In Zeiten, in denen über die Legalisierung von Cannabis auch zu Genusszwecken diskutiert wird, überrascht der neueste Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Verordnungsfähigkeit von medizinischem Cannabis zu Therapiezwecken.
Bislang waren die Anforderungen an die Verschreibung von Cannabis zwar schon hoch, allerdings wurde auf einen sogenannten Facharztvorbehalt verzichtet. Dementsprechend war es allen Vertragsärzten möglich, medizinisches Cannabis unter Übernahme der Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen zu verschreiben, wenn die übrigen Voraussetzungen nach der Arzneimittel-Richtlinie erfüllt waren.
Bei einem Blick auf den neuesten Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 25. Oktober 2022 (https://www.g-ba.de/downloads/39-261-5693/2022-10-25_AM-RL_Einleitung_SN-Verfahren_Paragraf-4a-Abschnitt-N-Paragrafen-44-46.pdf) findet sich in § 46 Abs. 1 nun ein Facharztvorbehalt.
Grundsätzlich darf die Verordnung demnach nur noch durch einen Facharzt erfolgen. Ist der behandelnde Arzt kein Facharzt, so ist vorgeschrieben, dass er sich zu Beginn der Behandlung mit einem Facharzt abspricht und sicherstellen, dass die behandelte Person einmal im Jahr beim begleitenden Facharzt konsiliarisch vorstellig wird (§ 46 Abs. 2 Entwurf AM-RL).
Der grundsätzliche Facharztvorbehalt ist allerdings nicht die letzte Einschränkung im Rahmen der Verschreibungsbefugnis, sondern es kommt im Entwurf zu einer weiteren Binnendifferenzierung zwischen den einzelnen Facharztrichtungen. Diese dürfen jeweils nur indikationsbezogen tätig werden. Die genaue Indikation und die erforderliche Qualifikation des Facharztes wird durch Anlage XIII zu Abschnitt N der AM-RL näher beschrieben.
Beispielhaft sei die Indikation der Behandlung des Clusterkopfschmerzes genannt. In diesem Fall muss es sich bei der verordnenden ärztlichen Person um einen Facharzt einer der folgenden Fachrichtungen handeln:
- Fachärztinnen und Fachärzte für Neurologie
- Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie oder
- andere Fachärztinnen und Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie
An dieser Stelle ist bereits eine der ersten Inkohärenzen der neuen Regelung zu sehen. Diese lässt sich am Beispiel der „anderen Fachärztinnen und Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie“ festmachen. Es handelt sich bei Ärzten mit dieser Bezeichnung häufig um Fachärzte für Anästhesiologie. Die Analgesie, also die Schmerzbehandlung, kann als einer der Grundpfeiler bereits der klassischen Anästhesiologie verstanden werden. Aus welchem Grunde Fachärzte, die bereits ihre Qualifikation auf dem Gebiet der Behandlung bestimmter Krankheitsbilder durch den Erwerb des Facharzttitels nachgewiesen haben, eine zusätzliche Qualifikation benötigen, erscheint inkohärent.
Die zweite Unstimmigkeit wurde bereits einleitend benannt und liegt im durch den Gesetzgeber postulierten Willen zur weitergehenden Legalisierung des Cannabis auch zu Genusszwecken. Dem entgegen scheint sich der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen der Verordnungsregulation von medizinischem Cannabis nun in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen und beabsichtigt eine weitergehende Einschränkung der Verordnungsmöglichkeit durch einen eingeführten Facharztvorbehalt.
Ferner ist auch die gleichmäßige Patientenversorgung durch diesen Ansatz gefährdet. Sollte ein solcher Vorbehalt tatsächlich in die Arzneimittel-Richtlinie aufgenommen werden, so dürfte die Verschreibung von Cannabis mehr und mehr zu einem Privileg werden.
Unter versorgungsethischen Aspekten ist dieser Ansatz des Gemeinsamen Bundesausschusses daher sowohl aus Gründen der Inkohärenz innerhalb der geplanten Regelung als auch aus Gründen der gleichmäßigen und gut zugänglichen Versorgung gesetzlich versicherter Patienten mit adäquaten Therapien nur schwer nachvollziehbar und widerspricht der eigentlichen staatlichen Öffnung regulatorischer Rahmenbedingungen im Bereich der Versorgung mit Cannabis.
Den Beschluss sowie die dazugehörige Begründung finden Sie unter:
https://www.g-ba.de/beschluesse/5693/