin aktuell nicht vor. Der Feststellungsantrag ist auch deswegen unzulässig, weil es der Klägerin hierfür an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin für die gegebenenfalls anstehende Änderung ihres Produktionsprozesses einer gerichtlichen Entscheidung bedarf. Vielmehr ist sie gehalten, den einfacheren und schnelleren Weg zu wählen und zunächst den Beklagten als zuständige Fachbehörde mit der Frage zu befassen, welchen Getreideanteil er für notwendig hält. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dessen Vorbefassung für die Klägerin deswegen offensichtlich nutzlos wäre, weil ihr Antrag ohnehin in jeder Variante abgelehnt würde.
IV. Das Gericht sieht keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (Art. 267 AEUV), da es eine Entscheidung des Gerichtshofs zum Erlass seines Urteils nicht für erforderlich hält. Es geht im Kern allein um das Verständnis einzelner Begriffe, wie z.B. des Begriffs der Backware.