Sog. "ausgenommene Zubereitungen" im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), über welche durch einen Arzt ohne vorherigen persönlichen Kontakt mit dem betroffenen Patienten Rezepte ausgestellt werden, stellen keine Arzneimittel dar, die im therapeutischen Bereich ihren Einsatz finden. In einem solchen Fall ist vielmehr von "Scheinrezepten" auszugehen.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Mai 2013 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. Oktober 2011, soweit es den Angeklagten S. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
A.
Das Landgericht hat den Angeklagten der unerlaubten Ausfuhr von Betäubungsmitteln in 20.230 Fällen schuldig gesprochen. Es hat ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, und einer gesonderten Gesamtgeldstrafe von 700 Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt und den Verfall von Wertersatz in einer Höhe von 1.179.508,96 Euro angeordnet. Von der Anordnung erweiterten Werteresatzverfalls in Höhe eines weiteren Geldbetrages von 1.179.508,96 Euro hat es abgesehen.
I.
Der - nicht angefochtene - Schuldspruch beruht auf folgenden Feststellungen:
Der gesondert Verfolgte M. betrieb seit 2002 unter der Firma "G. " einen Großhandel für Medikamente. Nach dem Wegfall des absoluten Versandverbots für Apotheken im Jahr 2004 beschloss er, unter Mitwirkung von ihm beschäftigter Mitarbeiter sowie eingeweihter Ärzte und Apotheker - darunter der Angeklagte - einen Internet-Großhandel aufzubauen, um im Ausland häufig nachgefragte sogenannte "ausgenommene Zubereitungen" (Rivotril, Xanax, Alprazolam, Valium, Stilnox, Lorazepam, Zolpidem, Tafil und Tavor Expedit) gewinnbringend zu verkaufen.
Die zumeist in den USA wohnhaften Kunden gaben hierfür auf weltweit abrufbaren Internetplattformen, die durch zwei von M. in Südafrika und Liechtenstein betriebene Unternehmen verantwortet wurden, Bestellungen auf. Diese wurden durch die eingebundenen Ärzte über einen speziellen Zugangscode entgegengenommen und rezeptiert. Der Angeklagte rief diese Rezepte ab und orderte - vielfach bei "G. " - die entsprechenden Medikamente, um sie sodann unter Benutzung seiner Privatadresse - entsprechend den abgegebenen Bestellungen - zu weit überhöhten Preisen an die Kunden zu versenden. Er wusste, dass zur Ausfuhr der hier als Betäubungsmittel anzusehenden Medikamente eine Ausfuhrgenehmigung nach § 11 BtMG erforderlich gewesen wäre. Ihm war auch bekannt, dass sich die Kunden zu keinem Zeitpunkt den 2 Ärzten vorgestellt, sondern lediglich ihre Kreditkartendaten und einige gesundheitsbezogene und im Übrigen nicht nachprüfbare Informationen im Internet angegeben hatten.
Im Tatzeitraum zwischen dem 7. Oktober 2004 und dem 15. März 2006 versandte der Angeklagte in insgesamt 40.460 Fällen Produkte, davon in 20.230 Fällen ausgenommene Zubereitungen, im Übrigen "Lifestyle-Produkte", die keine Betäubungsmittel darstellten, ins Ausland. Bei keiner Versendung wurde der Grenzwert der nicht geringen Menge der jeweiligen Stoffe erreicht oder überschritten. Der Angeklagte erhielt für seine Beteiligung eine Gewinnmarge von 10 Euro je Bestellung.
II.
1. Wegen sämtlicher Taten ist das Landgericht von jeweils gewerbsmäßiger unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln ausgegangen, hat jedoch unter Anwendung von § 31 Nr. 1 BtMG das Vorliegen eines besonders schweren Falles gemäß § 29 Abs. 3 BtMG abgelehnt und die Strafen dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommen. Von den 20.230 Versendungen ausgenommener Zubereitungen entfielen auf den Zeitraum vom 7. Oktober bis zum 22. Dezember 2004 insgesamt 2.750 Versendungen und auf den anschließenden Zeitraum vom 23. Dezember 2004 bis zum 15. März 2006 weitere 17.480 Versendungen. Für die Taten im zuerst genannten Zeitraum hat das Landgericht jeweils Geldstrafen von 90 Tagessätzen, für die im späteren Zeitraum begangenen Taten im Hinblick auf eine durch den Wechsel des Versandunternehmens erfolgte "Verfeinerung des Systems" jeweils Freiheitsstrafen von neun Monaten verhängt und hieraus die vorgenannten Gesamtstrafen gebildet.
2. Die Anordnung von Wertersatzverfall erfasst die Hälfte des aus allen 40.460 Versendungen entnommenen, dem Angeklagten zugeflossenen Gesamterlöses, mithin 1.179.508,96 Euro. Die Nichtanordnung erweiterten Wertersatzverfalls hinsichtlich des den "Lifestyle-Produkten" zugeordneten Restbetrages von ebenfalls 1.179.508,96 Euro hat das Landgericht damit begründet, dass dessen Herkunft aus Straftaten nicht feststehe.
III.
Mit ihrer auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision zu Ungunsten des Angeklagten beanstandet die Staatsanwaltschaft Rechtsfehler bei der Strafzumessung sowie bei der Nichtanordnung des erweiterten Wertersatzverfalls.
Der Generalbundesanwalt ist der Auffassung, die Revision sei insoweit nicht auf die Nichtanordnung des erweiterten Wertersatzverfalls beschränkt. Vielmehr sei auch die Wertersatzverfallsanordnung angefochten, die er für rechtsfehlerhaft hält.
B.
Die Revision hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; sie wirkt sich insoweit sowohl zu Ungunsten des Angeklagten als auch zu seinen Gunsten (§ 301 StPO) aus. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
I.
Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
1. Bei der Bemessung der Einzelstrafen hat das Landgericht rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich bei den ausgeführten ausgenommenen Zubereitungen um "Medikamente" gehandelt habe, "die im therapeutischen Bereich ihren Einsatz finden" (UA S. 78).
Das Landgericht hat dabei jedoch erkennbar nicht bedacht, dass nach den insoweit eindeutigen Feststellungen des Urteils im konkreten Fall gerade kein "therapeutischer" Einsatz vorlag, denn die Versendungen beruhten, wie auch der Angeklagte wusste, auf Scheinrezepten, die von pflichtwidrig handelnden, in das Geschehen eingebundenen Ärzten für ihnen unbekannte Personen unkontrolliert ausgestellt worden waren.
2. Das Landgericht hat bei der Festsetzung der Einzelstrafen weiterhin nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte von vorneherein mit dem Ziel gehandelt hat, sich durch eine Vielzahl von Ausfuhren ausgenommener Zubereitungen in großem Umfang zu bereichern. Es gilt insoweit im Kern nichts anderes als bei serienmäßig begangenen Delikten, in denen die Bereicherung durch gegen das Vermögen der Opfer begangene Taten erfolgt (vgl. dazu BGH, Urteile vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, und vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554).
3. Die aufgezeigten Mängel betreffen im Ansatz sämtliche Einzelstrafen. Unabhängig davon hat das Landgericht aber bei der Strafzumessung für die seit dem 23. Dezember 2004 begangenen Taten eine rechtlich nicht tragfähig 11 begründete Erwägung zum Nachteil des Angeklagten angestellt: Während es für die zuvor begangenen Taten eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen ausgesprochen hat, hat es für die nachfolgenden Taten jeweils neun Monate Freiheitsstrafe verhängt. Gestützt ist diese erhebliche Steigerung der Strafen darauf, dass der Angeklagte zum 23. Dezember 2004 seinen Versand von dem Logistikunternehmen F. auf die Versendung mit der Deutschen Post umgestellt hatte, weil diese ihm sogenannte Trackingnummern zur Verfügung stellen konnte, wodurch Kundenrückfragen (nach dem Verbleib der Ware) besser bearbeitet werden konnten und auch die Kosten des Angeklagten reduziert wurden. Daraus hat das Landgericht eine erhöhte kriminelle Energie des Angeklagten abgeleitet.
Dies lässt besorgen, dass das Landgericht sich bei der Festsetzung der Einzelstrafen von rechtsfehlerhaften, für die Bemessung der Schuld des Angeklagten nicht relevanten Überlegungen hat leiten lassen. Die unerlaubte Ausfuhr von Medikamenten im Versandweg macht es unbedingt erforderlich, dass der Täter sich eines Versandunternehmens bedient. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Strafkammer zu den Trackingnummern und ihren sonstigen Ausführungen - zumal in der aus den unterschiedlichen Strafen ersichtlichen Dimension - ist nicht nachvollziehbar, dass er mehr Handlungsunwert oder eine höhere Strafzumessungsschuld auf sich geladen haben soll.
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass ohne diese Rechtsfehler in allen Fällen jeweils andere Einzelstrafen verhängt worden wären.
5. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der gebildeten Gesamtstrafen nach sich.
6. Auf den Umstand, dass das Landgericht in den Urteilsgründen eine Begründung der gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gänzlich vermissen lässt (zur entsprechenden Darlegungspflicht vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1971 - 1 StR 485/71, BGHSt 24, 268), kommt es mithin nicht mehr an.
II.
1. Die Revision ist nach Auffassung des Senats wirksam auf die Nichtanordnung des erweiterten Wertersatzverfalls beschränkt.
Der Senat hält die Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung erweiterten Wertersatzverfalls für wirksam:
Die Anordnung wird vom Revisionsangriff der Staatsanwaltschaft nicht umfasst. Dies ergibt sich, nachdem eine ausdrückliche Beschränkung der Revision nicht erfolgt ist, aus der Revisionsbegründung (vgl. schon BGH, Urteil vom 16. Februar 1956 - 3 StR 473/55, NJW 1956, 756), die der Senat analog § 300 StPO auszulegen hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 - 1 StR 208/97, NJW 1997, 3322 f.; s. a. Nr. 156 Abs. 2, 2. Hs. RiStBV), und die sich konkret - neben Angriffen gegen die Strafzumessung des Landgerichts - allein gegen die Nichtanordnung des erweiterten Verfalls richtet.
Diese Beschränkung ist wirksam, weil zwischen der Anordnung des Wertersatzverfalls und der Nichtanordnung des erweiterten Wertersatzverfalls kein untrennbarer Zusammenhang besteht. Das Landgericht hat insgesamt 40.460 19 Versendungen festgestellt, wobei eine "Versendung" jeweils einem durch die Versanddaten der vom Angeklagten überwiegend genutzten Postweltluftbriefe umgrenzbaren Versendungsvorgang entspricht (UA S. 56 f.). Sodann hat es festgestellt, dass dem Angeklagten sowohl durch die aus dieser Gesamtmenge entnommenen 20.230 verfahrensgegenständlichen Taten als auch durch die verbleibenden, nicht abgeurteilten 20.230 Versendungen Erlösbeträge von jeweils 1.579.508, 96 Euro zugeflossen sind.
Der vom Generalbundesanwalt vertretenen Auffassung, es liege nahe, dass einzelne Versendungen sowohl ausgenommene Zubereitungen als auch sog. "Lifestyle-Produkte" enthielten, weshalb die nach § 73a StGB bzw. § 73d StGB abschöpfbaren Erlösbeträge jedenfalls teilweise aus denselben Taten stammten, die Anordnung des Wertersatzverfalls von der Nichtanordnung des erweiterten Verfalls mithin nicht trennbar sei, steht die Feststellung des Landgerichts entgegen, die weiteren, also nicht abgeurteilten Versendungen hätten sog. "Lifestyle-Produkte", also gerade keine ausgenommenen Zubereitungen, zum Gegenstand gehabt (vgl. UA S. 89).
2. Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Nichtanordnung des erweiterten Verfalls (§ 73d StGB) deckt entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft, welche die vom Landgericht vorgenommene Schätzung der erlangten Vermögenswerte angreift, keinen Rechtsfehler auf.
BGH, Urteil vom 15.05.2013, Az. 1 StR 476/12